Erstellt am: 26. 6. 2011 - 16:46 Uhr
The Final Countdown
Es war eine lange Nacht. Tag 2 am Donauinselfest hat uns alle ordentlich geschlaucht, so sehr, dass manch einer die Stiefel vorm Schlafen gehen gar nicht mehr ausgezogen hat. Von weitem hat man auch noch die alten Teppichfransenfrisuren von Europe gehört, die ihre Hymne "The Final Countdown" zum Besten gegeben haben. Hymnen gibt es auch heute zu Genüge, aber in erster Linie auf der FM4-Bühne. Alle warten schon gespannt auf die Schneckerlfrisur von Darwin Deez, die Wutbürger von Kreisky (auch fesche Frisuren) und natürlich die Shout Out Louds, meine Lieblinge, wenn The Cure mal keine Zeit haben.
Niko Ostermann
FM4 überträgt am Sonntag von 19-23 Uhr live vom Donauinselfest
Sado Maso ist nicht so meins, aber dem Rock des Sado Maso Guitar Club kann man etwas abgewinnen. Und für den Bandnamen gibt's Extrapunkte. Als Mitglied der Grazer 60's-Garage-Trash-Rock'n'Roll-Fraktion Staggers hat Matthias Krejan, den man eher unter seinem Pseudonym Shakin' Matthews kennt, Ahnung wie man es krachen lässt. Sein eigenes Projekt zeigt das eindrucksvoll. Um diese Uhrzeit (knapp nach 16h) solch drückende Melodien im Stile ihrer großen Vorbilder The Who, Rolling Stones, Beatles und The Velvet Underground abzuliefern, versetzt einen zurück in die Zeit, als man mit einer E-Gitarre noch Revoluzzer und Gott zugleich sein konnte. Songs wie "Jackpot Cockeye" beschreiben wilde Zeiten, nicht unbedingt nur rückwärtsgewandt, sondern als respektvoller Fingerzeig in der Gegenwart. Gern darfs auch der Stinkefinger sein. Trotzdem ist es so ganz anders, als man es von den Staggers kennt, obwohl diese kleine diabolische Ader auch hier durch blitzt. Please allow me to introduce myself, I'm a man of wealth and taste, sage ich da nur. Ein toller Anfang für einen langen Festivaltag.
"Selbstironischer Schlagerpop" wird Kommando Elefant zugesagt und während ich noch überlege, welche Bubblegum-Songs im Stile von "Final Countdown" ich noch kenne, klopfen im Unterbewusstsein schon Kommando Elefant an, die gute Chancen hätten, einen solchen Ohrwurm vorzulegen. Zumindest wird schon im ersten Song das Publikum zu Mitsingen animiert, auch wenn der Platz vor der Bühne noch etwas mehr Leute verkraften kann. Schon so oft wurde die deutsche Sprache in Popsongs als peinlich beschrieben, klischeehaft, zu wenig anschmiegsam. Hier wird allerdings das Gegenteil bewiesen. Alf Peherstorfer und Luis Pasching zelebrieren herrlich warme Popsongs mit Texten, die vom Herzen kommen und trotzdem nicht schwülstig wirken. Da quietscht es in jeder Ecke, rockt stadiontauglich, swingt geschmeidig und schrammelt Kottan-mäßig. Die Herrschaften aus Wien verstecken in ihren Songs aus "Kommt wir hauen Granaten rein. Das kleine bisschen Leben" immer wieder Referenzen, wie zu Ton Steine Scherbens "Macht kaputt was euch kaputt macht" in "Falsche Helden" oder die Hommage an eine Stadt wie "Alaska". Oder auch "Party bis zum Untergang". Das passt wohl am besten.
Jetzt Saedi. Soviel vorweg: Tania Saedi, die Wienerin mit persischen Wurzeln hätte sich mehr Publikum verdient, zu großartig und weitläufig ist ihr Soundspektrum, die Verspieltheit in sehr basslastigen Trip Hop-Interpretationen, spannenden Elektropop-Entwürfen, Dub-Variationen und sehr gelungenen Techno-Versuchen. Ihr Album "Exhale", produziert von Sofa Surfer und Soundspezialisten Markus Kienzl, eröffnet einen wahren Kosmos, der auch auf der FM4-Bühne zu spüren ist. Im Zentrum steht Tania Saedi, die mal als verträumte Diva, mal als bedrohliches Fabelwesen auftritt und Songs wie „Someone I'm Not“ und "The Boat Song" mit ihrer ganzen Seele, ihrem ganzen Wesen interpretiert. Das ist groß, erinnert an Bristol, an gute alte Zeiten als Tricky, Massive Attack und Portishead noch die Welt mit ihrem neuen, brodelnden, rauchenden Sound eroberten. Das kann man Saedi auch nur wünschen.
Wut: dieses Wort begegnet einem unter Umständen beim Donauinselfest an mehreren Stellen. Wenn die Besoffenen den Weg zur U-Bahn am Nachhauseweg wie Zombies versperren, wenn man vergessen hat, den Dosenpfand einzulösen, wenn Europe doch wieder mal "Final Countdown" spielen - oder Kollegin Hofer und ich in einem unwiderstehlichen Duett, bei dem wir tatsächlich mehr als den Chorus und die 1. Zeile kennen. Wut, Wut, Wut und Kreisky. Diese großartige Truppe begleitet mich die letzten Monate, ihr einfühlsames und verständnisvolles Werk "Trouble" wird zu Recht in deutschsprachigen Medien außerhalb Österreich abgefeiert. Warum: Weil hier der Wiener Grantler, dieses ewige Klischee, ein Gesicht bekommt, ein allzu menschliches. Denn die Schicksale, die die Band um Franz Wenzl besingt, sind jene vom Straßenbahnkontrolleur, vom Bademeister, vom Donauinsel-Besucher. Aber das alles auf "Wut" zu reduzieren, wäre ein Hohn. Denn Kreisky sind wie ein lautes Manifest, ein "Leckt's mi doch", runtergebrochen auf uns alle. "Scheiße, Schauspieler", "Asthma", "Vandalen", "Bitte Bitte" - alles großartige Songs, zu Recht spricht Wenzl vom "Hit-Block", als er die Songs ankündigt. Kreisky sind für mich die beste Band beim Donauinselfest bisher. "Menschen sind schlecht" spielen sie am Schluss, alle applaudieren, Wenzl: "Das ist kein Grund zum Freuen". Passt sowas von.
"Gott ist tot", sagte Nietzsche einst, aber da hatte der noch keine Ahnung von Darwin Deez. Der hat sich nämlich lange mit Philosophie beschäftigt, es sogar studiert, dann abgebrochen, weil es ihn krank machte. Verkopfung ist nicht die Sache des Hippies mit Lockenfrisur, der kann mehr: Tanzbare Melancholie ist sein Meisterstück. Nur soviel vorweg: Wer Darwin Deez, den neuen Hero der Anti-Folk-Bewegung live gesehen hat, wird sich niederknien vor all den Liebesbeweisen an die Auswüchse der kommerziellen Popmusik, die Deez in seine Songs einbaut, von Enyas "Sail Away" bis Paul Simons "You Can Call Me Al", dazwischen noch etwas Rage Against Machine, Ghostbusters und Star Trek beim meditativen Einmarsch. Das ist so großartig, so ehrlich, so kaltschnäuzig zugleich. Denn das erinnert wieder an "Final Countdown", das Fremdschämen hört spätestens bei den Ohrwürmern auf, die man selbst nicht aus dem Kopf kriegt. "Constellations", ""Radar Detector", "Bad Day", tanzbare Hymnen und Shalala-Gesang, Deez verarbeitet bröckelnde Beziehungen und Suizid-Gedanken in seinen Texten und bleibt dabei so herrlich Disco-tauglich. Die Band darf Choreographien vorführen, während Deez immer wieder stille Passagen voller kleiner Melodien einschleust - kein einziger, und das sei hervorgehoben - kein einziger Moment dieses Auftritts ist ohne Bubblegum-Qualität, pure Mitsing-Nummern, selbst wenn von unerfüllter Liebe gesungen wird. Ach ja: eine liebe Szene vor Beginn, noch unsichtbar fürs Publikum: Die ganze Band busselt sich am Bühnenrand ab, wünscht sich gegenseitig Glück und herzt sich innig. "Pop ist tot, lang lebe Pop", sagt nicht Nietzsche, sagt Darwin Deez.
Die schönsten Momente sind jene, in denen Mädchen in ihrer Einsamkeit vor sich hin singen, obwohl sie sich in einer immer größer werdenden Menschenmasse befinden, während ein kleiner Schmetterling im grellen grünen Licht umherschwirrt. So in etwa ist das Setting beim großen Finale auf der FM4-Bühne, mit den Schwedenpoppern der Shout Out Louds. Ein Finale, das Vorfreude weckt, denn es wartet sogar Darwin Deez geduldig in der Ecke und lässt seine Groupies, die hinter der Bühne sehnsüchtig auf ihn warten, einfach links liegen. Ich weiß, es ist etwas unfair, die Shout Out Louds immer wieder mit The Cure zu vergleichen, aber die verträumten Gitarrenriffs, die sich just like heaven in denselbigen hochschlängeln, das macht das Leben ein klein wenig besser. "Throwing Stones", "Fall Hard", "Impossible", das ist Zuckerwatte, das mag ich hören, wenn die Richtung, in die sich alles bewegt, für uns ein Rätsel bleibt. Ich kann mich noch erinnern, wie die Shout Out Louds bei der Radio Session letztes Jahr den Stadionrock ins kleine Radiokulturhaus gebracht haben, dieses Mal bringen sie ihn auf die Festivalbühne. Es gibt nur wenige Bands, die mehr Hits als Instrumente haben, wie es Kollege Zikmund schön formuliert, und so finden Kuhglocken, Rickenbacker-Gitarren und Trommeln Einzug in den klingenden Schweden-Sound. Es ist übrigens für einige Monate der letzte Auftritt von Adam Olenius, Bebban Stenborg und Kollegen - sie werden einzig und allein auf einer Hochzeit spielen, man kann sie also mieten. Eine gute Referenz haben sie heute abgelegt - während diese Zeilen verfasst werden, hat sich das Publikum verjüngt, viele Teenagerseelen, die Zeilen wie "I don´t want to feel like I don´t have a future" wie ein Schwamm aufsaugen. Dazwischen singt das Mädchen in der ersten Reihe immer noch vor sich hin, ganz für sich, alone in a crowd.
FM4 überträgt noch die letzten Minuten eines schönen Festes, das dieses Jahr auf der FM4-Bühne wieder mal ans Herz ging. Tonight i have to leave it, leider. Was bleibt sind abgelutschte Schlecker, Kümmelkartoffeln und die Vorfreude auf 2012. See you there.
Niko Ostermann