Erstellt am: 26. 6. 2011 - 04:40 Uhr
Madness returns
Erst letztes Jahr ist der Roman von Lewis Carroll ein weiteres Mal erfolgreich verfilmt worden. Die inspirierend-imaginierte Welt von Alice im Wunderland, bei der übliche Kausalitäten und Konventionen außer Gefecht gesetzt werden, hat unter der Regie von Tim Burton und mit Anne Hathaway und Johnny Depp in den Hauptrollen eine besonders herausragende visuelle Note spendiert bekommen.
"Alice im Wunderland" war und ist eine Geschichte, die stark von Grafik- und Character-Design lebt. Bereits seit 1899 wird das berühmte Buch immer auch bebildert und wurde in den letzten 100 Jahren von japanischer Anime-Ästhetik bis hin zum Disney-Kitsch in unzähligen visuellen Interpretationen in Szene gesetzt.

Spicy Horse / EA
Für Videospiele eignet sich das kuriose Wunderland mit den bekannten Charakteren wie Grinsekatze und Märzhase mindestens ebenso gut wie für Papier, Kinoleinwand oder Bildschirm. Das bekannteste Game unter ihnen ist zweifellos die Horrorvariante des ehemaligen id Software Level Designer American McGee. 2000 ist seine düstere Grusel-Alice erstmals erschienen. McGee hatte damals zwar keine einfallsreichen Spielideen, dafür ein Gespür für Dramaturgie und gute Settings. Die gelungene und abwechslungsreiche Gestaltung des verdorbenen Wunderlandes samt seiner bizarrer Wesen haben aus einem soliden Hüpfspiel ein bemerkenswertes, interaktives Erlebnis gemacht.
Seit seiner "Alice"-Interpretation hat es American McGee immer wieder mit neuen Games versucht, doch das Bemühen ist jedes mal mehr oder weniger stark daran gescheitert, dass er zwar professioneller Level Designer, aber kein besonders guter Game Designer ist. Die logische Konsequenz: Zehn Jahre später gothy Alice wieder aufwärmen.

Spicy Horse / EA
“Alice: Madness Returns“
Die Vorgeschichte zum alten und neuen Spiel ist trostlos: Alices‘ Eltern und ihre Schwester sind bei einem Brand der Hausbibliothek ums Leben gekommen. Seitdem ist das Mädchen naturgemäß stark traumatisiert. Nach ihren zunächst weitgehend besiegten Horrorvisionen im Irrenhaus (das haben wir im originalen Game durchlebt) ist Alice nun nicht mehr eingesperrt, besucht aber weiterhin einen Psychotherapeuten. Doch der ist keine wirklich große Hilfe - Alice findet ihr Wunderland weiterhin nur in Blut und Trümmern vor. So imaginiert sie etwa aus dem Zimmer des Therapeuten und den Straßen des viktorianischen London bizarre, grauenvolle Umgebungen - gespickt mit tödlichen, einäugigen Teekannen, unbarmherzigen Schraubenfliegen, scheußlichen Monstern mit Kindergesichtern und dampfenden und stampfenden Riesenmaschinen ohne Sinn und Zweck.
Die Maschinen sind ein wiederkehrendes Element bei "Alice: Madness Returns" und haben politische Relevanz - stehen sie doch für den kompletten Lebenswandel, den die Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts mit sich brachte. Die Angst vor der Knechtung des Arbeiters durch bedrohliche Gerätschaften und lange Zeiten am Fließband mischt sich im Horrorwunderland stimmig mit Alices‘ persönlichem Trauma.

Spicy Horse / EA
Wir sehen unsere adrett gekleidete Alice meist von hinten und steuern sie über Plattformen und Abgründe hinweg. Per Tastendruck können wir sie auf Ameisengröße schrumpfen lassen und so geheime Miniaturräume entdecken. Interessant wird es bei den Kämpfen, bei denen wir meist gleichzeitig gegen mehrere Monster in kleinen Arenen antreten müssen. Dabei setzen wir uns mit Hilfe recht ungewöhnlicher Waffen - etwa Pfefferstreuer und Regenschirm - und schnellen Ausweichmanövern zur Wehr. Wo die Sprungpassagen verhältnismäßig einfach sind, fordern die Kämpfe schon recht früh im Spiel ein hohes Maß and Geistesgegenwart und Geschick ein.
"Alice: Madness Returns" von Spicy Horse im Vertrieb von EA ist für PC Windows, PlayStation 3 und Xbox 360 erschienen.

Spicy Horse / EA
Spielerisch als auch von der Präsentation her ist "Alice: Madness Returns" ähnlich dem über zehn Jahre alten Originalspiel und damit nicht herausragend, aber durchwegs gelungen. Die Umgebung ist nicht gruselig, aber abwechslungsreich designt, und Alice selbst lässt sich geschmeidig und flott durch das verdorbene Wunderland bewegen. Problematisch wird es nach den ersten paar Spielstunden: Dann wiederholt sich nämlich alles immer wieder, ohne, dass man auf bemerkenswerte Twists oder Neuigkeiten treffen würde. Wer das Setting mag und gerne an einem Game über Wochen hinweg immer ein bisschen spielt, wird "Alice: Madness Returns" trotzdem schätzen.