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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 6. 2011 - 21:52

Journal 2011. Eintrag 123.

... oder auch: Fußball-Journal '11-61. Bringt die Frauen-Fußball-WM den Durchbruch oder verstärkt sie die Missverständnisse?

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Fußball-Journal ist das (auch) eines, weil es um Fußball geht.
Aber das, was an dieser Stelle da steht, nämlich der Absatz -
"Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen." - begrenzt es auf den heimischen Herren-Fußball. Durchaus bewusst. Journale zu großen Turnieren haben eigene Titel/Tags.

Heute in jedem Fall mit dem Versuch einer Einschätzung wohin der Frauen-Fußball durch die (das lässt sich jetzt, im Vorhinein, schon sagen) neue Maßstäbe setzende Weltmeisterschaft in Deutschland geht. Nicht so sehr sportlich, sondern im Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Und hier Ute Hölzls Leitfaden zur WM.

Die Sport-Schlagzeilen dieses Wochenendes sind vergeben, nicht so sehr an Marta, Wambach, Schellin oder Prinz, sondern eher ans Kollektiv, das Ereignis per se.
Die Frauen-Fußball-WM ist, in ihrem sechsten Durchlauf, über die Wahrnehmbarkeits-Schwelle getreten, die sie, als Randsportart, zu überschreiten hatte.

Das hat mit zunehmender Professionalisierung zu tun, mit gestärkter medialer Aufmerksamkeit, mit effektivem Pushing durch die FIFA und die Verbände und auch damit, dass Deutschland Austragungsort ist.
Deutschland, das spielerische und ideologische Zentrum des Frauenfußballs, mit dem DFB als treibender Kraft. Zwanziger und Co sehen sich, was Diversity betrifft, in vielerlei Hinsicht als Vorreiter, beim Frauen-Kick kommt die schlichte Tatsache, dass man die klar weltbeste Mannschaft hat, noch dazu.

Aus all diesen Gründen können die Medien, vor allem die deutschen, aber auch die österreichischen gar nicht anders als sich zu beschäftigen.

Und das tun sie auf unterschiedlichem Niveau, mit unterschiedlichen Ansätzen. Der Standard öffnet sein Album für eine brillanteCover-Story, die die historischen Wurzeln (zb die Bedeutung die der Frauen-Fußball im Österreich der Zwischenkriegszeit hatte) und die strukturelle Situation in Österreich herausstreicht, auf der FM4-Site streicht die bestmögliche Expertin, Web-Chefin Ute Hölzl die sportliche Normalität und Realität heraus.

Bajramaj oder Sundhage

Anderswo geht es um die von Nike gepushte Lira Bajramaj und ihre sehr spezielle Geschichte oder die Playboy-Ja-oder-Nein-Frage, also um Geschehnisse am Rande des Sports.
Die sind, keine Frage, interessant und berichtenswert.
Solange sich die mediale Berichterstattung aber auf diese Beckham-mäßigen Society-Themen konzentriert und es nicht um die Lebensgeschichte von Pia Sundhage oder das spezielle 4-2-3-1 von Silvia Neid geht, bleibt der Glamour-Faktor bestimmend; und der Unterschied zur "welcher Kicker ist der Schönste?"-Berichterstattung für die reinen Event-Fans, die Schönwetter-Lässigfinder von Großereignissen ist marginal.

Just in den letzten Tagen massieren sich Beschwerden von Genderbewussten, die beginnen, Abläufe und Aktionen zu hinterfragen. Warum es kein Panini-Heft gibt, oder warum die Intensität der Berichterstattung doch hinter den Herren zurückbleibt?
Berechtigte, wenn auch ein wenig verspätete Fragen, hinter denen sowas wie die implizite Quotenforderung steckt.
Allerdings besteht die Berechtigung nur auf dem Papier; weil sie die Praxis außer Acht lässt.
Teil dieser Praxis wäre es auch etwas zu wissen.
So aber engagieren sich Frauen, die Bresonik nicht von Bartusiak und Genoveva Anonma nicht von Amy Rodriguez unterscheiden können, für eine Level der Wahrnehmung, dass der Frauen-Fußball-Sport einfach noch nicht erreicht hat.

Bresonik oder Bartusiak

Das hat dieselbe 'Logik' mit der viele andere Mannschafts-Sportarten Medien/Öffentlichkeit konfrontieren: dass nämlich 'ihr' Sport, egal ob American Football, Inline-Hockey, Rugby oder Hackysack gefälligst auch die Beachtung bekommt, die man anderem auch zugesteht.

Die haben sie - in Österreich - nicht, weil ihnen die Breite, die Dichte und die Tiefe fehlt. Dass ich mich hin und wieder mit dem hierzulande ein Randsportart-Dasein fristenden Rugby beschäftige (das eh immer nur anlässlich des Top-Turniers, der WM) hat auch nur den Grund seiner geopolitisch und historisch tiefen Verankerung, anhand der sich vieles was über den Sport hinausgeht, erzählen lässt.

Diesen Anker hat der Frauenfußball in seiner kurzen Geschichte gerade erst ausgeworfen.
Jetzt hier eine Intensität und Begeisterung einzufordern ist - gerade in einem Sport, bei dem massive Verwurzelung, Mythen und G'schichtln eine so wichtige Rolle spielen, vermessen, ja grotesk.

Im globalen Frauenfußball gibt es nicht mehr als eine Handvoll Ligen, die halbwegs professionell betrieben werden. Weltweit stellen aktuell vielleicht ein dutzend Vereine und nicht ganz so viele Nationalteams Weltklasse dar.
Das ist - noch - deutlich zuwenig.
Da ist noch einiges an Aufbau nötig.

Anonma oder Rodriguez

Aktuell ist da noch ein bissl was von Frauen-Stabhochsprung dabei. Yelena Isinbayeva ist eine Wahnsinns-Athletin - ihr Sport wird aber erst dann eine umfassende Akzeptanz erfahren, wenn die Spitzer verbreitert wird.
Der Frauenfußball ist da schon längst auf der Schwelle.
Er wächst.
Das Engagement rundherum wächst.
Die Qualität wächst.

Und auch Begierden müssen wachsen.

Begierden nach interessantem, frischen Sport auf State-of-the-Art-Level. Nach diesem "Hast du das gesehen? Wahnsinn, oder?"-Motto. Erst dann wird aus reiner Bemühung etwas, was wirklich (und global) Funken schlagen kann.

Davon gibt es noch zuwenig. Zwei tolle deutsche Teams und die Frauen-Sektion von Olympique Lyon genügen nicht.

Die morgen startende WM kann das bewirken und über den Novelty-Effekt und den kaum verhüllten Sexismus männlicher Blicke (die es aber in jedem Frauensport gibt) hinausgehendes Interesse schaffen.

Wambach oder Isinbayeva

Die Vorraussetzungen sind da: erstklassige Coverage von ARD und ZDF; vernünftiges mediales Framework der deutschen Medien, alles bedenkende Specials sind dort der Standard - das Kicker-Spezialheft zur WM ist überhaupt ausverkauft.

Es muss nur noch zugeschaut werden. Und dann wird sich eine Wirkung einstellen; oder auch nicht.

Das führt dann zu Interesse, das führt dann zu Wissen.

Zu Wissen, wie dem dass es sehr wohl ein Panini-Klebeheft zur WM gibt. Nur nicht in Österreich, das vom Verlag als frauenfußballerisch allzu unterentwickelt und somit zu schwacher Markt gilt.
Zurecht.

Oder Wissen um mehr als nur das hübsche Gesicht von Fatmire Bajramaj, oder ihren kosovarisch-muslimischen Hintergrund und die Pionierleistung ihrer Familie da etwas zuzulassen, was ausstrahlt.

Apropos Tatort: der versuchte ja krampfhaft den Frauenfußball zu heterosexualisieren - in Abstimmung mit dem DFB, der auch alles unternimmt um aus der 'Lesben-Ecke' herauszukommen. Und das ist, wie alle übertriebenen Beschönigungen der Realität, auch wieder ein wenig grauslich. Denn es gibt da einfach eine Traditionslinie, wie beim Frauen-Tennis auch, warum also so tun, als wären der gesamte Sport so wie die Poppis und Liras, die der neuen, mehrheitlich heterosexuellen Generation angehören.
Also: genauso wie im Männerfußball gibt es Homosexualität; aber wo er im Männer-Fußball ein unglaubliches Tabu darstellt, war er im Frauen-Fußball traditionell ein wichtiger Faktor. Die neue Tendenz, dass sich nämlich die DFB-Frauen da am Schweige-Terror der Männer orientieren soll, hat was Ungesundes.

Das ist alles von Bedeutung, klar, aber es bleibt an dem Punkt hängen, wo der "Tatort" von letzter Woche steckenblieb (der genau so eine Geschichte zentral thematisierte): im Klischee.

Wissen um Bajramaj hiesse auch zu wissen, wie ihr aktuelles Standing im DFB-Team ist, dass sie wahrscheinlich nicht von Beginn an spielen wird und warum - das wiederum bedeutet Wissen um Melanie Behringer, Celia Okoyino da Mbabi oder Kerstin Garefrekes und das, was sie können.

Okoyino da Mbabi oder Garefrekes

Solange das fehlt, solange die sportlichen Geschichten rund um die großen Teams aus den USA, Brasilien, Schweden und Norwegen, von den Aufsteigern wie Frankreich und Nigeria nicht fixer Bestandteil der Frauen-Fußball-Folklore ist, wie das Wissen um Pele, Maradona, Cruyff, Platini, Zidane, Lineker, oder Figo, solange sich außerhalb von Deutschland nicht einmal das clever geschnürte DFB-Frauen-Paket Wahrnehmung verschafft, sind Forderungen nach quasi-gegenderter Aufmerksamkeit rein akademisch.

Wenn sich der Spezial-Diskurs nämlich auch in den Randzonen verliert und nicht zum Kern, zum Spiel vordringt, dann erzählt er damit von seinem Desinteresse am Eigentlichen.
Die Thematisierung des Ewiggleichen macht genau das, das oft in schiefes Licht getauchte Pseudo-Umfeld zur Arena, und trägt damit als Hemmschuh zur Erschwernis des Selbstverständlichwerdens eines logischen Sports bei.

Denn bei allem männerbündlerischen Konservativismus und der mitbeherrschen ultrareaktionären Ultrasicht auf die Dinge: wenn Frauenfußball hohes Level hat, erobert er sich seine Zuschauer, ganz von selber.

Wichtig ist die Investition von allen, und auch von allen Seiten. Auch und vor allem die Investition von Aufmerksamkeit und Beachtung, auch und vor allem von Seiten der Frauen, die den Schwung der WM in Deutschland ins eigene Leben mitnehmen müssen.

Denn zu glauben, dass allein die Forderung nach mehr Coverage und Medien-Zeit etwas bewirken wird, ist ein weit verbreitetes fatales Mißverständnis, dem allzu viele Freunde allzuvieler Randsportarten immer wieder unterliegen.

PS:

In Wien haben übrigens sowohl die Vienna als auch der Sportklub das getan, was Rapid und Austria seit Jahren (auch ein wenig aus Schiss vor ihren Problem-Fans) verabsäumt haben - sie gründen diesen Sommer ein Frauenteam. In Kärnten geht man, wie so oft, den umgekehrten Weg: dort wurde das Frauenteam gerade abgeschafft.