Erstellt am: 26. 6. 2011 - 15:05 Uhr
Reggae, Crack und weißer Hummer
Fotos: Klaus Brunner / Morten Andersen www.mortenphoto.com
Bob Marley dröhnt aus einer Bar, die Kinder spielen in ihren Schuluniformen Fangen und die Ladies tragen bunte Regenschirme – wahlweise gegen die starke Sonne oder den karibischen Regen. „Aaallright?“, begrüßen sie sich - „Oookay!“ lautet die passende Antwort auf Kreol-Englisch. Die Einwohner des Städtchens Pearl Lagoon stammen von Afrikanerinnen und Afrikanern ab, die im 17. Jahrhundert von Sklavenschiffen fliehen konnten. Vier Ethnien leben hier in Nicaraguas größter Küstenlagune mehr neben- als miteinander: englischsprachige Kreolen, das indigene Volk der Miskito, die Garifuna mit ihren afrikanischen Traditionen und ein paar spanischsprachige Mestizen.
Klaus Brunner
Karibikitsch - Pearl Lagoon frühmorgens
Vom Tourismus – zumindest in größerem Ausmaß – ist dieses Karibikparadies noch völlig unberührt. Stattdessen gibt es eine weit ertragreichere Einkommensquelle: Regelmäßig stranden am atlantischen Küstenstreifen Säcke voller Kokain. Die Lagune liegt auf halbem Weg zwischen den kolumbianischen Coca-Feldern und den Schnupfnasen der USA. Bei Razzien der Küstenwache und der amerikanischen Drogenbehörde D.E.A. werfen die Dealer die Pakete einfach über Bord ihrer PS-starken Schnellboote. So vernichten sie Beweise und verringern ihr Gewicht für die Flucht. „Die ganzen Drogen müssen erst einmal durch Mittelamerika. Die Leute in den USA wollen das Zeug, also kriegen sie es!“ sagt ein Bewohner von Pearl Lagoon, der lieber anonym bleiben will.
Morten Andersen
La langosta blanca
Früher oder später landet das wertvolle Treibgut an den Stränden der Karibik. „Weißen Hummer“ nennen die Einheimischen das Geschenk des Meeres. Sie trocknen das Pulver und verkaufen es weiter an Händler, die vor der Küste herumfahren. Die D.E.A. räumt ein, dass der „war on drugs“ hier wegen der historischen Situation besonders schwierig ist. Der langjährige Bürgerkrieg in Nicaragua hat eine schwer bewaffnete Landbevölkerung hinterlassen. Besonders die Miskito gelten als kriegserprobte Guerilla-Kämpfer. Der kolumbianischen Mafia bleibt deshalb nichts anderes übrig, als das Kokain wieder zurück zu kaufen.
In zwei weiteren holprigen Bootsstunden Richtung Atlantik erreicht man das Fischerdörfchen Tasbapauni. Von den Kokospalmen abgesehen, ist hier von einem Karibikparadies nicht viel zu spüren. Grölende junge Männer unter Einfluss von billigem Fusel und Crack stellen das Begrüßungskomitee, der gesamte Küstenstreifen ist vermüllt. Für die hier ansässigen Schrimpsfischer bedeutet das Kokain aus dem Meer vor allem eines: Hoffnung auf ein Leben, in dem sie nicht jeden Tag ihre nächste Mahlzeit fischen müssen. So mancher ist schon fündig geworden. Verblüffend große Häuser mit Satellitenschüsseln stehen auf dem schmalen Streifen zwischen Lagune und Meer, das Prädikat „neureich“ leuchtet aus jeder Fuge. Viele der jungen Herren in Tasbapauni würden mit ihren Diamantohrringen und Goldketten perfekt in ein Video von 50-Cent passen. Blingbling macht der weiße Hummer.
Morten Andersen
Crack und Baseball
Die Mangroven der Perlenlagune dienten seit eh und je Piraten als Unterschlupf. Heute sind es die Dealer aus Südamerika, die sich hier verstecken. Einerseits haben sich die Einheimischen mit der kolumbianischen Mafia gut arrangiert. Als Austausch für die „Gastfreundschaft“ sorgen die Gangster für Baseballplätze und Internetcafés, denn der nicaraguanische Staat hat sich noch nie besonders um dieses entlegene Fleckchen Erde gekümmert. Andererseits überschwemmen die Gangster bei ihren Zwischenstopps ganz Mittelamerika mit Crack um einen Dollar pro Dosis. Bei einem abendlichen Spaziergang durch die Straßen von Pearl Lagoon wird dieses Problem augenscheinlich – zig Jugendliche hängen in dunklen Ecken herum und rauchen sich in eine andere Welt. Geschätzte 300 Menschen sind im Lagunenstädtchen drogenabhängig.
Klaus Brunner
War wohl ein guter Fang...
The war on drugs
Weit entfernt in der Hauptstadt Managua spricht Polizeihauptkommissar Fernando Borge unterdessen von einem zermürbenden Kampf: „Wir sind viel zu wenige Polizisten, schlecht bezahlt und haben kaum Ressourcen. Dabei sind wir weder die Produzenten noch die Konsumenten des Kokains.“ Nicaragua ist als Teil der Joint Interagency Task Force South, einer Kooperation von zwölf Staaten, US-Marine, Küstenwache, C.I.A. und D.E.A. am Kampf gegen den Drogenhandel beteiligt. Doch die Schmuggler sind den Behörden stets einen Schritt voraus, inzwischen verwenden die Dealer sogar selbstgebaute U-Boote. „Die Kartelle arbeiten technisch ausgefeilter, wir halten dagegen. Sie entwickeln sich ständig weiter – und ein Ergebnis davon sind ihre Halbtauchboote, denen wir jetzt gegenüber stehen“ sagt Joseph Nimmich, Chef der JIATFS im Interview mit dem Spiegel.
75 Tonnen Kokain, 26 Millionen Dollar Bargeld und tausende Schusswaffen wurden im letzten Jahrzehnt alleine in Nicaragua beschlagnahmt. Ein Bruchteil dessen, was sich zwischen den Anden und den USA hin und her bewegt. Und während Bauern für Cocablätter weit mehr als für jede andere Pflanze bekommen, die mexikanischen Kartelle regelmäßig Blutbäder anrichten und die nächste Line auf einer schäbigen Diskotoilette gezogen wird, werden die Fischer der Karibik weiter die Augen offen halten. Jeden Tag auf der Jagd nach dem weißen Hummer.