Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "This Is Not A Graveyard"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

25. 6. 2011 - 16:11

This Is Not A Graveyard

It's a Concert! Das Donauinselfest geht in seinen 2. Tag mit Sex Jams, dem Nino aus Wien, Chikinki und Portugal. The Man.

Heute sendet FM4 von 19-0 Uhr live vom Donauinselfest

Fast schon surreal war er, der Marsch durch den leicht durchgatschten Boden hin zur FM4-Bühne, wo bereits gestern an Tag 1 am Donauinselfest dem leichten Regen getrotzt wurde. Auch heute soll es nicht gerade karibische Temperaturen bekommen, aber wen kümmerts? FM4 hat sein Zirkuszelt aufgeschlagen und hinter der Bühne ein lauschiges Wohnwagerl hergerichtet, inklusive der schnuckeligen Regenboots von Kollegin Hofer und einem Bett, auf das sich später noch Bands wie Chikinki und Portugal. The Man werfen werden. Mit ihren dreckigen Schuhen.

Stiefel am Donauinselfest

Niko Ostermann

Wetterfest wie immer
Bett im FM4 Wohnwagen

Niko Ostermann

Hier schlafen Chikinki

Alle Fotos im und außerhalb des Schlafbereichs von Niko Ostermann

Der Slogan des heutigen Tages stammt zweifelsohne von den Bühnenmoderatoren Joe Joe Bailey und Daddy G: "This is not a Graveyard, it's a concert", augenzwinkernd auf den sich erst langsam füllenden Publikumsbereich und den vom Regen aufgeweichten Boden, der heute noch als Spielwiese ekstatischer Artikulationen dienen soll. Anders ausgedrückt: Es soll heut noch ordentlich fetzen. Und wer könnte das besser einläuten, als die Sex Jams, die Wiener Noise-Popper, die mit ihrer Musik alles anturnen wollen, was noch Leben in und zwischen den Beinen hat. Und man hat sich was einfallen lassen, denn wenn vor der Bühne noch eher chilliges Beisammensein angesagt ist, wird auf der Bühne mit Skateboards gesprungen, gerauft und mit klitzekleinen Flummis geworfen. Die Band hat StatistInnen eingeladen, die weniger ab- als auf das Geschehen hinlenken wollen. Und das alles zu den Songs von "Post Teenage Shine". Zu schade, dass nicht mehr Leute dieses Zwischending aus Aufbegehren gegen den Weltverdruss und Performancekunst mitbekommen haben. Großartig, leider viel zu kurz. Nächstes Jahr bitte bei Nacht, mit Massenrauferei auf der Bühne. Vielleicht mit größeren Bällen.

Jetzt donnern schon die spacigen Gudrun von Laxenburg im Hintergrund, der Boden bebt. Aber keine Zeit, um sich unter der Bettdecke zu verstecken! Die Techno-Electro Kapelle ist schon eine Augenweide: Ein bisschen erinnert alles an den 1. Teil von "Back to the future" als Marty seinem Vater als Alien aus dem Weltraum erscheint. Auch hier wird mit jeder Menge weißen Overalls und freakigen Brillen herumgespukt, dazwischen immer wieder 90er Referenzen, als Euro-Dance zwar schon peinlich, aber massentauglich war. Ein unglaubliches akustisches Erlebnis von Gudrun von Laxenburg, mit Samples aus Klassik und Dance (z.B. Nightcrawlers!), jede Ader zuckt und man mag sich dem Dröhnen des Bodens vollends ergeben. Die Party kann beginnen. Bei dem Set hat man Lust die alten Bravo Hits-Sampler rauszukramen, jede Wette, dass im FM4-Wohnwagen ein paar rumliegen.

Müsst ich es zählen, würde ich scheitern: der Nino begleitet mich mit seiner großartigen Band schon durch unzählige Konzertabende, Festivals, Popfeste. Und auch wenn es eine ausgelutschte Beschreibung ist, die dem nicht aus der Ruhe zu bringenden Liedermacher sicher noch ewig verfolgt: Seine Texte und deren Darbietung sind vermutlich das Beste an seiner Musik. Gebrauchslyrik schimpfen es die Ahnungslosen, Dichtkunst die, die zwischen Rilke und Nino keine Grabenkämpfe erkennen. Und vielleicht würde so eine Coverversion von "Der Panther" dem Nino ganz gut stehen, wie er mit seinem ruhigen Ton, den Kopf leicht nach unten zum Mikro geneigt, das schleichende Tier beschreibt, wie es entlang der Gitterstäbe seines Käfigs wandert. Auf der FM4-Bühne packt Nino die E-Gitarren aus, singt vom Untergang in Venedig und von Johnny Ramone, und ein im November erscheinendes Duett mit Label-Kollege Fred Schreiber. Dem Mann muss man verfallen, große Verneigung. Beim Friseur war er auch.

Dann kommt eine ganz Große, schon jetzt. Das Donauinselfest hat nicht gerade den Ruf besonders viele Vorbilder für die Gesellschaft hervorzubringen. Aber es geht auch anders. Anlässlich des 100-jährigen Frauentages unterstützt femous, die Plattform für famous female culture, Mädchen und Frauen, ihre Musik an die große Öffentlichkeit zu bringen. EsRaP ist 2011 die Gewinnerin, verdiente sich zurecht ein Preisgeld von 1.000 Euro und einen Slot auf der FM4-Bühne. Aber darum ging es eigentlich gar nicht. Vielmehr geht es um diese junge Frau, die ihre deutsch-türkischen Texte einmal mit viel Gefühl und dann wieder mit viel Energie interpretiert und so Vorbild für unzählige MigrantInnen ist, die sonst medial nur als Außenseiter dargestellt werden. Kein Wunder, dass sich vor der FM4-Bühne viele von ihnen versammeln und mit Sprechchören diese Ausnahmeerscheinung unterstützen. Und hier rappt ein Paradebeispiel: Eine, die bei ihrer Matura Probleme mit ihrem Referat hatte und es dann schlicht und einfach rappte. Eine, die immer Gedichte schrieb, die sie später mit traditionell türkischer Musik kombinierte. Eine, die jetzt mit ihrem Preisgeld ihr erstes Album produzieren will. Parallelgesellschaften und Hetze müssen nicht sein, das wird hier nicht gepredigt, es wird exemplarisch vorgeführt. "Ausländer mit Vergnügen": R.E.S.P.E.C.T.

Während ich mir eine Kombi aus Gemüselasagne und seltsamen Wok-Gemüse genehmige (Kollege Ostermann kombiniert Schweinsbraten mit Gnocci, fragt nicht), hört man im Hintergrund schon, wie Effi die immer größer werdende Traube vor der Bühne begeistert. Ungewöhnlich, denn Singer-Songwriter ordnet man zumeist eher ins ruhige Eck ein, bei Thomas Petritsch wissen wir aber, dass der Grazer dem Hip Hop nicht abgeneigt ist. Vermutlich weiß er deshalb, wie Party gemacht wird. Da darf auch ein kleiner Astronaut nicht fehlen, der auf und ab hüpft, ein klein wenig erinnert das an Marvin aus "Hitchhiker's Guide to the Galaxy". Effi spielt ein liebevolles und euphorisches Set, es fallen Zeilen wie "Summer Sun, won't you come", und nicht nur mir fällt die Soundgarden-Referenz ein. Aber ehrlich: solch poppigen Hymnen muss man einfach verfallen. Immer wieder werden süßlich-triefende Karamel-Beach Boys-Harmonien druntergemischt, heftige Keyboard-Teppiche und "Nanana"-Singalong. Da schmeckt sogar manch wüste Buffet-Kombination.

Und dann Chikinki, die zwischen Bristol und Berlin pendeln und heute am Donauinselfest ihr neues Album "Bitten" vorstellen. Apropos vorstellen: Man stelle sich vor, dass es die Band jetzt schon 14 Jahre gibt, eigentlich unglaublich. Für mich versprüht der Fünfer immer noch den Charme einer Newcomer-Band, die sie damals anno 1997 war: In einer WG kennengelernt, sich halt als Band zusammengerauft, sich den superdoofen Namen Chikinki gegeben. Heute passt er aber wie angegossen, denn schaut man ganz genau hin, dann sieht man die Poritze von Keyboarder Boris Exton herausblitzen, wie er wie der verrückte Professor mit Nickelbrille zwischen seinen Synthesizern umherhüpft, fast den Anschein erweckend, dass er jeden Moment einen davon umschmeißt. Da spürt man in jeder Pore den Strom, nicht nur bei Exton, sondern auch beim Rest der Band, immer pendelnd zwischen brachialem Disco-Sound und Brit-Pop. Das alles ist genau durchdacht, diese Mischung aus Power-Disco und 60s-Retro-Rock, die schlauen Breaks zum Spannungsaufbau aus dem Funk, der verzerrte Chorus: Chikinki verstehen es die Dramaturgie eines Sets 1:1 vom Album zu übernehmen. Eine großartige Live-Band mit purem Festival-Sound, diese fünf Herren in ihren schicken Anzügen aus Bristol.

Thomas Rabitsch steht neben mir, als Attwenger, in grünem Licht gehüllt, die Bühne betreten. Zuvor verlangte es einiges an Soundcheck, bis Apfel-Laptop, Schlagzeug und Ziehharmonika perfekt harmonieren. Aber dann geht es los mit der "verstärkten Volksmusik", wie es einst vor zwanzig Jahren auf ihrer MC "Auf da Oim gengan die Kia" stand. Ein bisschen ist es auch heute noch Wagemut, ein solches Programm auf die Bühne zu bringen: nur zwei Leute, einer davon mit einer Ziehharmonika. Aber es passt, die Alben von "Most" bis jüngst "Flux" bieten ein breites Spektrum von Feedback-Gequietsche, HipHop-Beats, Loops und Mundart-Texten. Markus Binder und Hans-Peter Falkner haben in ihrer Karriere einiges probiert, von dadaistisch angehauchten Lyrics bis Krautrock-Reminiszenzen war alles dabei. Kein Wunder, dass John Cage zu ihren glühenden Verehrern zählte, obwohl er vermutlich kein Wort von dem verstanden hat, was da gesungen wurde. Und offen gesagt: Auch mir fällt es manchmal schwer. Aber hier passiert was: Hier werden volkstümliche Angelpunkte, die am Inselfest nie fehlen durften, von ihrem kommerziellen Musikantenstadl-Image befreit, ja, ein klein wenig muss man sogar sagen, dass hier wieder heftig reflektiert wird, mal laut und leise, mal kritisch und spielerisch. Und vermutlich waren Attwenger schon lange nicht mehr so cool wie jetzt, in einer Zeit, in der Gruppen wie Trackshittaz mit Harmonika-Wucheln ihre Tracks ergänzen und Florian Silbereisen bei Ziehharmonika-Solos seine blonde Mähne schüttelt, als sei er Mitglied bei Iron Maiden. Zum Glück haben Attwenger mit denen nichts am Hut, das hier ist Ursprung. Ein tolles Set auf der FM4-Bühne, bei dem einzelne Nummern miteinander verschmelzen, zum Fluss werden. Ganz im Sinne der Bedeutung von "Flux".

Und dann könnten die Temperaturen nicht besser passen als zu der Band aus Alaska, denn es wird so richtig richtig richtig kalt. Endlich kommen Portugal. The Man. Im Vorfeld hat Drummer Jason Sechrist sein Werkzeug akribisch präpariert und mir nebenbei geflüstert, dass das neue Album "In The Mountain, In The Cloud" heißt, und die Band immer wieder darüber witzelt, dass mit dem Titel gut und gerne österreichische Berglandschaften gemeint sein könnten. Jaja, für die Amis haben wir im kollektiven Gedächtnis halt hauptsächlich Berge. Aber ab jetzt auch ein gigantisches Festival, denn das Quartett staunt nicht schlecht, als eine riesige Festivalcrowd ihnen zu Füßen liegt, während sie Stücke des neuen Werkes wie "Got It All" und Altbekanntes wie "The Sun", "The Woods" und "Do You" spielen. Wer sich noch ein bisschen zurückerinnert: Im April haben Portugal. The Man eine hinreißend entspannende und groovige Radio Session vorgetragen, semi-akustisch war das damals. Heute wird voll aufgedreht, die Gruppe hat sich zu einem wahren Publikumsliebling gemausert, der seine Asse gezielt ausspielt: die drei harmonischen Stimmen, die ewig majestätischen Gitarren, das energische Rhythmus-Netz von Drummer Sechrist. Tatsächlich haben Portugal. The Man auch am Donauinselfest ein Gespür für den Wechsel zwischen lauten und leisen Passagen, für Gänsehaut- und Crowdsurfing-Momente. Ein mehr als würdiger Headliner für diese kalte Nacht.

Morgen gibt's auch einiges: Kommando Elefant, die Wutbürger Kreisky und die Pop-Heroes aus Schweden, die Shout Out Louds. Hoffentlich mit euch, 'cause this is really not a graveyard.