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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 6. 2011 - 23:19

Journal 2011. Eintrag 122.

Ist Ai Wei Wei ein Regimekritiker? Wie viel ist der politische Symbolismus des globalen Kunstmarkts wert?

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit ein paar prinzipiellen Fragen zu der seltsam unhinterfragten Aktion rund um den Künstler Ai Wei Wei, dessen Freilassung aus einer dubiosen U-Haft der chinesischen Behörden gestern gefeiert wurde.

Kia Vahland beginnt heute in einer der gleich zwei langen und intensiven Auseinandersetzungen des Feuilleton-Ressorts der Süddeutschen Zeitung mit dem chinesischen Konzept-Künstler Ai Wei Wei und dessen kürzlich erfolgter Freilassung nach etlichen Wochen einer dubiosen Festsetzung durch die Staatsmacht mit einer Analyse des Kunstmarkts, der - das ist eine ihrer Thesen - auf Basis dieser Geschichte gerade eine harte Prüfung durchläuft. Was die universale Kunstfreiheit überhaupt wert sein, fragt sie.

Und dann folgen ein paar ganz wichtige Sätze: "In kaum einer Disziplin wird so ausgiebig über Politik geredet wie in der Bildenden Kunst; Systemkritik gehört auf den vielen Großveranstaltungen, der Documenta oder den Biennalen, zum guten Ton. Manch ein Jugendlicher, der als Flugblattautor begann, wechselt in die Kunst, weil hier alles sagbar ist und im geschützten institutionellen Rahmen der Hochschulen, Produzentengalerien, Kunstvereine auch gehört wird. Der Weg in die Politik, über Ortsvereine, Parteiflügel und Wahllisten, erscheint vielen müßiger und langweiliger als das kreative Engagement auf der symbolischen Ebene."

Die hochgeschützte Kunst, in der alles sagbar ist

Was diesen Aspekt betrifft hat die Bildende Kunst auch längst die Musik, vor allem die schnellproduzierbare Popmusik, abgelöst. Das allerdings nicht wegen der beschriebenen Mühsal des realen politischen Engagements, sondern aus ganz niederen, rein pekuniären Gründen. Der Kunstmarkt hat an finanzieller Anziehungskraft alle anderen Bereiche, vor allem den ökonomisch siechenden Musikmarkt, längstens abgehängt.

Nun hat die deutlich in Richtung Gewinnmaximierung, Sammlerwahn und Galeristengier drängende Kunstproduktion in den letzten Jahren massiv an Substanz verloren - jeder weiß, dass um des Geldes wegen produziert wird, dass es um Auktions-Rankings geht, dass die medialen Eitelkeiten bald denen der High Fashion-Welt nahekommen.

Dementsprechend bedeutungsleerer werden die Floskeln, die Aktionen, Projekte und Konzepte begleiten - vielleicht mit Ausnahme derjenigen, die sich immer in mehr oder minder frischer Anarchie bewegt haben. Der Rest erklärt immer neue und originelle Konzepte mit immer hohleren Flugblatt-Phrasen. Diese inhaltlich blutleere Kunst zielt auf die Geldgeber, also den Markt, nicht so sehr auf einen Konsumenten - und sie schämt sich zunehmend für ihre Schwächen.

Politischer Aktivismus frischt den Kunstmarkt auf

Genau aus diesem Grund geraten Aktionen wie die von Ai Wei Wei im westlichen Fokus dann aus der Balance - ihnen werden gerade heilsbringermäßige Kräfte zugestanden; denn schließlich bewegt sich da einer in einer wirklichen realen Gefahrenzone, als politischer Rebell - und nicht nur als Salon-Löwerl, das sich im Slalom zwischen Galerien und Sammlern gut bewegen muss.

Der Kunstmarkt und seine ihm zuarbeitenden Spezial-Medien und "Experten" (die - wie viele ihres Standes - hauptsächlich an Mystifizierung, Verschleierung und Sicherung des eigenen Ranges, und kaum an einer kritischen Hinterfragung der Branche interessiert sind) stecken nun im Dilemma: einerseits Erregung und Engagement für den gefährdeten Vorbild-Künstler - andererseits aber bloß keine Gefährdung des frisch aufgebauten chinesischen Kunstmarkts. Hier hat sich in den langen Wochen, in denen Ai Wei Wei (wie einst Capone) wegen Steuerhinterziehung einkassiert war, einiges an ekeliger Heuchelei abgespielt - die allerdings nie in eine größere Öffentlichkeit drang.

Der Vogelnestbauer und Staatsarchtiekt als Regimekritiker?

Auch weil die ja genauso nur am Thriller, an der Schlagzeile, an der Oberfläche interessiert war: Regimekritiker, Künstler, eingesperrt von den bösen Chinesen.
Was so ja auch stimmt, vom Weltall aus betrachtet.

Natürlich kann man Ai Wei Weis Leben und Werk als einzigen rebellischen Akt darstellen - und im Einzelnen ist das auch stimmig.

Man kann ihn aber auch so sehen wie Zhu Ling in dieser Analyse für die NZZ im Mai: dass nämlich er, Spross einer elitären kommunistischen Familie, Sohn eines führenden Staatsdichters und einer der wenigen, der sich in den 80ern ein Auslandsstudium leisten konnte, erst Mitte der 90er, mit Hilfe einer "Swiss Connection" nicht nur zum Auftrag für das berühmte Vogelnest (das Stadion-Renommiertobjekt für Olympia 2008) ergattern, sondern wurde auch Teil des angesprochenen Kunstmarkts.

Die Swiss Connection investiert in den Marktwert

Zitat: "Urs Meile vertritt Ai Weiwei seit 1996 und trieb 2007 die zwei Schweizer Stiftungen auf, welche Ais Teilnahme an der Documenta 12 mit 3,1 Millionen Euro finanzierten. Dabei wurde ein Refinanzierungsplan ausgearbeitet, wonach das investierte Geld im Fall der Steigerung des Marktwerts Ai Weiweis von Urs Meile wieder zurückgezahlt wird."

Später sagt Zhu Ling, eine Galeristin für chinesische Gegenwartskunst in Berlin, dass sich Ai Wei Wei mit diesem höchst "effektiven Erwirtschaften von Geld" sehr gut in das neue chinesische System zwischen Warenwelt und Unterdrückung einfügt und seine ganze Karriere (die immer wieder durch ganz offizielle Projekte oder Auftragsvergaben der öffentlichen Institutionen gefördert wurde) das System letztlich nur widerspiegelt.

Als Regimekritiker nun nimmt in China Ai Wei Wei niemand wahr. Seine einzigen kritischen Äußerungen von Belang fanden in seinem Blog statt (später weitete Ai Wei Wei das auf Twitter aus).

Aber hier folgt auch Ai Wei Wei genau dem Muster, das Kia Vahland eingang beschreibt: die Kritik ist allgemein und vage, das symbolische Engagement verliert sich im Diffusen.

Ai Wei Who?

Ganz ähnlich argumentiert Wei Zhang, auch in der NZZ, in einer Geschichte aus dem April des Jahres. Auch er spricht Ai Wei Wei das "politische" ab. Unter anderen eben weil Ai Wei Wei, der gute Sohn, der Archtitekt der Großprojekte für Staat und Partei, sich entschlossen hat, für den westlichen Kunstmarkt zu arbeiten, anstatt seine subversive Kunst im und fürs Land selber zu gestalten.

Da treffen sich zwei Interessen: der ehrgeizige Geschäftsmann, dem das Vogelnest nicht genug ist, und das Kunstmarkt, der die riskanten, neuen, wilden Figuren braucht, um sich selber zu rechtfertigen.

Nur: den riskanten Regimekritiker, der Ai Wei Wei nach unserem Dafürhalten ist, den kennen die Chinesen nicht. Wei Zhang berichtet auch, dass sich auch die von der Staatsmacht unterdrückten Polit-Blogger erst erkundigen mussten, wer denn dieser Mann sei, den die westliche Presse jetzt als eingesperrten Helden abfeiert.

Inszenierungen fürs Ausland und für die Kunstwelt

Ai Wei Wei ist also ein Regime-Kritiker.
Aber eher einer, der das für uns, fürs Ausland macht; im vergleichsweise immer noch geschützten Rahmen - sein US-Pass wird ihn vor dem bewahren, was den vielen namenlosen wirklichen Regimekritikern, die konkrete Mißstände anprangern, jederzeit passieren kann.
Ai Wei Wei ist der Regimekritiker, an dessen Schicksal wir uns besser fühlen können - ohne uns auch nur eine Sekunde zu überlegen, was er/es in China bedeutet.

Der politische Symbolismus des globalen Kunstmarkts ist, das zeigt die Affäre rund um Ai Wei Wei recht deutlich, inmitten einer ideellen Blase gefangen, die denmnächst platzen wird.

Ai Wei Wei würde auch danach bestehen können: seine widerborstigen und widersprüchlichen Aktionen haben eine rumpelstilzartige Kraft. Nur der Verkauf an einen um sich selber und seine Gier kreisenden globalen Kunstmarkt macht sie aktuell zum Papiertiger.