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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

27. 6. 2011 - 17:02

"Wem die Wörter schmecken"

Yuri Herrera findet in seinem Romandebüt "Abgesang des Königs" eine neue Sprache für die Ereignisse im mexikanischen Drogenkrieg.

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Welcome to Tijuana! oder Ciudad Juarez! oder Nuevo Laredo! Drei mexikanische Städte an der Grenze zu den USA, die hauptsächlich in Zusammenhang mit Drogenhandel, Menschenschmuggel und Prostitution in die Schlagzeilen der Massenmedien kommen. Drei Städte, an denen Yuri Herreras Roman "Abgesang des Königs" spielen könnte.

Betonterasse mit Aufschrift to U.S.A. Daneben ein Schild mit der Aufschrift Shurt Cut USA Border. Am RAnd ein Alter Mann mit Einkaufswagen

http://www.flickr.com/photos/buzzthrill/

Der kurze Weg über die Grenze

2006 hat der mexikanische Präsident Felipe Calderón dem Drogenhandel den Krieg erklärt und seither sind an den vielen Schlachtfeldern des Krieges über 36.000 Menschen gestorben. Ende ist keines in Sicht, denn die Perspektivenlosigkeit unter den BewohnerInnen der Grenzregion macht es den Kartellen einfach, Leute zu rekrutieren.

Lobo, der Protagonist in "Abgesang des Königs", ist einer von jenen, die sich vom Glanz des Verbrechens blenden lassen. Seine Eltern sind über die Grenze gegangen und haben ihm nur ein Akkordeon zurückgelassen. Er wohnt in einer Papphütte, um die er mit Hunden kämpfen muss und verdingt sich als Kneipensänger. Tag für Tag übt sich Lobo im Ertragen seines Unglücks, bis er in einer Bar einem Kartellcapo begegnet und in ihm einen König erkennt. Der König erhebt Lobo zum Künstler und nimmt ihn in seinen Hofstaat auf.

Die Tradition der Narcocorridos, Lieder über die Welt der Drogenmafia reicht bis in die 1980er zurück. Immer wieder wollte man sie verbieten, um die Verherrlichung von Verbrechen zu verhindern.

Der Künstler, wie Lobo fortan nur noch genannt wird, dankt seinem Herrn die Erlösung aus dem Elend mit Liedern, in denen er die Heldentaten des Königs, seinen Schneid und seine Großzügigkeit herausstreicht. Er besingt das "Fingerabzwacken", das Sammeln von Zähnen als Souvenier und das Schmuggeln. Der Künstler wähnt sich auf der Seite der Guten und wird zum Propagandisten des Verbrechens. Er weiß, das seine Lieder Waffen sind, die Angst verbreiten, auch wenn sie im Radio nicht gespielt werden, weil es die Order gibt, das Thema totzuschweigen, "Kosmetik für die Gringos".

Der Künstler braucht eine Weile, um zu begreifen, dass der König nicht der Mittelpunkt des Universums, sondern dass auch sein Reich begrenzt ist. Langsam beginnt er sich zu emanzipieren, wobei ihm ein Journalist am Hof behilflich ist. Er versorgt ihn mit Literatur und dem Hinweis "wem die Wörter schmecken, der kann sich da genüsslich mit den Ohren besaufen." Den befolgt der Künstler. Er gibt sich dem Rausch der Wörter hin und erweitert zugleich mit seinem Wortschatz auch seinen Horizont. Als er schließlich auch noch die Frau des Königs zu begehren beginnt wird der Künstler vom treuesten Vasallen des Königs zu einer Gefahr.

Der Autor Yuri Herrera mit Brille in einem Cafe, im Hintergrund hängt ein Bild

Paca Flores

Yuri Herrera
Buchcover von "Abgesang des Königs". Im Bild ein Tisch in der Wüste, bedeckt mit Sand

S.Fischer Verlag

"Abgesang des Königs" wurde von Susanne Lange übersetzt und ist bei S.Fischer erschienen.

Yuri Herrera versucht in "Abgesang des Königs" eine neue Sprache für die Ereignisse im mexikanischen Drogenkrieg zu finden. Er bewegt sich zwischen den protokollarischen Aufzeichungen der Polizei und den sensationsgeilen Geschichten der Zeitungen. In lakonischem Stil und mit einem leicht naiven Protagonisten erzählt Herrera vom Alltag in der Grenzregion, von den Morden und den Prahlereien der Gangster, von Verrat oder der Korruptheit der Staatsmacht. So zeichnet er ein differenziertes Bild eines Konfliktes und zeigt die Strukturen der Macht auf, die so schwer zu durchbrechen sind.

Zwar ist Herreras Roman in Mexiko schon 2003, noch vor der Eskalation des Drogenkriegs erschienen, doch hilft er dessen Hintergründe zu verstehen. "Abgesang des Königs" ist ein Entwicklungsroman, der zu keinem Zeitpunkt peinlich wirkt oder die Moralkeule schwingt, der aber die Augen öffnet für Alternativen zur Kriminalität, und die müssen nicht jenseits der Grenzen liegen.