Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Fußball-Journal '11-59."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 6. 2011 - 17:20

Fußball-Journal '11-59.

Gibt es einen linken Fußball? Und was hat der mit der "linken Partie" im Fußball-Journalismus zu tun?

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit zwei Fragen und möglichen Antworten darauf.

Ein paar Cesar Luis Menotti-Zitate zum linken und rechten Fußball.

"Der rechte Fußball will uns suggerieren: Das Leben ist Kampf, verlangt Opfer, wir müssen uns stählen und mit allen Mitteln gewinnen. Sich anpassen und funktionieren, so hat die Oberschicht auch den Fußballprofi am liebsten."

"Der Fußball der Rechten reproduziert und untermauert die in dieser Gesellschaft gültigen Wertvorstellungen. Es ist die Art von Fußball, bei der nur der Gewinn zählt, und Gewinn heiligt alle Mittel. Gemeint sind nicht nur eine ultradefensive Taktik, Ausdruck von Raffgier und Spekulation, sondern auch Verletzungen des Reglements und der Einsatz aller erdenklichen faulen Tricks."

"Rechter Fußball verleugnet seine Ursprünge, er verachtet die Begabung. Er ist krank und macht krank, weil er wie alle Konsumartikel dem Wesen nach hinfällig und vergänglich ist. Was gewinnt, ist gut, weil es sich verkauft. Die Rechte dagegen kennt nur ein Engagement, und das ist der Profit."

"Diese Art von Fußball verhunzt ihre eigene Identität, indem der dem Fußball seit seinen Anfängen eigentümliche Charakter eines Volksfestes verleugnet wird."

"Der Fußball der Linken hingegen ist im Sinne einer Lebensäußerung eine Sache des Talents, bei der die Intelligenz an oberster Stelle steht und der Sieg soviel taugt, wie die Mittel, mit denen man ihn erringt. Er respektiert die Gefühle der Menschen, weil er zwar auch den Triumph kennt, jedoch keinesfalls auf Kosten des spektakulären Ereignisses, das jedes Fußballspiel zu sein verspricht. Beim Fußball der Linken ist der Spieler ein denkendes Wesen, das Schönheit schafft und sich mit dem Volk solidarisiert, damit der neue Mensch in einer neuen Gesellschafts-Ordnung entsteht."

"Der rechte Fußball denkt an Gewinnmaximierung, der linke Fußball ist generös und nur dem Publikum verpflichtet, vermittelt Lebensfreude."

Das mit dem "linken Fußball" hat El Flaco erfunden, Cesar Luis Menotti, der argentinische Weltmeistertrainer von 1978, der Philosoph und Kettenraucher.
Seitdem beten das alle, die sich daran ergötzen oder reiben wollen, nach - ohne groß drüber nachzudenken, in welcher Situation Menotti seine These entwickelt hatte.
Der "linke Fußball", den er sein Team 78 spielen ließ, richtete sich ganz konkret gegen die ultrareaktionäre Terror-Herrschaft des Militärs, das die Heim-WM propagandistisch ausschlachtete. Menotti nutzte seinen unantastbaren Heldenstatus um ein Signal auszusenden, ein Gegengewicht zu sein.
Gemeint war sein Glaubenbekenntnis für einen "linken" und gegen einen "rechten" Fußball natürlich methaphorisch: es ginge um "die Entscheidung für die eine oder andere Form der Existenz." Das stellte Menotti in den 90ern klar.

Publikumsorientierung vs Gewinnmaximierung

Trotzdem ist dieses Fantasma seitdem nicht mehr wegzukriegen. Zuletzt war der Spruch vom "linken Fußball" von Josep Guardiola, dem Trainer der aktuellen Barcelona-Mannschaft zu hören - eine nachvollziehbare Logik, weil auch Barca das kreative lustvolle an sein Publikum gerichtetes Spiel pflegt. Aber auch hier ist die ist die Besonderheit der Situation zu berücksichtigen: natürlich hat das widerständische, vom ultrareaktionären Terror-Regime der spanischen Frankisten jahrzehntelang gepeinigte Katalonien und sein Aushängeschild da eine entsprechende Tradition des (spielerischen) Widerstands entwickelt.

Problematisch wird es, wenn aus diesen recht konkret situierten Aussagen globale Parallelen konstruiert werden, egal ob sie harmlos daherkommen wie bei Dany Cohn-Bendit oder dämlich wie bei der psychologischen Analyse von Fußball und Politik in der Geschichte der BRD.

Ein differenzierter Blick jenseits der Klischees ("Linker Fußball atmet den Blochschen Geist der solidarischen Individualität.") - wie dieser hier, der die Klinsmann-Ära nicht politisch, sondern ökonomisch zuordnet und dabei die McKinseynisierung des Fußballs entdeckt - ist selten.

Die Mär von der politischen Neutralität

Ansonsten: Schubladen.
Egal ob für Freiburg und St. Pauli, für Paul Breitner und Johan Micoud oder Thomas Broich.

Natürlich ist es statthaft destruktiven und hässlichen Fußball als solchen zu benennen und sich dabei daran zu erinnern, dass auch dieser Sport nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern gesellschaftlich verankert ist - der Spiegel schafft das anlässlich des fußballerischen Tiefpunkts der WM 98 ganz gut.

Die in jeder Faser ihrer Bewegung zutiefst politisch handelnde und großteils auch politisch instrumentalisierte und unterwanderte Fan/Ultra-Szene weist die Kategorisierungen mit großer, fast schon hysterischer Geste von sich; wie zuletzt die Rapid-Ultras in ihren Aussendungen. Der "richtige" Fan nimmt alles in Kauf, verhält sich politisch "neutral".

Zeichen setzen vs Phrasen nachplappern

Da klären sich die Bedeutungen, da lassen sich die Unterschiede dann festmachen.
Wo die einen mit scheinbarer Neutralität Systeme stützen, setzen die anderen mit einer Gegenhaltung ein gesellschaftliches, letztlich auch politisches Zeichen.

Das große Neonazi-Problem der polnischen Fan-Szene etwa ist Resultat einer aus jeglichem Ruder gelaufenen, pervers revanchistischen Gegen/Protestbewegung zum Staats-Fußball alter Ostblock-Prägung.
Die italienischen Ultras wiederum spalten sich in eine linke und eine rechte (neofaschistische) Szene auf, ganz ohne konkretes Feindbild, mit dem puren Wunsch nach einem Outlet für angestautes Gewalt-Potential.

Die Sache mit dem linken und rechten Fußball ist also eine extrem vielschichtige und in jeder Facette individuell zu behandelnde Angelegenheit.
Und nix zum fixen Nachplappern.

Und jetzt zur linken Partie im Fußballjournalismus...

Deshalb ist die Start-Bemerkung zur aktuellen und höchst verdienstvollen Taktik-Reihe des Web-Portals laola1.at auch so interessant. Dort spinnt nämlich ein nicht namentlich genannter (aber allen Insider bekannter) Print-Journalist den Begriff des "linken Fußballs" weiter. Er benennt ein paar lose an ähnlichen Projekten arbeitende Medien/Portale/Blogs als entsprechend "linke Partie".

Deren Arbeit - nämlich die Forcierung einer Berichterstattung, die ihrem Namen gerecht wird, einer intelligenten und mit-/nachdenkenden Begleitung, die sich dem tatsächlichen Geschehen auf und um den Platz herum widmet, anstatt ihr systemerhaltendes Süppchen rund um Resultatsfetischismus und Anpassung zu kochen - würde ihm, wie auch vielen anderen Kollegen, zwar gefallen. Für das breite Publikum in seinem Medium wäre das aber nichts. Dort sei "Stammtisch-Journalismus" gefragt.

Scheuklappige Bankrotterklärung

Da trifft sich der Mainstream-Journalismus mit der Fan-Meinung, dass Politik und überhaupt das gesamte Umfeld, egal ob wirtschaftliche oder gesellschaftliche Entwicklungen mit dem Fußball nix zu tun haben dürften.

Für Ultra/Fans, also Puristen und Traditionalisten, die sich immer schon Entwicklungen versagt haben, und sie als deshalb meist als allerletzte mitmachen (zu einem Zeitpunkt wo Gegenwehr schon als komplett lächerlich angesehen wird) mag das angehen.
Für Journalisten, also die Späher und Scouts der Gesellschaft, ist eine solche Haltung hingegen eine Katastrophe, ja eine Bankrotterklärung.

Im übrigen sieht dieses Publikum, das zeigt diese desillusionierende Studie immer noch so aus wie seit jeher: hetero, männlich, weiß.

Im Sport-Bereich, wo die Ressorts von der Generation der 50/60jährigen dirigiert wird, zeigt sich die Abschottungs-Tendenz am allerstärksten. Meist wird schon das, was abseits der Piste/des Platzes passiert und das reine Klatsch-Level überschreitet, als Tabu-Bereich definiert.

Heimischer Sport-Journalismus auf die Kartnig-Anklagebank!

So wusste die gesamte Fußball-Journaille seit immer schon, was sich in der Kartnig-Ära bei Sturm Graz abspielte - und es gab einen breiten Konsens darüber dies nicht zu berichten. Die Mainstream-Medien haben sich also - aus wahrhaft niederen Motiven, meist einer Reise oder VIP-Behandlung wegen - der Förderung des Systems Kartnig mitschuldig gemacht, anstatt ihrer Pflicht nachzukommen.
Letztlich sollten sie mit auf der aktuellen Grazer Anklagebank sitzen.

Den angesprochenen Stammtisch-Journalismus verorten diese Medien-Vertreter folgerichtig "rechts". was nicht unbedingt parteipolitisch, aber einstellungsmäßig stimmt: Systemerhaltung um jeden Preis, auch den der de-facto-Selbstaufgabe des Berufs-Ethos.

Rechte Stammtisch-Hoheit des Mainstreams

Die "linke Partie" hat nun in den letzten Monaten das, was die "Stammtisch-Journalisten" in Jahrzehnten verabsäumt haben, in Angriff genommen. Und siehe da, einigen der selbstpositionierten "Rechten" gefällt das sogar. Und die jüngeren Mitarbeiter dieser für den Stammtisch produzierenden Redaktionen schummeln sogar hin und wieder etwas ein.

Eigentlich wäre die Zeit also reif dafür, dass das lang verabsäumte in den Mainstream schwappt - wenn man sich nicht weiterhin der immer größer werdenden Schuld am Niedergang des Sports, den man mit Lügen, Schmähs und Beschönigungen eh nicht retten kann aussetzen will. Der internationale Druck in einer enger werdenden Medien-Konkurrenz-Situation (denn Österreichs Sport-Mainstream-Journalisten sind im deutschen Sprachraum nur mehr eine Lachnummer) wird auch größer.

Folgt jetzt ein kleiner Stellungskrieg?

Aber mit der "links"-Punzierung ist - vielleicht unabsichtlich, aber, gibt es Zufälle? - auch gleichzeitig der größte Hemmschuh dieser an sich logischen und natürlichen Entwicklung. In einem gesamtgesellschaftlichen Klima wie dem hiesigen ist (im Gegensatz zu Deutschland etwa) "links" eher uncool. Wer erfolgreich sein will, hängt sich an die im Aufwind befindlichen Rechtspopulisten. Die ja auch die Luft-Hoheit über die Stammtische besitzen.

Mit diesem, ich möchte fast sagen "Constantini-Schmäh" fahren die Medien-Vertreter, die den Übergriff der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung ihres Sports und die dafür auch unumgängliche tiefergehende Analyse von Spiel und Umfeld hintanstellen wollen, aktuell noch recht gut.

Ewig lässt sich der moderne Ansatz des Fußballjournalismus nicht aufhalten, aber ein kleiner Stellungskrieg geht sich schon noch aus. Mit der Ansage gegen die "linke Partie" ist diese Schlacht eröffnet worden.