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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

22. 6. 2011 - 12:15

Mit der Zeit gehen

Unbekannte Graffitikünstler verpassten dem Denkmal der sowjetischen Armee in Sofia einen neuen Look

„Papa, wer ist dieser Mann?“, fragte ich meinen Vater im Sommer 1989 bei einem Spaziergang im Meeresgartenpark in Varna und zeigte mit dem Finger auf dem Lenindenkmal, der an dessen Eingang stand. „Ein Schriftsteller, mein Sohn“, antwortete mein Vater. „Was hat er denn geschrieben?“, meine Neugier ließ nicht nach. „Materialismus und Empiriokritizismus“, sagte mein Vater. Ich ließ die unverständlichen Worte durch mein vierjähriges Gehirn wandern. Sie trafen auf nichts, womit ich sie assozieren konnte. „Ich habe dich nicht verstanden, Papa“, sagte ich schließlich. Wenige Monate später verschwand das Denkmal dieses kahlen Schriftstellers mit Ziegenbart aus dem Meeresgartenpark. Vielleicht, weil seine Bücher so unverständliche Namen hatten.

Lenin verschwand spurlos, aber das Denkmal der sowjetischen Armee blieb. Überall, wo die rote Armee im zweiten Weltkrieg durchmarschiert ist, ließen die Sowjets so ein Denkmal errichten. In Wien steht es auf dem Schwarzenbergplatz. Einerseits sollte es zur Ehrung des unbekannten sowjetischen Soldat dienen, der Europa von den Nazis befreit hat. Andererseits sollte es die Völker Europas mahnen, dass der sojwetische Soldat nie schläft und immer wieder bereit ist sie zu befreien. Genau wie Superman.

Denkmal in Sofia

Stoyan Nenov

In Sofia steht das Denkmal der sowjetischen Armee seit 1949 in dem ehemaligen Fürstenpark, gegenüber der Sofioter Universität. Seit langer Zeit werden Diskussionen geführt, ob es ins moderne Stadtbild Sofias passt oder ob es abmontiert werden soll. Andere kommunistische Symbole wie das Mausoleum des ersten bulgarischen Parteisekretärs Georgi Dimitrov in Sofia gibt es nicht mehr. Das Grabmal wurde 1999 gesprengt.

Zum ersten mal in seiner Existenz brachte aber das Denkmal der sowjetischen Armee, wenn auch nur kurz, die Sofioter zum Lachen. Bisher hat es außer Streit nur Tränen hervorgebracht. Egal ob Rührungstränen der Kommunisten oder die Trauertränen deren Opfer. Ein unbekannter Graffitikünstler bemalte letzte Wochenende die sowjetischen Soldaten als amerikanische Comichelden. Sie wurden zu Superman, dem Joker, Robin, dem Weinachtsmann und Ronald Mcdonald. Darunter schrieb er „Mit der Zeit gehen“. Die alten Helden wurden von den neuen Kulturbesetzern der Bulgaren ersetzt.

Denkmal in Sofia

photoblog.msnbc.msn.com

Das Denkmal der sowjetischen Armee wurde für zwei Tage zum meistbesuchten und meistfotografierten Ort in Sofia. Gruppen in Facebook forderten entweder das sofortige Ausputzen dieses Schandflecks oder die gänzliche Bemalung des Denkmals. Auf der Webseite www.vkraksvremeto.com wurden sogar T-Shirts mit dem bemalten Denkmal angeboten. In die Nacht von Montag auf Dienstag wurde das Denkmal wieder in seinen normalen Zustand gebracht. Während die, die es bemalt haben, es nachts getan haben, um nicht des Vandalismus beschuldigt zu werden, haben es die, die es geputzt haben, auch nachts gemacht, um anscheinend nicht des Stalinismus beschuldigt zu werden.

Das bemalte Denkmal der sowjetischen Armee wurde in Bulgarien zur meistkommentierten Kunstaktion der letzten zwanzig Jahre. Damit hat sein Autor wahrscheinlich erreicht, was er erreichen wollte. Um Karl Marx zu paraphrasieren: „Die Menschheit soll sich mit einem Lächeln von ihrer Vergangenheit trennen“.