Erstellt am: 22. 6. 2011 - 06:00 Uhr
Urheberschutz gegen Rechteverwerter
"Aus Sicht des heutigen Urheberrechts wäre Goethe als einer der wohl größten Plagiatoren in der Geschichte einzustufen", sagte Till Kreutzer, Rechtsanwalt und Urheberrechtsexperte bei einer Veranstaltung der österreichischen Wirtschaftskammer.
"Urheberrechtliche Herausforderungen im digitalen Zeitalter" war denn auch der Titel der Veranstaltung. Kreutzers im Vortrag geäußerten Thesen waren aber schon deutlich anders geartet, als man es bei Veranstaltungen zum Thema Urheberrecht gemeinhin hört.
Nach einem Streifzug durch die Kulturgeschichte von Goethe über Brecht zur frühen Remix-Kultur der Siebzigerjahre und Video-Remixes auf YouTube, schloß Kreutzer, dass es nun langsam Zeit werde, sich vom "romantischen Bild des einsamen Schöpfers" zu verabschieden.
Wer nicht geschützt wird
Im Grunde habe das nämlich noch nie gestimmt. Und während bei anderen Veranstaltungen zum Thema meist stereotyp wiederholt wird, wie unerläßlich Copyright für die kulturelle Weiterentwicklung sei, sagte Kreutzer: "Im Urheberrecht geht es überhaupt nicht um Kultur, sondern um den Schutz eines Individuumѕ." In erster Linie würden allerdings "die Interessen der Wirtschaft dahinter geschützt, nicht jene des eigentlichen Urhebers."
Wirtschaftskammer Österreich
Als Beispiel dafür nannte Kreutzer, dass es EU-weit bis jetzt nicht einmal einen Ansatz für ein europaweit einheitliches Urhebervertragsrecht zum Schutz der Kreativen gebe.
Andererseits
An Richtlinien und Verordnungen zum Schutz der "kreativen Industrien" mangelt es hingegen keineswegs. Aktuell wird wieder einmal versucht, die "Richtlinie zum Ѕchutz geistigen Eigentums" (IPRED) so zu ändern oder zu ergänzen, dass Tauschbörsenbenutzer auch strafrechtlich verfolgt werden können, "Internetsperren" sind ebenso wieder drin.
Davor hatte die Content-Industrie bereits versucht, eine "Kooperationspflicht" für Provider bei mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen im Telekomrichtlinien-Paket festzuschreiben.
Die Ende Mai von EU-Kommissar Michel Barnier vorgestellte neue Strategie der Kommission "A Single Market for Intellectual Property Rights" sieht vor, "insbesonders Urheberrechtsverletzungen über das Internet effizienter zu bekämpfen", nämlich "an der Quelle". Gemeint sind die Internetprovider, die nach Barniers Vorstellung offenbar das Internet produzieren.
Urheberschutz gegen Rechteverwerter
"Eigentlich bräuchten die Urheber eher einen Schutz vor dem Verwerter", denn in der Regel sei es so, dass Urheber die Verwertungsrechte pauschal an Verlage abtreten, zum Beispiel Autoren oder Journalisten.
So sei es mittlerweile längst die Regel, dass etwa die Texte von Printjournalisten in den Online-Ausgaben ein zweitesmal verwertet werden, die Urheber aber an diesen Erlösen nicht beteiligt seien.
Schutzfristen
Und schon immer falsch gewesen sei die Annahme, dass Urheber per se ein Interesse daran hätten, ihre Werke möglichst lang schützen, wohl aber die Verwerter.
"Eine überlange, pauschale Schutzdauer von 70 Jahren ist weder nützlich noch zielführend". Vor allem, wenn es ausschließliche Nutzungsrechte betreffe, sollten die sich an an den durchschnittlichen Verwertungszyklen der Teilbranche orientieren, so Kreutzer.
Gemeint ist damit unter anderem die riesige Zahl sogenannter verwaister Werke ("orphan works"), die nicht wieder publiziert werden können, weil die Verwertungsrechte unklar sind.
Das sagt die Content-Industrie
In der anschließenden Podiumsdiskussion stießen Kreutzers Thesen bei Andreas Manak vom Verein für Antipiraterie (VAP), der die Interessen der Filmindustrie vertritt, naturgemäß auf wenig Zustimmung.
Manak warf den Internetprovidern mangelnde Kooperationsbereitschaft vor, was sich zum Beispiel in der Vergabe dynamischer IP-Adressen äußere, die in Österreich unverständlicherweise nicht zu den (auskunftspflichtigen) Stammdaten zählten. Und soviel Aufwand sei es doch nicht, wenn die Provider diese dynamischen IP-Adressen eine Zeitlang speichern würden anstatt sie zu löschen.
"Defekt des Internet"
"Aber das dürfen wir doch nicht laut Datenschutzgesetz" wandte Michael Czermak, Leiter der Rechtsabteilung von UPC Telekabel, ein.
Das war das Stichwort für Franz Medwenitsch, Direktor von IFPI Austria, dem österreichischen Ableger der International Federation of the Phonographic Industry: In puncto "Urheberrechtsdurchsetzung hat Österreich das Niveau eines Entwicklungslands." Es sei einfach "ein Defekt des Internet, dass es keine Identitätsfeststellung gibt", sekundierte Manak.
Was die Thesen Kreutzers angehe, so müsse festgehalten werden, dass die Content-Industrie keineswegs den technischen Fortschritt behindere, oder gar Kreativität verhindere. In der Frage von Remixen sei es für die Wirtschaft eben von bleibender Bedeutung, dass ihre Contents steuerbar seien, so Medwenitsch.
Warten auf Europa
Dr. Till Kreutzer lehrt lehrt Urheber-, Marken-, Datenschutz- und Persönlichkeitsrecht an mehreremn deutschen Universitäten. Er ist Mitglied des Instituts für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software und Ressortleiter von www.iRights.info, einem mehrfach ausgezeichneten Internetportal für Verbraucher und Kreative zum Urheberrecht.
Als internationales Unternehmen, das in mehreren europäischen Ländern tätig ist, warte die UPC natürlich auf europäische Harmonisierung in Sachen Urheberrechtsabgaben sagte Czermak.
Als Kabel-TV-Betreiber, also Content-Anbieter, sei man in jedem Land mit einer anderen Regelung konfrontiert, anders gestaffelten Abgaben, "das ist zu teuer und komplex. Aus unserer Sicht haben die Musik- und Filmindustrie schlicht verschlafen," für eine EU-weit einheitliche Regelung Druck zu machern.
Gegen Ende der Diskussion meldete sich noch ein Vertreter des Verbands österreichischer Zeitungsverleger, der erklärte, warum es den Verlagen leider nicht möglich sei, die Printjournalisten an der Online-Zweitverwertung ihrer Artikel zu beteiligen.