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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

23. 6. 2011 - 10:08

Clockers

Der ganz normale Wahnsinn im Drogendschungel New Jerseys. Die erschreckend nüchterne und hypnotisch spannende Millieustudie "Clockers" von Richard Price in einer Neuauflage.

Selbst wenn man kein Fan ist, kennt man sie. Die wohlfrisierten, perfekt gekleideten CSI-Cops mit Spiegelsonnenbrille, an denen der Abschaum der Menschheit abperlt ohne Spuren zu hinterlassen. Die in Windeseile mit forensischem Hi-Tech jeden Lügner und Betrüger entlarven und durch gezielte Schüsse zur Strecken bringen oder mit routinierter, lässiger Handschellenbewegung für immer in den Knast schicken und uns so zum tiefen Schlaf der Gerechten verhelfen.

Aber es gibt auch andere Spiegelungen krimineller Welten, die nicht mit ihrer Hochglanz und Videoclip-Ästhetik unseren Verstand vernebeln. In der die Grenzen zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß verschwimmen, zu einem schier undurchdringbar grauen Alltag, in dem jeder ums Überleben kämpft und in dem jeder verliert. Solch eine Welt entfaltet der amerikanische Autor Richard Price in seinem 800 Seiten starken Werk "Clockers", das neu aufgelegt wurde.

Teufelskreise

Buchcover "Clockers" von Richard Price

Fischer Verlag

Die Neuauflage von Richard Price "Clockers" ist in Fischer Verlage erschienen und aus dem amerikanischen Englisch von Peter Torberg übersetzt worden.

Clockers sind die meist schwarzen Drogendealer, die rund um die Uhr für hauptsächliche weiße Junkies Stoff verticken. Sie sind das gemeine Fußvolk der Vorstadtkriminalität, das Kanonenfutter im großen Drogenkrieg, ständig an der Kippe in die eigene Abhängigkeit abzurutschen. Strike ist einer von ihnen, der sich immer an die drei goldenen Überlebensregeln gehalten hat: Traue niemanden, werde nicht gierig und nimm keinen Stoff. Doch jetzt sehnt er sich danach, auszusteigen. Dafür benötigt er jedoch genug Geld, um sich und seine Familie aus dem Vorortmorast Dempsy herauszuziehen. Als sein Boss Rodney Little ihn anweist, den höhergestellten und betrügerischen Laufburschen Darryl Adams auszuschalten, wittert Strike seine Möglichkeit, in der Hierachie der Straße aufzusteigen, um damit seinen Ausstieg zu finanzieren. Doch Rodney spielt mit gezinkten Karten und zieht Strike in einen Teufelskreis, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt.

Der alternde Cop Rocco Klein steht kurz vor seiner vorzeitigen Pensionierung, als er zu einem Mord in der Drogenszene von Dempsy gerufen wird. Der "kleine Fisch" Darryl ist vom Haken gelassen und durchlöchert worden. Die Spuren führen zu einem Jungen namens Victor Dunham, der den Mord bereitwillig gesteht. Doch Rocco merkt gleich, dass an seiner Geschichte etwas faul ist und Victor lediglich einen neuen Drahtzieher im Drogengeschäft zu decken versucht. Rocco setzt all seine Beziehungen in Bewegung, um mit teils fragwürdigen Mitteln seinen letzten Fall zu lösen. Doch damit begibt sich Rocco nur noch tiefer in Schattenwelt, vor der er eigentlich flüchten will.

Bad cop or good junkie?

Richard Price lässt seine zwei Hauptcharaktere Stike und Rocco Klein nicht in dem üblichen Hollywood Showdown aufeinander prallen, sondern nutzt diese Geschichte nur als Rahmen für eine größer angelegte Milliestudie.

Amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor Richard Price im Portrait

Jürgen Bauer

Schriftsteller, Drehbuchautor und Produzent Richard Price erhielt neben seinen literarischen Auszeichnungen auch zwei Oscarnominierungen.

Denn die fiktive Vorstadt Dempsy im Norden von New Jersy erwacht durch detailgenauen Realismus und seine vielschichtigen Figuren von den ersten Sätzen an zum Leben. Alleine die erste Drogendealszene breitet der amerikanische Autor über die ersten hundert Seiten aus und stürzt uns ohne Vorwarnung in das dicht verwobene Netz der Clockers, ihrer herzlosen Bosse und abhängigen Kunden. Es der Blick durch ein Schlüsselloch in eine triste Welt, in der junge Schwarze am Rande des sozialen Abgrunds balancieren, gedemütigt gleichermaßen von ihren Arbeitgebern wie den skrupellosen Cops. Ihre Ausweglosigkeit wirkt wie das von Price gezeichnete Stadtbild beklemmend und für jeder Hoffnungsschimmer zahlt man in der Welt der Clockers einen höhen Preis, der diesen gleich wieder zum erlöschen bringt.

Weitere Leseempfehlungen:

Auch die Grenze zu der Welt der Cops verschwimmt vor den Augen des Lesers immer mehr, bis sie unausweichlich ein Teil der auszulöschenden Drogenhölle wird. Die zerfressenen Seelen der Gesetzeshüter wandeln geisterhaft durch die Szenerie. Sie sind durch Korruption und jahrzehntelanger Oberservation "undercover" längst zu Miterhalter jenes Systems geworden, das sie als frische Polizisten eigentlich zerstören wollten. Auch für diesen Teufelskreis bietet Richard Price keinen Ausweg, sondern zeigt vielmehr auf, dass diese Menschen unter einer anderen, aber nicht minder gefährlichen Abhängigkeit leiden. Der Verdrängung jeglicher Gefühle, die sie unverletzbar zu machen scheint.

Clockers Filmposter

Universal Picture

"Clockers" von Spike Lee 1995 verfilmt, konterkariert die derbe Story mit bunten Farben und souliger Hip Hop Musik. Atmosphärisch reicht der Film jedoch nicht an das düstere Meisterwerk in Buchform heran.

Auch wenn "Clockers" 800 Seiten umfasst, schafft es Richard Price mit der permanenten, unterschwelligen Spannung einen Sog zu erzeugen, dem man sich nicht entziehen kann. Er ist ein Meister des schnellen, ungekünstelten Dialogs, der detaillierten und literarisch hochwertigen Beschreibung und erzeugt starker Bilder, die einen lange nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Kein Wunder, hat Price doch unzählige Drehbücher verfasst und an der großartigen HBO Serie The Wire mitgeschrieben, für die der Roman "Clockers" so etwas wie die Blaupause war. Der "superrealistische" Stil mag einem vielleicht zu Beginn die schnelle Identifikation mit den Figuren erschweren, aber hat man sich erst einmal auf die Welt von Richard Price eingelassen, kommt man lange nicht mehr heraus. Und wenn, dann hinterlässt sie ihre emotionale Spuren. Genau das leistet auch das wieder aufgelegte, großartige, literarische Werk "Clockers".