Erstellt am: 21. 6. 2011 - 16:04 Uhr
Vordergründige Zerrissenheit
Dieses Austin in Texas muss eine ziemliche coole Stadt in einem ziemlich uncoolen Bundesstaat sein, wenn man hört, „was so erzählt wird“. Denn während beim Wort "Texas" eher unweigerlich an den Bush-Clan, stockkonservative Cowboys auf Ölsuche und das Ende von JFK gedacht wird, schmückt sich die Fast-Millionen Stadt Austin mit allen Attributen, die sonst eher Metropolen wie Berlin, New York oder Barcelona für sich beanspruchen.
Sie gilt als die liberalste und studentischste Stadt der südlichen USA und sorgt vor allem kulturell im alternativen Musikbereich für Aufsehen. Freunde, die bereits in Austin waren, bestätigen den hymnischen Wikipedia-Eintrag mit allerlei Lobeshymnen – die Club und Konzertlandschaft sucht, New York und die Westküste mal außen vor gelassen, zumindest in den Vereinigten Staaten ihresgleichen.
So eine kleine, sichere aber dennoch pulsierende Indiepop-Märchenstadt ist natürlich der ideale Platz für einen wie Will Shef, um dort eine musikalische Karriere zu starten. Seit bald 13 Jahren hat er mit seiner Band Okkervil River, von der er selbst als einziges Bandmitglied verblieben ist, zahlreiche Platten gemacht, die eine sehr charmante Melange aus Folkgitarren, Middle-Of-The-Road-Pop, Kinderliedmelodien und vereinzelten Country-Elementen in die Ohren der Fans zaubert. Besonders hervor stach dabei jenes Album, das Okkervil River, benannt nach Leo Tolstois Urgroßnichte, vor vier Jahren veröffentlichten: The Stage Names.
Will Sheff
Mit dieser Platte gelang Shef und seinen wechselnden Musikanten ein Streich, der dafür sorgte, dass sie fortan nicht nur auf FM4 und ähnlichen Stationen weltweites Airplay bekamen, sondern auch für einen absoluten Kracher in den Indieclubs Europas sorgten. Es verging kaum ein London Calling, bei dem nicht zu „Our Live Is Not A Movie Or Maybe“ durchs Wiener Flex gehüpft wurde. Eine wahrlich große Platte, die neben diesem Hit noch zahlreiche andere große Momente hatte, von denen noch immer ein paar in meinem Kopf stecken.
Die neue Platte
Das ist allerdings vielleicht nicht die allerbeste Voraussetzung, sich auf ein aktuelles Album einer Band einzulassen, muss man doch jedem Künstler einräumen, eingegangene Wege auch wieder zu verlassen. Und Okkervil River haben das getan. Bereits die Ankündigung, die neuen Songs würden live mit zwei Schlagzeugern umgesetzt, haben mich etwas irritiert. Und die Platte hält, was die Skepsis verspricht.
Im Prinzip kann man von einer zweigeteilten Platte sprechen. Die erste Hälfte hinterlässt den Hörer ziemlich hin- und her gerissen, diverse folkige und harmonische Elemente werden zumeist in einem Schwall aus stampfigen Rock entstellt, übrig bleibt eine gewisse Sehnsucht nach jener Konsistenz, mit der Okkervil River einst bestechen konnten. Als besonderer Ausreißer fällt in diesen ersten 20 Minuten vor allem der zweite Song, "Piratess", auf – hier dürfte Will Shef wohl in eine ganz private Discofantasie abgetaucht sein – so gar nicht das, was man mit zu wenig an Aufgeschlossenheit von seiner Lieblingsband erwartet.
okkervil river
Dennoch ist „I Am Very Far“ natürlich weit davon entfernt eine „schlechte“ Platte zu sein, insbesondere das sechste Stück, „We Need A Myth“, leitet dann die zweite Hälfte des Albums ein, das nun plötzlich auch auf alte Stärken des Okkervil-Songwritings setzt.
Denn auch wenn die Gesamtgefühligkeit irgendwie strudelig-orchestral und auch ein bisschen pompös-überladen wirkt, schaffen es ab hier manche Songs durchaus jene Stimmung zu induzieren, die Okkervil River bis dato den Ruf der „Bright Eyes für Buben“ beschert hat. Über die vermutlich beste Nummer des Albums hat Kollege Boris Jordan, der auch für das Bright Eyes Zitat verantwortlich ist schon ein paar schöne Worte verfasst.
Dennoch, trotz aller anfänglicher Enttäuschung, wächst die Vermutung, dass dieses Album – trotz aller Zerrissenheit – wachsen kann und die vermutete Inkonsistenz in Wahrheit ein dynamisch-dramaturgischer Kunstgriff ist.
Von Fans einer Band wie Okkervil River kann man wohl erwarten, diesem Album noch ein paar Chancen zu geben und es nicht nach ein paar Überschriften in die große Ablage zu werfen, wie das mit Terrabytes an Plastik-Pop tagtäglich passiert.
Let It Grow
Wenn dich die Schlagzeile eines Boulevardmediums nicht sofort kriegt, wird die Geschichte sterben, wenn so etwas bei einem gefinkelten Artikel eines Qualitätsmediums passiert – dann könnte es auch an dir und deiner momentanen Verfassung liegen. Insofern werde ich jetzt nicht schreiben, dass mich diese Platte enttäuscht hat – auch wenn ich mir ganz ehrlich etwa anderes erwartet und erhofft habe.
Aber das kann und wird Will Shef ja egal sein.
Fragt mich in ein paar Wochen, was ich vom neuen Okkervil River Album halte, einer oberflächlichen und raschen Kennzahlen-Analyse entzieht sich deren Musik. Nach dreimaligem Hören haut es mich jedenfalls noch nicht so vom Hocker, wie das ihre früheren Alben gemacht haben.