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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 6. 2011 - 23:46

Fußball-Journal '11-58.

Die Spiel der Zahlen. Vorboten einer Revolution, die an Österreich vorbeigehen wird.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit ein paar Zahlen zu Europa, Simon Kupers Eloge auf die Macht der Analyse-Zahlen und die Revolution, die sie auslösen werden und schließlich eine unsanfte Landung in der österreichischen Realität. Mit Video!

Apropos österreichische Realität: das Webportal laola1.at startet mit seinem Taktikforum eine dringend nötige Initiative.

Zuerst eine kleine Finger-Übung in Sachen Zahlen.

Die letzte Europacup-Saison haben Salzburg und Rapid als 84., die Austria und Sturm als 100beste Teams abgeschlossen. Im 5-Jahres-Ranking ist Salzburg 89., Austria 112., Rapid 143. und Sturm 170; Ried ist nicht gelistet, weil sein Koeffeizient geringer ist als der Landes-Koeffizient. Die vier heurigen Teilnehmer kämpfen mit guten Aussichten für einen fünften Platz in Europa.

Die heute zugelosten Zweitrunden-Gegner sind mindestens eine Klasse schwächer gerankt. Ungarns Meister Videoton ist nicht einmal das stärkste Team im regional gesetzten Topf, wie es died Sturm-Offiziellen behaupten - Chisinau und Pjunik sind vor Platz 287 gereiht.

Die Gegner von Salzburg (Liepajas Metalurgs, der Vizemeister aus Lettland, die Nummer 255) resp. der Austria (Rudar Pljevlja aus Montenegro, Cupsieger und Meisterschafts-Dritter, die Nummer 305) sind dazu da sich einzuspielen, ehe dann in den Runden 3 und 4 die harten Brocken der Qualifikation lauern.

Aus 4 mach 5, und 170 geht vor 287

Sturm wird von der Papierform keine Chance auf die Champions-League gegeben, sie finden sich aber als letzter der 48 Teams der Gruppenphase wieder - gemeinsam mit der Austria (auch in Topf 4) und Salzburg (sogar in Topf 3).

Dass sich Sturm Graz nicht sonderlich darum gekümmert hat, ob man die Qualifikation auch im eigenen Stadion spielen kann, ist von der zahlenlogik her nicht gedeckt - denn der Terminplan für Europa steht schon länger fest.

So, und jetzt zu dem Ding, das schuld an meiner heutigen Numbermania ist: Simon Kupers Wochenend-Coverstory The Number Game in der Life&Arts-Section der Financial Times.
Simon Kuper sagt von sich, dass er über Fußball aus anthropologischer Sicht schreibe. In "The Number Game" spricht er den längst erfolgten Beginn des neuen Fußball-Zeitalters, dass längst massiv auf Statistik und Analyse zurückgreift.

The number game. Football is in the grip of a revolution

Das ist kein Geheimnis: die Schlauen wissen das längst (und engagieren Andre Villas-Boas). Kuper zitiert historische Beispiele. Arsene Wenger etwa hatte seinem alternden Spielführer gegenüber dessen Auswechslungen mit den entsprechenden Zahlen argumentiert. Und der große Valeri Lobanovski ("A team that commits errors in no more than 15 to 18 per cent of its actions is unbeatable") hatte bereits in den 80ern einen Wissenschafter an seiner Seite.

Denn gerade die großen Einzelkönner, bei denen jede Entscheidung scheinbar wie aus dem Bauch heraus kommt, greifen auf das längst leicht herstellbare Material, auf die Daten, die es zu jedem Spieler gibt, zurück. Weil die Fakten Arbeitsgrundlage und nicht Feind sind.

Die Zahlen können etwa erzählen, dass die Tore, die man aus Standard-Situationen bekommt, höher sind als im Schnitt (etwa ein Drittel) - wer jemals gesehen hat, wie exakt etwa Jose Mourinho seine Mannschaft für Corner oder andere Standards zuteilt, wird verstehen, warum.

Leistbare Zahlenanalytiker anstatt unleistbarer Spieler?

Die Daten verschaffen optisch langsamen Akteuren wie Yaya Toure Gerechtigkeit, sie verlängern Gary Speeds Karriere und erklären Claude Makelele zu Gott.

Kuper zitiert Sam Allardyce, der als er - aus den USA kommend, wo Sport massiv auf Wissenschaft und Datenmaterial zugreift - 1999 Bolton übernahm anstatt guter, aber unleistbarer Spieler, gute und leistbare Statistiker engagierte.

Wenn man sich diese großformatige Doppelseite (die in der Netz-.Version eion paar ganz wunderbare Graphikem freigibt) fertiggelesen hat, dann fällt einem aber irgendwann wieder ein, wo man sich befindet.
In Österreich, wo sich der ÖFB mit Händen und Füßen gegen die Modernieiserung wehrt.
In Österreich, wo Trainer und Sportdirektoren Hilfestellungen wie Laufweg-Analysen selbst dann ablehnen, wenn man sie gratis machen würde.

Apropos: der arme Peter Pacult hat jetzt wieder was er so Scheiße findet - einen Sportdirektor. So ein Pech.

Zurück nach Österreich, nach Admira-Altach-Anif-Alexandria

In der Südstadt und in Altach gibts so eine Position erst gar nicht - an beiden Orten agiert der letzte Herrenbauer im heimischen Fußball, Richard Trenkwalder. Ja, der sponsert auch den stärksten Konkurrenten seiner Vereins - diese wilde Facette wurde jüngst aufgedeckt, natürlich nur im Kleinen, im Blog. Die Admira-Affäre rund um die doppelten Verträge, die trotz heftigen Einspruchs der Fußballer-Gewerkschaft über den Sommer niedergeschwiegen werden soll oder der neuerliche Versuch des letzten verbliebenen Oligarchen sich über ein Hintertürl in die 2. Liga zu schummeln - das ist die heimische Fußball-Gegenwart.

Die Revolution der wissenschaftlichen Analyse durch Zahlen, Fakten, Verknüpfung und Vernetzung von Informationen, die Kuper da draußen in der wirklichen Welt beschreibt, die ist meilenweit entfernt von der im altbackenen Modus der analogen Trickserei festhängenden österreichischen Variante.

Glücklicherweise ist zumindest der gezielte Platzsturm kein heimisches Exklusiv-Modell. Obwohl: mit Bernhard Brugger und den Assistenten Klaus Strasser und Roland Brandner waren zumindest drei Österreicher vorort in Alexandria bei final abgebrochenen 1:2 zwischen Ittihad El-Iskandary und Wadi Degla FC.