Erstellt am: 20. 6. 2011 - 15:15 Uhr
Papa gegen den W.ürger
Der in anderem Kontext geschaffene Begriff des „Wutbürgers“ passt eigentlich auf niemand so gut wie auf jene Stimmen, die aktuell ihre Empörung über Kredite an Griechenland kund tun. Ich schlage vor, den Begriff für diesen Kontext unorthodox abzukürzen, um der Aggressivität dieser Position und dem Gefühl, das sie beim neutralen Beobachter auslöst, Rechnung zu tragen: W.ürger.
Der W.ürger beklagt, dass wegen der Überweisungen an Griechenland zu wenig Geld für Sozialausgaben im Inland da sei. Das ist überraschend, weil normalerweise lässt er die Missgunst, die er jetzt den GriechInnen zuteil werden lässt, den SozialhilfeempfängerInnen im Inland angedeihen. Ständig fühlt er sich von den Ärmeren übervorteilt, die er im Bündnis mit geheimen Weltenlenkern gegen sich verschworen glaubt. Nun hat er die GriechInnen am Kieker.
Vermeintliche Faulheit
Den W.ürger plagt ein schrecklicher Verdacht: Er arbeite hart, während in Griechenland Party gefeiert werde – mit seinem Geld! Diese Angst ist unbegründet: Die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit eines Angestellten in Griechenland beträgt 2119 Stunden. In Österreich liegt sie bei 1621 Stunden. Daran zeigt sich auch: Arbeitsfleiß allein schafft noch keine Jobs - viele Menschen in Griechenland wären froh, wenn sie eine Lohnarbeit hätten, doch die Krise erhöht die Arbeitslosigkeit noch weiter.
Mit den Überbrückungskrediten, die Griechenland von den Euro-Mitgliedstaaten seit kurzem erhält, finanziert die Regierung Papandreou (kürzen wir sie auch ab: Papa) keine Feste oder Sozialprogramme. Vielmehr wird mit den Krediten Papas Fähigkeit gesichert, alte Schulden zu bedienen - bei Banken in Deutschland, Frankreich, Österreich und anderswo. Österreichische Banken halten griechische Staatsanleihen im Wert rund 4 Mrd. Euro. Wäre Griechenland pleite, müssten diese Ansprüche abgeschrieben werden (zum Vergleich: die Gewinne des gesamten österreichischen Bankensektors betrugen rund drei Mrd. im Jahr 2010, in den Vorjahren 0, 04 Mrd. bzw. 1,89 Mrd. – wobei sich dahinter auch große Unterschiede zwischen Instituten verbergen). Das könnte einzelne Banken wieder zu Rettungsfällen für den Staat machen (man denkt mit Frösteln an das Schicksal der einstigen Hausbank des Clubs der W.ürger im Süden Österreichs). Ob das wohl billiger ist als die Kredite an Griechenland und Co.?
Eigene Gewinne sichern
Außerdem wird Papa mit den Überbrückungskrediten in die Lage versetzt, weiter Importe aus der Heimat des W.ürgers und anderer Exportkanonen zu bezahlen. Denn Papas Defizite haben ihr Spiegelbild in den Exportüberschüssen, die Länder wie Deutschland, Österreich, Niederlande und andere mit Papa und Co. über die Jahre eingefahren haben. Das wird vom W.ürger und seinen Freunden als tolle Leistung gefeiert, ist aber auch ein Ausdruck von Sparmeisterei bei den Löhnen. Dadurch konnten andere Anbieter auf den Exportmärkten unterboten werden. Gleichzeitig fehlte dadurch in den Lohntüten der heimischen Werktätigen Kaufkraft, und so mussten die Unternehmen in Österreich auf die Suche nach kaufkräftigen Abnehmern im Ausland gehen. Die fanden sie in der Gestalt von Papa und den Seinen, die zwar auch schwache Kaufkraft hatten, aber dafür die Bereitschaft, sich zu verschulden, um bezahlen zu können. Österreichs Unternehmerschaft verkauft Papa ständig mehr als sie ihm abkauft, und fährt so Jahr für Jahr einen Außenhandelsüberschuss von rund einer halben Milliarde Euro ein. Der Beitrag, den der österreichische Staat für das „Hilfspaket“ an Griechenland zugesagt hat (bislang 2,3 Milliarden), ist also kein gutmenschliches Geschenk (abgesehen davon, dass es sich um rückzahlpflichtige verzinste Kredite handelt, für die von Papa außerdem drakonische Sparmaßnahmen zugesagt werden mussten), sondern stabilisiert einen wichtigen Export- und Kredit-Kunden. Die Alternative dazu wäre keine Ersparnis, sondern Verluste, weil diese Kundschaft ausfällt.
Gewinne für wen?
Hier wäre natürlich die Frage interessant, ob die Nutznießer dieser staatlichen Stabilisierung in der Export- und Bankenwirtschaft für eine breite Streuung dieses Nutzens sorgen – durch ordentliche Löhne an ihre Lohnabhängigen und durch Steuerzahlungen an die öffentliche Hand. Doch solche Themen sucht man beim W.ürger vergeblich. Sein Problemlösungs-Arsenal orientiert sich eher am Berufsbild des Rausschmeißers: Soll Papa doch gehen und schauen wo er bleibt!
Papa raus aus dem Euro?
Ein Austritt Griechenlands aus dem Euroraum schafft die Probleme nicht aus der Welt: Papa könnte eine eigene Währung einführen, ihren Kurs zum Euro ordentlich abwerten, und in der Folge mit Billigangeboten auf den Exportmärkten erfolgreicher konkurrieren. Doch die bestehenden Schulden müsste er in Euro zurückzahlen – mit einer abgewerteten eigenen Währung würden diese Schulden folglich explodieren und wären vollends unbezahlbar. Gewaltige Verluste für Banken (die dann wieder staatlich gerettet werden müssten) in ganz Europa, die griechische Staatsanleihen halten, wären die wahrscheinliche Folge. Zudem würde ein Austritt sofort die Schatten über andere Staaten dünkler machen: Auf den Finanzmärkten würde höchstwahrscheinlich auf den Austritt der nächsten Staaten gewettet werden, wodurch ein Dominoeffekt ausgelöst würde – eine Pleite nach der anderen.
Dass es zu so einer dramatischen Situation wie jetzt kommen konnte, ist eigentlich Ausdruck der Tatsache, dass nicht zu viel an Papa und Co. überwiesen wird, sondern im Gegenteil zu lange zu wenig darauf geschaut worden ist, dass sich die verschiedenen Euro-Regionen halbwegs gleichmäßig entwickeln. Das W.ürger-Credo, einseitig Gewinne auf Kosten der anderen zu machen, geht nur eine Zeit lang gut, dann muss es entweder eine Umverteilung geben oder der Unterlegene fällt um, und zieht die überraschten „Exportweltmeister“ dabei mit. Das ist freilich nichts, was im Weltbild des W.ürgers Platz hätte: Eine Welt, die nicht vollständig durch Herrschaftsverhältnisse, sondern auch durch wechselseitige Abhängigkeit geprägt ist? Würg!