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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 6. 2011 - 23:19

Journal 2011. Eintrag 120.

Warum sich außer der FPÖ niemand traut seine Grundsätze zu vertwittern. Und wieso das ganz schön doof ist.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Fortsetzung des gestrigen Journals Zehn Sätze zu Österreich das wiederum eine Paraphrase der zehn freiheitlichen Gebote ist.

Um da eine Art Gebrauchsanweisung zu den zehn Sätzen im gestrigen Journal nachzuliefern: das ist keine Checklist für eine 'political party platform' und auch keine gut überlegte Erwägung von Wichtigkeiten; es ist aber auch kein Gegenmodell zu den neuen freiheitlichen Geboten. Es handelt sich nur um eine Paraphrase, also jene Variante der 10 Punkte der FPÖ, die mir realistischer und lebensnaher erscheint. Entworfen und losgelassen in nicht einmal zwei Stunden, während nebenbei ein Fußball-Spiel (die Schweizer bei ihrer U-21-EM) und ein paar Facebook-Chats (Lebensberatung) gelaufen sind.
Damit will ich sagen: das kann jeder; und jederzeit. Und je mehr Expertise und Hirnschmalz da reinrinnt umso besser.

Wirklich relevante 10 Punkte zu Österreich würden nämlich auch ein Bekenntnis zu Immigration und Integration enthalten müssen, ebenso wie ein Bekenntnis zu einer Verstärkung der erneuerbaren Energien samt entsprechendem Bewusstsein und natürlich auch ein Bekenntnis zum Ausbau der partizipativen Demokratie.

Andererseits unterscheiden sich einzelne Punkte kaum von denen der FPÖ. Im Fall des Bekenntnisses zur freien Wissenschaft, Kunst und Bildung hat man dort nur die "Erweiterung, Forcierung und stetige Verbesserung" vergessen, ist da offenbar mit dem Status Quo zufrieden.

Partei-Grundsätze im Facebook-Status-Format

Und im Fall der Gesundheitsfragen von Punkt 6 ist Strache und seinen Mitautoren der Irrtum unterlaufen, dass diese Angebote nur für Staatsbürger gelten sollen, wo das doch selbstverständlich allen Steuerzahlern offenstehen muss.

Will sagen: es ging mir nicht um ein besonders originelles Gegen-Modell, sondern darum zu belegen, dass man derlei mit entsprechender Leichtigkeit zustandebringt.

Nur: es passiert nicht.
Die einzigen, die verstehen, dass ein schönes Parteiprogramm wichtig für Politikwissenschafter, Juristen und ein paar Experten ist, es aber sonst keines Sau jemals lesen wird und es deshalb vonnöten ist eine griffige Kurzversion davon anzubieten, ist die Strache-FPÖ.
Die sind die einzigen, die ihre Grundsätze im Twitter-Format anbieten.

Das ist ganz schön seltsam.
Michael Spindeleggers Büro könnte das nämlich, das weiß ich, die Rudas/Pelinka-JungtürkInnen der SPÖ denken auch in diesen Dimensionen und die Schlauen unter den Grünen würden das auch schaffen.
Sie tuns nur nicht.

Angst vor populistischer Selbst-Ausstellung?

Ich kann die Zögerlichkeit, sich auf diese Ebene der populistischen Verkürzung zu begeben, durchaus verstehen. Es gibt nämlich nichts Gefährlicheres als durch simple, vielleicht auch noch gereimte, Schlagzeilen das Gefühl zu vermitteln, dass politische Lösungen ureinfach sind und alles nur an der Bösartigkeit von Sündenböcken scheitert.
Das ist die Strategie der Rechtspopulisten und wenn diese Strategie auf ein Feld einsät, in dem Intellektualitätsferne als Tugend gefeiert wird, dann kann das böse ausgehen.

Aber das sind zwei Paar Schuhe.
Das eine, der bewusst verdummend-populistische Ansatz ist es, zu behaupten, im Alleinbesitz von Lösungen zu sein und das in klare Grundsatz-Sätze zu gießen.
Der andere, der sich.verständlichmachende Ansatz ist es, seine Ansichten in ganz prinzipiellen Fragen in ebenso klaren Grundsatz-Sätze zu formulieren.

Das eine machen die Rechtspopulisten in Wahlkampfzeiten - und ernten damit berechtigte Kritik.
Zweiteres tun sie jetzt - und werden dafür auch schief angeschaut.

Leitlinien im Zeitalter der Zeichenbegrenzung

Zu Unrecht.
Denn sowohl rein strategisch als auch vom Kommunikations-Standpunkt aus betrachtet ist das eine gute Sache. Sich selber auf den leicht fassbaren Punkt bringen, simple Leitsätze ausarbeiten und die unters Volk bringen, um sich so in mehr als nur einer Agenda zu positionieren.

Deshalb, nochmal, meine Nachfrage. Wo sind, wo bleiben die leicht vertwitterbaren, Facebook-Status-tauglichen Grundsätze von SPÖ, ÖVP und Grünen? Nicht jetzt auf Parteiprogramme verweisen - die liest wie gesagt keiner, die sind zu sperrig und speziell. Sondern die Sätze, wofür diese politischen Plattformen stehen. Diese Sätze könnten das Angebot an die Menschen 'ein Stück des Weges mitzugehen' sein. Gerade im aktuellen Zeitalter der Sätze mit 140, 160 oder 420 Zeichen wäre das nötig, vielleicht sogar überlebenswichtig.

Interessanterweise traut sich das aber außerhalb der FPÖ niemand. Ich wüsste übrigens beim besten Willen keine überzeugenden Grund dafür.