Erstellt am: 19. 6. 2011 - 18:22 Uhr
Black Box Dschihad
Vergangene Woche wurden in Wien vier Terrorverdächtige festgenommen. Einer von ihnen, ein 25-jähriger zum Islam konvertierter Österreicher, sitzt immer noch in U-Haft. Ihm werden Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung, Terrorismusfinanzierung und Ausbildung für terroristische Zwecke vorgeworfen. Warum werden junge Menschen zu islamistischen Terroristen? Dieser Frage geht der deutsche Autor und Sozialforscher Martin Schäuble in seinem bemerkenswerten Buch "Black Box Dschihad", das auf realen Ereignissen basiert, nach. Eine eindeutige Antwort findet er darauf nicht, da er, wie es im Vorwort heißt, nicht an eine Erklärung glaubt, die für alle Gotteskrieger gilt. Menschen sind verschieden.
Hanser
Daniel ist 21, als er im September 2007 als Sauerland-Bomber, der schwere Anschläge auf Diskos, Flughäfen und US-Einrichtungen in Deutschland geplant hat, Schlagzeilen macht. In "Black Box Dschihad" lernen wir ihn als zurückhaltenden Burschen kennen, der nach der Scheidung seiner Eltern bei seiner psychisch labilen Mutter aufwächst. Detailgenau und ohne zu werten erzählt Martin Schäuble Daniels Lebensgeschichte nach - von seiner Geburt bis zu seiner Verurteilung zu zwölf Jahren Haft. Von seiner Leidenschaft für Basketball und Gangsterrap, guten Noten in Politik und Religion und seiner Verklemmtheit Mädchen gegenüber. Dieser Biografie, die wohl vielen in Deutschland und im Rest Europas ähnelt, stellt der Autor das Leben von Sa'ed gegenüber - eines jungen Mannes, der in Palästina als Märtyrer gefeiert wird. Mit 17 Jahren sprengt er sich in Jerusalem in die Luft und reißt mehrere Menschen mit sich in den Tod.
"Niemand wird als Gotteskrieger geboren", sagt Martin Schäuble im Interview. "Deshalb wollte ich aufzeigen, dass es unzählige Ursachen gibt, warum junge Menschen im radikalen Islam ihr Lebensziel finden." Indem er die Lebensläufe seiner beiden Protagonisten Daniel und Sa'ed ineinander verschränkt, zeigt er Parallelen auf und macht ebenso die Unterschiede deutlich - der Eine wächst als Katholik, mit guter Schulbildung mitten im Wohlstand auf, der Andere als Moslem, der früh die Schule abbricht mitten in einem Krisengebiet. Was die beiden verbindet, ist ihre Suche nach einem tieferen Sinn im Leben.
Martin Schäuble
Martin Schäuble ist stets ganz nah an Daniel und Sa'ed dran. Immerhin hat er monatelang ihre Biografien recherchiert, dafür Reisen ins Palästinensergebiet unternommen und eine Zeit lang im Saarland, wo Daniel aufgewachsen ist, gelebt. Er hat mit Verwandten, Freunden und ehemaligen Lehrern der beiden Jungen gesprochen. Die Reaktionen auf seine Recherchen waren dabei sehr unterschiedlich. "In Palästina, wo Sa'ed als Held gefeiert wird, war es einfach Geschichten und Informationen zu bekommen. In Deutschland wollte anfangs niemand mit mir reden. Erst nach und nach konnte ich das Vertrauen der Betroffenen gewinnen." Vor allem das Elternhaus und das Umfeld, in dem sich die Jugendlichen bewegen, sind dem Autor wichtig. Und so schafft er es eindrucksvoll sich auch der Psyche der beiden jungen Gotteskrieger anzunähern
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"Black Box Dschihad" macht deutlich, dass der Weg zum radikalen Islam oft ein weiter ist, und, dass hinter jedem Terroristen auch ein Mensch steckt. Dass Jugendliche auch weiterhin zu islamistischen Terroristen werden, wird es nicht verhindern können, doch diesen Anspruch hatte Martin Schäuble ohnehin nicht. Trotzdem meint er: "Ich weiß, es ist unpopulär das zu sagen, aber ein Lösungsansatz könnte sein, dass man in der Kindheit und Jugend genauer hinschaut. Man muss dann hinschauen, wenn es nicht schon längst zu spät ist."