Erstellt am: 19. 6. 2011 - 18:23 Uhr
Drop Your Soul
Das vollständige Interview gibt es heute ab 5.00 Uhr früh in einer Listening Session im FM4-Soundpark zu hören.
Lang ist es nicht her, dass sich die junge österreichische Musikerin Jools Hunter in ihr Studio in Berlin begeben und an ihren ersten Songs zu arbeiten begonnen hat. Es dürfte in diesen Frühlingsmonaten vor gut einem Jahr gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt hat sie Wien schon seit einem Jahr den Rücken zu gekehrt. Hat ihre Familie in Kärnten, ihre Freunde, ihr Studium und ihre Bandkollegen von Go Die Big City hinter sich gelassen und in Berlin nach und nach die ersten Schritte in ein neues Leben gesetzt.
Pascal Flamme
Nun - zwei Jahre später - hat die junge Musikerin ihre erste EP fertig gestellt – unfertig fühlt sie sich an, erzählt sie im Interview. Da in der Zwischenzeit nun schon wieder so viele neue Songs entstanden sind. Das britische Label FatCat Records, unter anderem Heimat von Maps&Atlases und den grandiosen Animal Collective, haben Jools Hunters erste EP die Note "outstanding" verpasst und ihre Vocal-Melodien und Harmonien als „Panda Bear-esque“ beschrieben.
Jools Hunters Musik ist verführerisch mystisch, ängstlich, düster, verspielt, ironisch und in Momenten popig-leicht zu gleich. In vielschichtigen Soundarrangements loopt und sampelt sie alles, was sie sieht, hört, fühlt. So verwertet sie ihre Realitäten und vor allem sich selbst in komplexen und eindringlichen Klangwerken. Ihre Musik fühlt sich für mich an, als würde man zu den rhythmischen Metamorphosen gigantischer Wolkenberge tanzen.
Jools Hunter EP-Tracklist:
1. oh boy, oh lovely
2. drop your soul
3. soul eater
4. falling flying
5. all i can do
6. touch me
Jools' mood auf tumblr.com.
Wie fühlt es sich an die erste EP fertig gestellt zu haben?
Recht unfertig interessanterweise, weil mit dem Fertigmachen ganz viel neues entstanden ist. Zwei oder drei Monaten habe ich nun an dieser EP gearbeitet und jetzt sind die Songs endlich fertig. Aber jetzt gibt es auch schon wieder neue Songs und daher ist die erste EP ist eigentlich die alte EP.
Aber du machst nicht erst seit zwei oder drei Monaten Musik, nicht dass da nun ein Missverständnis entsteht...
(lacht) Nein. Ich mache schon total lange Musik. Ich habe eine klassische Musikausbildung und die Songs habe ich letztes Jahr im Frühling angefangen zu machen. Es hat einfach nur wahnsinnig lange gedauert, weil ich wahnsinnig langsam und penibel bin (lacht).
Inwiefern?
Weil ich vom Gefühl her wahnsinnig perfektionistisch bin. Bei mir muss das Gefühl immer stimmen. Immer, wenn ich etwas anfange, dass passt das für den Moment für mich. Aber dann dauert es manchmal ein Monat bis ich wieder weitermachen kann, weil es vom Gefühl her nicht zu meinem momentanen Zustand passt.
Du warst während deiner Zeit in Wien lange Mitglied des Wiener Band-Kollektivs Go Die Big City. Wann hast du beschlossen selber Musik zu machen.
Eigentlich wollte ich das schon immer einmal machen, wie wahrscheinlich jeder mit 15 denkt „Ah, ich will in einer Band spielen“. Ich habe aber immer Bach gespielt und das was ziemlich langweilig. In Wien habe ich dann die ganzen Leute von Fettkakao und seayou records kennen gelernt und das war dann eine extreme Inspiration für mich.
Inwiefern? Als musikalischer Freischlag für dich selber...?
Ja, erstens das und dieses sich Nicht-an-Noten-und-Regeln-halten-müssen, sondern einfach nur drauflos spielen. Jeder der Go Die Big City kennt weiß in etwa wie das manchmal geklungen hat (lacht). Das war wahnsinnig inspirierend. Jeder hat sein Ding gemacht und ausprobiert. Und dabei war fast alles erlaubt.
Würdest du diese Zeit bei Go Die Big City als wegweisend für deine eigene musikalische Karriere bezeichnen? Sprich, wenn du in dieses Kollektiv nicht reingefallen wärst, wäre dein musikalischer Weg ein anderer?
Ziemlich sicher, weil ich immer das Gefühl gehabt habe, man muss sich an so viele Vorschriften halten und sich an wahnsinnig viele Dingen orientieren. Bei Go Die Big City habe ich ganz viele Menschen kennen gelernt, die total frei von diesen Sachen waren und die einfach das machen, auf das sie gerade Lust haben.
Wenn du nun selber Musik machst, hast du dieses befreiende Gefühl von „Ich lass mich jetzt in die Musik fallen“ noch immer?
Ich muss mich wirklich dazu zwingen loszulassen. Ich würde sonst nur vor dem Keyboard sitzen und mir denken „Okay, jetzt passt nur das“. Ich versuche daher immer die logische Konsequenz von dem was davor war zu umgehen. Das geht nicht immer, aber hin und wieder funktioniert es.
Du bist vor zwei Jahren von Wien nach Berlin gezogen. Wie ist es für dich in Berlin zu leben? Du hast ja, wie ich weiß, Wien regelrecht von heute auf morgen verlassen.
Ja, das ist recht schnell gegangen. Ich hab immer schon das Gefühl gehabt ich muss mal woanders hin – aber nicht unbedingt nach Berlin. Aber dann hab ich mich verliebt (lacht).
Die Stadt Berlin hat es mir am Anfang aber nicht so leicht gemacht. Das war nun nicht unbedingt Liebe auf den ersten Blick, vor allem, wenn man aus so einem recht guten und großen sozialen Netzwerk, wie in Wien kommt, dann war Berlin regelrecht ein Schlag ins Gesicht. Hier ist es eigentlich jeden egal, ob du da bist oder nicht. Hier hat niemand auf mich gewartet bis auf den, in den ich mich verliebt hab.
Würdest du sagen, dass diese Zeit auch für dich gut war, dass du angefangen hast, selber Musik zu machen?
Ja, da war Berlin auf alle Fälle wichtig vor allem dieses alleine sein und nicht zurück-lehnen-können, weil niemand anderer da war mit dem ich Musik hätte machen können. Dann gehst du halt selber mal ins Studio und schaust, was passiert.
Waren diese ersten Schritte schwierig für dich?
Am Anfang bin ich im Studio gesessen und dachte mir „Okay, ich werde anfangen und spiele Keyboard“ und dann „ah, jetzt wäre es super, wenn schon jemand Schlagzeug spielen würde. Das passiert aber nicht, wenn ich das nicht selber mache“. Ich habe eben alles selber machen müssen. Am Ende hat das aber dann ganz gut geklappt. Dann war ich auch ganz froh, dass ich alles alleine entscheiden kann. Das war plötzlich so „Ah, krass – voll gut (lacht). Ich darf das alles alleine machen.“
Also, ein richtiges AHA-Erlebnis...
Ja, auf jeden Fall, weil ich auf einmal eine ganze Band war und plötzlich alle Entscheidungen treffen hab können – dürfen – müssen. Ich glaube, das macht einen nicht stärker aber selbstbewusster.
über DROP YOU SOUL
"Ich wollte unbedingt diese Chorelemente aufgreifen, weil ich ganz lange in Chören gesungen habe und weil ich die Akkordfolgen und die Klangfarbe von Chören extrem gerne habe. Ich wollte eine Kombination aus einem Volks- und einem Kirchenlied machen aber keine Plaitüden schwingen und dennoch soll das Lied an etwas Göttliches erinnern. Die Zeile „He came over to drop his soul. I got on my knees“ wird aber meistens total falsch verstanden (lacht). „He“ ist etwas Göttliches, etwas Ungreifbares. Der Song ist aber auch eine kleine Persiphlage von diesem überirdischen und mystischen Thema, das im Moment in der Popmusik total überpräsent ist."
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Pascal Flamme
Ich finde du hast dir einen sehr interessanten Namen als Musikerin ausgesucht. Wie kann man sich Jools Hunter vorstellen?
Dieses „Hunter“ klingt stärker als es ist und sein soll. Ich finde es ist ein spannendes Thema, weil ich selbst, wie wahrscheinlich viele andere auch, permanent etwas suchen und irgendeinem Traum oder irgendeiner Idee nach jagen.
Die EP „Jools Hunter“ hat Jools (da noch Label-los) selbstveröffentlicht. Erhalten kann man sie über joolshunter.com. Dort veröffentlicht sie auch alle zwei Wochen ein neues Mixtape zum Anhören.
Eine clevere Idee, um vor allem der unumgänglichen Frage des eigenen Musikgeschmacks zu entgehen!
Du bist also selbst auch ein solcher „Hunter“....
Kommt darauf an. Also mein nicht-Musik-ich eigentlich nicht. Ich bin eher sehr ruhig und wenn ich was hab, dann passt das. Aber beim Musik-Machen auf jeden Fall. Vor allem, weil ich jetzt immer mehr die technischen Möglichkeiten entdecke und immer versuche herauszufinden, wie man Sachen noch besser machen kann. Dem jag ich schon ein bisschen nach und ich liebe es auf ebay tolle alte Geräte zu jagen.
Du stehst nun am Anfang deines musikalischen Solo-Weges: wie verändert sich da die Selbstwahrnehmung, wenn sich im Zuge dessen plötzlich eine zweite Identität herausstülpt?
Am Anfang hab ich mir gedacht, dass sich Ich und Jools Hunter maximal überschneiden sollen und im Idealfall zu einer Person werden. Aber bei meinen ersten Konzerten habe ich dann gemerkt, dass, wenn ich auf der Bühne bin, mein Ich so nicht funktioniert und dass es wechseln muss, denn ich würde nicht einfach so auf der Bühne stehen. Aber ich will ganz unbedingt Musik machen und deswegen muss ich auf einer Bühne stehen. Daher muss Jools Hunter eigenständig sein - das kann sich nicht überschneiden.
Im Infotext über Jools Hunter steht: „Her songs are telling stories about precious memories, regular things to relate to, struggle, reversing and receiving reality, the future, ancient ghosts, tomorrow’s heroes and the silent growing of thoughts.....“
Du ziehst deine Inspiration für deine Lieder offensichtlich stark aus deinem Leben...?!
Erstens das und zweitens sind es nicht nur die Songtexte damit gemeint, sondern die Songs im Allgemeinen. Die Gewichtung ist ziemlich ausgeglichen. Manchmal ist der Text eher unwichtig und muss sich der Musik anpassen. Die Lieder sind für mich immer ein state-of-mind und -feeling. Also, wie es mir gerade aktuell geht. Das spiegelt so ein Song meistens wider. Bei der Inspiration aus meinem Leben, da spielt alles mit rein, was meiner Meinung recht normal ist, dass die Filme die ich mir ansehe, die Bücher die ich lese, die Gespräche die ich führe, die Sachen die ich zB in der U-Bahn sehe, versuche immer mitzunehmen und aufzusaugen.
War der Start in ein neues Leben in Berlin auch eine Inspirationsquelle für dich...?
Dieses Alleine-Sein war ein ganz wichtiger Punkt und spielt natürlich eine Rolle. Am Anfang in einer neuen Stadt wird man oft mit Situationen konfrontiert, die man vielleicht nicht ganz so kennt, wie wenn man in so einem geschützten Raum gelebt hat, wie ich es in Wien es gewohnt war. Plötzlich wird man mit extremen Oberflächlichkeiten konfrontiert mit denen man nicht umgehen kann und man ist viel alleine, weil man diese Oberflächlichkeiten umschiffen will. Das ist schon ein großes Thema auf dieser ganzen EP. Ich denke, deswegen habe ich mich zu dieser Zeit auch extrem mit afrikanischen Mythen und solchen Sachen beschäftigt, weil ich halt irgendetwas gesucht habe, das mich mehr fesselt als es der Alltag eine Zeit lang getan hat und die Menschen, die mich umgeben haben. Ich habe mich dann zeitweise auch wirklich gewundert, dass die Sachen so fröhlich geworden sind. Ich habe immer wieder versucht Sachen absichtlich traurig klingen zu lassen, aber das hat ganz schlecht funktioniert (lacht).
Deine Songs haben sehr viele Ebenen – du loopst dich immer wieder selbst, benutzt viele Samples und du transformierst dich sehr oft in einen Chor um. Das ist vor allem ein interessantes Thema das immer wieder in deinen Songstrukturen aufkommt.
Angefangen hat das als ich angefangen habe aufzunehmen. Ins Mikrofon zu singen war irgendwie zu wenig und auch zu intim für mich. Deswegen gibt es auch nur einen Song auf dem man nur eine Stimme hört. Ich habe es nie ausgehalten quasi alleine zu hören zu sein und mir dann eben immer gedacht, dass das auch anders gehen muss. Und so habe ich dann eine zweite Stimme dazu gesungen. Und dann habe ich bemerkt, dass es mir ziemlich viel Spaß macht mehrstimmig zu singen und dann hat man heute mit Abelton so viele Möglichkeiten und kann zwanzig Stimmen singen und kann das so regeln und pegeln, dass man alle Stimmen hört und das war dann sehr gut. Mit der weiteren Vision, dass dann so ein Kinderchor hinter mir steht. Ich wollte einfach ein bisschen größer denken.
Magdalena Bichler
Hast du dir bestimmte Ziele gesteckt, die du mit deiner Musik erreichen willst?
Ziele? Ja...Nein. Erstens will ich mal schauen, was passiert aber ich versuch schon professionell an das ganze heran zu gehen. Ich will jetzt nicht Konzerte spielen, die so lala sind. Ich hab wahnsinnig viel geprobt und hab einen gewissen technischen Anspruch. Ich will nicht einfach nur durch einen Verstärker spielen ohne Monitorboxen, das geht nicht. So funktioniert meine Musik nicht. Sowas ist sind mir schon wichtig.
„I don’t want to be seen“singst du in dem Song „Touch Me“. Bist du etwa ein bisschen Bühnen-scheu?
(lacht) Ich, auf jeden Fall. Mein Nicht-Musiker-Ich ist extrem Bühnen-scheu aber ich habe jetzt bei den letzten Konzerten auch bemerkt, dass es eigentlich nicht so schlimm ist auf der Bühne zu stehen. Das ist in Ordnung, weil ich da was mach, was ich gern mach und was mir Spaß macht. Und es ist sogar ok dazu zu stehen, dass man das mag, dass man was macht, was andere Leute auch gut finden und dass es am Ende Spaß macht. Das war am Anfang das Problem. Ich dachte mir immer: „Oh Gott ich kann niemanden sagen, dass ich das machen will und dass ich auch Konzerte spielen will, weil vielleicht kommt das ganz komisch rüber.“
Warum komisch?
Vielleicht bin ich ein bisschen neurotisch. (lacht). Weil sich das wahrscheinlich jeder irgendwann einmal in seinem Leben denkt, dass es ganz toll wäre selbst auf der Bühne zu stehen. Ich hab mir bei mir immer gedacht, dass das vielleicht ganz unsympathisch ist, wenn man das sagt. Aber es macht halt doch irgendwie Spaß.
Hast du dir irgendwelche Tricks zugelegt, um die ersten Bühnenmomente gut zu überstehen?
Ja, eigentlich einfach nur rauf – Augen zu und durch. (Lacht) Augen zu ist wörtlich gemeint. Ich hab meine Augen, glaub ich, bei meinem ersten Konzert die meiste Zeit geschlossen gehabt.
Also nicht „I don’t want to be seen“ sondern eher „I don’t want to see you“...
(Lacht) So ähnlich.
Jools Hunter @ West Germany, Berlin
Gewinnspiel
Veranstaltet wird der Abend übrigens vom famosen österreichischen Label seayou records.
Nach einer ersten Tour als Vorband der kanadisch-britischen Band Cat’s Eyes (einem Seitenprojekt des Horrors Sängers Faris Badwan) spielt
Jools Hunter ihr erstes Österreich-Konzert im Wiener Rhiz am 22. Juni 2011.
Dazu gibt es hier nun 2x2 Karten und 3 EPs zu gewinnen.
Wo hat Jools Hunter ihr erstes Konzert in Berlin gespielt?
Die GewinnerInnen wurden bereits via E-Mail verständigt!