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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 6. 2011 - 18:42

Journal 2011. Eintrag 118.

Drinnen/Draußen. Oder: das alte Hannes-Eder-Axiom.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute wieder mit einer Assoziationskette, die mit dem 6. Platz, den Wien in der neuen Monocle-Liste über die "most liveable cities worldwide" belegt, über New York zum alten Eder-Axiom führt, welches besagt, dass Je-mehr-Rausgehen zu Desto-besser-wird-Programm führt. Wissen alle, ist aber reines Lippenbekenntnis, vor allem journalistisch.

Es ist nur eine subjektive Liste, ein Ranking der "most liveable cities" weltweit, die das zwar schnöselige aber angenehm unaufgeregte Weltbürger-Magazin Monocle jedes Jahr erstellt. Und Wien, das ist seit der ersten Ausgabe klar, hat einen Top 10-Platz gepachtet.
Denn, aller Reise-Bildungsbürger-Frapuccino-Kultur zum Trotz setzt Tyler Brûlés Magazin die Messlatte hoch an: Wirtschafts-Daten, medzinische Versorgung, Angebundenheit an die Außenwelt, Kriminalität und Public Transport werden untersucht, aber auch weiche Kriterien wie Toleranz, Kultur oder Umweltschutz zählen. Und, wichtig: Key Developments.

Es ist nur eine subjektive Liste, die üblichen Verdächtigen wie die skandinavischen Hauptstädte, Zürich, München und Australien sind immer weit vorne. Tokyo, Paris oder Berlin kommen dicht dahinter.

Ich schau sie mir trotzdem jedesmal aufs Neue gern an die Liste. Weil die Wahrnehmung von außen meist mehr kann, weil sie vor allem Veränderungen besser/schneller wahrnimmt, als man selber in der Innensicht, die alles verlangsamt und niedermorpht.

Und dieser kanadisch-britische Blick, den Brûlé seiner Redaktion vorgibt, der ist mir sogar ein Stück lieber als das streng Objektivierte etwa des Rankings von Mercer, auch wenn Wien dort die aktuelle Nummer 1 von 221 untersuchten Städten ist.

Sixth most-liveable City worldwide

Bei Monocle belegt Wien Platz 6 (2007: 5., 2008: 6., 2009: 7., 2010: 8.) hinter Helsinki, Zürich, Kopenhagen, München und Melbourne, bekommt Lob für den geplanten Stadtausbau Aspern, die neuen Kunst- und Modemessen und ein Fragezeichen zur ungenügenden sonntäglichen Nahversorgung.

Wenn ich dran denke, mit welcher muffelsüchtigen Manie zu viele Bewohner durch ihre Stadt laufen, immer auf der Suche nach etwas, was man anstänkern und irgendwelchen Sündeböcken anlasten könnte, ist diese vielleicht etwas versponnene Außensicht doppelt so viel wert. Weil sie nämlich in Relation setzt; zur internationalen Realität. Und sich nicht in einer irrationalen nationalen Wunschvorstellung verliert.

Insofern ist die Sicht der Vertretung globaler Vielflieger-Nomaden dann doch deutlich geerderter als die der eingebildeten Kranken mit Wiener Postanschrift.

Sehnsucht auf der Whitstone Bridge

Letzten Mittwoch Mitternacht hat in der Bonustack-Sendung ein Exil-Österreicher aus New York angerufen. Er fuhr gerade über die Whitestone Bridge heim nach Queens und erzählte fast eine Viertelstunde lang von der Außensicht des fremdgewordenen Sehnsüchtigen auf die alte Heimat.

Der fand dann sogar das aufgeplusterte pseudo-internationale Wichtiggetue rund um den türkisch-österreichischen Streit, von dem in New York kein Sekündchen etwas zu hören war (wegen erwiesener Unwichtigkeit) amüsant. Ich wette, dass er, der NYC-Exilant, wenn er noch in Österreich leben würde, da eine andere Sicht hätte.

Die Woche davor, an ebengleicher mitternächtlicher Stelle hatten einander drei Anrufer abgelöst, die wie eine Parodie auf die klassischen FM4-Rezeptions-Prototypen wirkten. Der erste, ein teilweise in Tschechien lebender Schweizer, erzählte von seiner Beglückung angesichts der Totalabwesenheit von anständigen Radio-Programmen in den beiden anderen Territorien. Der zweite, ein Wiener Mitternachtsbader, nörgelte danach, bar jedes Wissens und unter ununterbrochener Verwendung falscher Fakten und kindlicher Unterstellungen das Programm an, ehe dann der dritte, ein frisch geschlüpfter süddeutscher Hörer, beim Versuch dem Wiener zu kontern, in einem Fettnapf der Missverständlichkeit landete.

Auch da zeigte sich, dass die Außensicht, die Fähigkeit etwas vergleichen zu können, Relationen herstellen zu können, die über Wunsch-Vorstellungen und national beengende Grenzen hinausgeht, einem klare Vorteile verschafft. Vorteile, was Aus- und Umsicht betrifft.

Das alte Hannes-Eder-Axiom

Irgendwie ist mir in diesem Zusammenhang der Hannes Eder eingefallen. Der hatte Anfang des letzten Jahrzehnts, als er die FM4-Programmgestaltung leitete, ein Ceterum Censeo eingebaut, Zeuge einer dezenten Auflehnung gegen ein nichtumzubringendes System.

Eder vertrat die Ansicht, dass ein Medienarbeiter, egal ob Redakteur oder Moderator einen Teil des Tages draußen verbringen müsse, um sich Input zu holen - anstatt, wie in praktisch jeder Firma, und interessanterweise vor allem auch Medienanstalten, daran gemessen zu werden, wieviel Zeit man brav an einem Arbeitsplatz/Schreibtisch/PC verbringe.

Das, so lautete das Hannes-Eder-Axiom würde nur zur inhaltlichen Verflachung und Lebens-Abgehobenheit führen - während ein jeder Draußen-Aufenthalt (wurscht, ob man den geplant hat oder improvisiert) direkte Spuren hinterlässt, die auszuwerten etwa so wichtig wäre, wie die paar Zitronenspritzer für das Schnitzerl.
Also: nur wer zulassen kann, etwas zu erleben, hat auch etwas zu erzählen.

Natürlich funktioniert das nur dann, wenn diese Medienarbeiter auch wahre Journalisten sind, im Herzen, also bereit dafür was zu erleben, Dingen nachzugehen, sich Geschichten erzählen zu lassen und die dann weiterzuerzählen etc.

Innen - Außen = eine Frage des Klimas

So richtig durchsetzen konnte der Hannes Eder seine Idee nicht. Außer für sich selber. Auch heute, acht Jahre nach seinem Abgang zur Universal (wo das auch nicht allzu leicht umzusetzen ist), zählt Anwesenheit mehr als potentielle Inspiration, wird das Drinnen deutlich über das Draußen gesetzt; ganz im Gegensatz zu den am Sonntag gepredigten Lippenbekenntnissen, dass das Rausgehen soooo wichtig wäre, für einen lebendigen, greifbaren Journalismus. Jede einzelne Handlung von Verlagsleitern bzw. ORF-Chefitäten jedoch arbeitet genau gegen dieses Prinzip.

Und weil das so ist, passiert auch immer weniger an selbstverständlichem Draußensein.
Mir ist das aufgefallen, als meine Freundin Barbara mir gestern erzählt hat, dass sie jüngst bei der kurzfristigen Karlsplatz-Besetzung gewesen und dort Gespräche und Atmo aufgenommen hatte. Ohne Auftrag, einfach für sich, aus Interesse.
Barbara ist freie Mitarbeiterin für eine Ö1-Sendung, die keine aktuellen Themen behandelt; aber sie kommt aus dem Filmbereich, wo man gewohnt ist, unabhängig zu denken und zu arbeiten.
Stutzig bin ich geworden, als sie zu mir sagt, dass sie ganz schön deppert ist, das zu machen. Weil man so etwas - Eigeninitiative, Rausgehn, Geschichten hören, Geschichten weitererzählen, offenbar nicht braucht oder will.

Das Berufsbild des Acht-Stunden-Schreibtischmenschen

Deppert sind die, die dieses Draußen verhindern oder gar nicht mehr reinlassen in ihr Drinnen.

Apropos: eine, die dieses wichtige Draußensein immer mit Leben erfüllt hat, verlässt die FM4-Redaktion und geht (zurück) nach Vorarlberg: Lisa Rümmele, Morning Show-Producerin.

Und mit den vielen jungen Journalisten, die tendenziell zur PR ausgebildet werden und ein Berufsbild am Rande des Abgrunds, der Angst und der Übervorsicht vermittelt bekommen, wird das deutlich perpetuiert werden.

Ich hab das Eder-Ding für mich adaptiert; und ich schau mir (gern und ganz bewusst) immer wieder Dinge an, von deren Textur ich deutlich zu wenig verstehe, um dann was Inhaltliches zu publizieren.

Wichtig ist die Neugier und die Möglichkeit des In-Relation-Setzens. Und das ist etwas, wovon der Journalismus, und um den geht es mir letztlich, noch viel zu wenig in Anspruch nimmt. Dort hängt man immer noch an Ressorts (deren Einteilung seit Jahrhunderten unüberprüft übernommen wird) und an Spezialistentum fest - aber anstatt das als Basis für Verknüpfung und Crossover zu nehmen, wird an einer Verhüttelung des Innen gearbeitet. Auch hier ist der Wille zum Rausgehen aus den kleinen Nestern allzu gering.

Wie lange die Barbara noch rausgehen wird, um etwas zu erleben, aufzunehmen und zu erfahren, weiß ich nicht. Dass es nicht mehr viele gibt, die so denken und so vorgehen, weiß ich. Und finde das nicht gut, wiewohl einige der Gründe dafür durchaus nachvollziehbar sind. Wie das der Hannes bei Universal macht, weiß ich nicht. Ich werd einmal nachfragen.