Erstellt am: 15. 6. 2011 - 22:54 Uhr
Journal 2011. Eintrag 116.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Sidestep in den Kunstbetrieb aus Anlass der Kunsthallen-Sauerei und einer Attacke von Peter Weibel.
Nominell ist Peter Weibel Künstler, wahrscheinlich ist er eher Kunsttheoretiker, praktisch gesehen ist er Lehrbeauftragter und Kurator.
Für mich ist Peter Weibel ein Trickster, vielleicht sogar der Trickster-Prototyp der österreichischen Kunstszene. Er ist einer der den Eskimos Kühlschränke oder auch der Öffentlichkeit Eskimodichter verkaufen kann.
Dieses Können macht es Weibel leicht, sich in der Kunstbranche zu bewegen wie ein Seehund im Wasser. Und deshalb sind die von Weibel immer wieder ins Rennen geschickte Klageschriftenn über die strukturelle Verderbtheit des Kunstbetriebs in etwa so beachtenswert wie Anwalt Ainedters öffentliche geäußerte Besorgnis über Vorverurteilungen seiner Mandanten.
Nun hat Weibel im Profil (ich habe das kürzlich online gefunden, keine Ahnung ob das auch in der Printausgabe zu lesen war) in eine dieser Lamentos Ideen und Vergleiche verpackt, die mich dazu gebracht haben, die Filter meiner Vorurteile beiseite zu schieben und den Text unabhängig von seiner Person, und seiner Rolle als aktiver Player zu lesen.
Österreichisches Kulturfürstentum
Weibels Grundthese ist nämlich deswegen interessant, weil sie über die Kunstecke hinaus denkt. Er bleibt zwar am nächsten Eck, dem der Politik, hängen und verortet dort alle Schuld. (Wiewohl er in seiner Basis-These eigentlich schon beschreibt, dass es über dieses dann doch wieder etwa zu simplem Politik-Bashing - und dabei das noch simplere, fast schon primitive FPÖ-Bashing benutzt - eigentlich hinausgehen müsste), aber immerhin...
Der Reihe nach.
In den letzten Wochen wurde, anhand einer unappetitlichen Affäre rund um die Wiener Kunsthalle, die an die ebenso unappetitliche Affäre rund um Direktor Noever und das MAK gemahnte, öffentlich die Frage nach der Transparenz und Kontrollierbarkeit des sich gern hinter Spezial-Kompetenz, künstlerischer Unantastbarkeit und allerlei Distinktions-Geheule versteckenden massiv öffentlich geförderten Kunstbetriebs gestellt worden.
Vor allem, weil das Gebaren der dort Herrschenden, auch nach einem scheinbaren Paradigmenwechsel, allzu deutlich an das altmodische Kulturfürstentum erinnerte. Das jedoch liegt tief in der heimischen Struktur verhaftet, wie Weibel mit ein paar historischen Anspielungen und Zitierungen schön aufzeigt, wenn er davon spricht, dass im Kunstbetrieb de facto das alte "Gutsrecht" herrschen würde, Lehensbeziehungen, Leibeigenschaften, Vasallentum, zutiefst feudale Strukturen eben.
Gutsrecht, Feudalherrschaft, Vasallentum
Sowas wie eine gewerkschaftliche Vertretung existiere nicht. Das fordere geradezu heraus, dass der Feudalherr seine Privatinteressen mit dem öffentlichen Interesse gleichsetzen würde. Öffentliche Kontrolle gibt es auch nicht, stattdessen wird auf Systemstabilisierung und Macht-Reproduktion gesetzt.
Das funktioniert solange, wie die politischen Kräfte dahinter auf die Leistungsschauen der Kultur-Produzenten, Dar-/Aussteller vertrauen können. Weshalb es in diesem starren System dann auch sinnlos ist, wenn Vasallen, die sich vom Fürsten ungerecht behandelt fühlen den König, also die zuständigen Politiker anrufen.
Ein System bei dem Beschwerden sofort bei den Verursachern landen, weil es keine dafür zuständigen Instanzen gibt, oder diese sich bewusst aus dem Spiel nehmen, die sei krank, sagt Weibel.
Weibel vergleicht diese Wucherungen mit der ebenfalls unkontrollierten Abkassier-Mentalität, mit der die frisch an die Macht gekommenen FPÖ-Cliquen Anfang des Jahrtausends Ausschreibungen und Kontrollmechanismen ausgehebelt hätten. Und dann gleitet er in eine Kritik der österreichischen Ausschreibungs-Politik ab, in der alles eh schon vorher ausgedealt ist, ehe dann öffentlicher Theater-Zinnober veranstaltet wird.
Der einzige Politiker, der seinen Aufgaben halbwegs nachkommt, wird vom Kunstbetrieb gern als Störfaktor diffamiert.
Politiker, Wirtschaftsmächtige, Trickster
Zitat: "Der Kulturbetrieb hebelt ständig den Rechtsstaat aus wie die Parteien." Und dann: "Die Parteien hebeln selbst den Rechtsstaat aus." Und dann: "Wer bestraft Politiker, die das Recht brechen? Wer steht über den Politikern und sagt ihnen, was rechtens ist? Wieder Politiker oder von Politikern Beeinflusste."
Das driftet dann schon ins Überhöhte ab. Hinter/über der Politik stehen nicht "andere Politiker", sondern die Vertreter der handfesten Wirtschaftsinteressen. Zum Beispiel die der Tourismus-Industrie, die bestimmte Vorstellungen von der Rolle der Kunst als Image-Beschaffer hat.
Was die Rolle der nach Gutsherren-Art regierenden Direktoren, egal ob das die alten Seilschaften wie um Seipel oder die jüngeren wie um Matt sind, natürlich dringend braucht.
Hier allein die Politik und die abwägenden Einsetzer auf Bundes- oder Gemeinde-Ebene in die Verantwortung zu nehmen, ist sträflich naiv. Und gar nicht wirklich tricksterstatthaft.
Denn natürlich bestimmen die Pressure Groups, die Interessenvertreter, die Mächtigen, von Raiffeisen über katholische Kirche, von Gemeinde-Holdings über Generalsponsoren, was wie zu laufen und zu funktionieren hat. Nominell läuft das über die Politik, informell aber - und das weiß auch das kleinste Rädchen im System, wenn es die verdammt gut geölte informelle Republik Österreich einmal erfahren hat - stellt die Wirtschaft die Kulturverantwortlichen auf.
Was von Peter Weibels Klageschrift überbleibt
Deshalb ist Weibels Klageschrift problematisch. Weil sie durch ihre simple Kausal-Kette (die Politik ist allein schuld!) genau der Politikverdrossenheit, die sie beweint, Vorschub leistet, anstatt sich um eine ehrliche Aufklärung zu bemühen.
Aber ihr Grundgedanke bleibt interessant: Im Kunstbetrieb manifestiert sich die feudale Verkommenheit des politischen Handelns am weitaus Stärksten. Deshalb herrscht im Kunstbetrieb auch stets die absurdestmögliche Logik.
Weibel bleibt der Trickster, der sich der inneren Eigenverantwortung entzieht, immer den Schein-Blick von außen auf Dinge wirft, deren Entwicklung er beeinflussen könnte.
Seine Sorge, dass die Wickel der letzten Zeit und die strukturelle Verdorbenheit letztlich den "Ruf nach der starken, ordnenden Hand" nach sich ziehen würden, ist unbegründet - diese Affären interessieren niemand außerhalb eines schmalen Zirkels von ganz gut Informierten.
Und die Kulturfeinde würden und werden ihre Bestätigung für die Ablehnung jeglicher subventionierter Kultur abseits profitabler Behübschung auch dann finden, wenn es sie gar nicht geben würde.
Auf die paar Figuren dazwischen, die paar interessierten zwischen Ignorantem Mainstream und profitierender Kultur-Elite, auf die berühmte (und eh kaum existente) Zivilgesellschaft also wird es ankommen, ob sich das von Wirtschaft und Politik als verlässliche Statthalter eingesetzt Kulturfürstenunwesen auch in die nächste Generation rüberretten wird. Nur die können probieren, es zu veranlassen, dafür zu lobbyieren, dass im letzten öffentlichen Feudal-Bereich ansatzweise demokratische Strukturen einziehen. Wenn auch nicht unbedingt mit Peter Weibel als Chef-Berater.