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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

18. 6. 2011 - 13:55

Female Geekery

W-LANs hacken, Solarzellen basteln und Barbies verdrahten am Make Me Festival in Belgrad

Vor ein paar Wochen flatterte mir ein Newsletter von Miss Balthazar's Laboratory ins elektronische Postfach. Die veranstalten alle zwei Wochen im Museumsquartier Workshops von und für Frauen, wo allerlei technische Gadgets auseinandergenommen und zusammengebastelt werden.

Inhalt des Newsletters: Miss Balthazar's Lab ist Mitveranstalter eines Festivals in Belgrad. Vier Tage lang mit Technik basteln, nette Leute treffen und Belgrad sehen, endlich mal ein gutes Angebot in der Mailbox.

Der Veranstaltungsort war ein kleines Kulturzentrum in der Altstadt von Belgrad. Dort hinzufinden war gar nicht so einfach. In Belgrad gibt es zwar eine Unzahl an Buslinien, aber keinen richtigen Plan dafür. Zwei Mal Umsteigen und eine halbe Stunde Fußmarsch später war ich dann endlich in einem Raum von der Größe eines Klassenzimmers angekommen. Auf einem Tisch war bereits alles für den ersten Workshop ("Elektronic Cityscapes") vorbereitet: eine Menge alter Elektrogeräte, Nähzeug und eine kleine Löt-Station.

lötstation am make me festival

Conny Lee

induktiv mikro auf tasche

Audrey Samson

Ein Induktiv-Mikro an der Handtasche befestigt

Aus den alten Apparaten auf dem Tisch würden die Teilnehmerinnen später Draht-Spulen ausbauen und sie zu Induktiv-Mikros umfunktionieren. Damit kann man dann, wenn alles fertig ist, elektromagnetische Felder über Kopfhörer wahrnehmen. Die Geräte können irgendwo am Körper, zum Beispiel an Kleidung oder Handtaschen, festgemacht werden. Am Ende des Workshops ziehen alle mit ihren selbst gebastelten Induktiv-Mikros hinaus in die Straßen von Belgrad und erkunden die Geräuschkulisse, die sich ihnen eröffnet. Elektromagnetische Felder sind nämlich überall zu finden und klingen auch immer etwas anders.

Situated Technologies

Alle Workshops am Make Me Festival beschäftigen sich damit, wie wir durch Technologie unsere Umgebung anders wahrnehmen beziehungsweise benutzen können. W-LAN, GPS, elektromagnetische Felder - diese "situated technologies" umgeben uns fast permanent. Sie bilden eine unsichtbare Infrastruktur über der physischen Infrastruktur. Die Workshops auf dem Make Me Festival sollen dafür Bewusstsein und Verständnis schaffen.

Im Workshop "Breaking the Waves" hacken wir extra dafür erstellte W-LANs (einmal WEP, einmal WPA2). Die meisten von uns haben ja einen Router daheim stehen, mit dem sie ein Funknetzwerk erzeugen. Dieses wird allerdings nicht von Wohnungswänden oder Grundstückgrenzen eingedämmt, sondern verbindet privaten und öffentlichen Raum miteinander. Dafür und für die geringe Sicherheit mancher Netzwerke soll im Workshop ein Bewusstsein vermittelt werden.

make me festival

Conny Lee

Bewusst wird uns im Laufe des Workshops allerdings vor allem, dass aller Anfang schwer ist. Unterschiedliche Rechner und unterschiedliche Versionen von Ubuntu machen die Sache für die KursleiterInnen nicht einfacher. Nach 90 Minuten, in denen die beiden nahezu permanent um den Tisch gelaufen sind, um allen mit ihren Problemen zu helfen (die dann gar nicht so selten ihre Ursache in Tippfehlern hatten), verkündet einer der beiden: "So, das war der zweite Schritt. Im Normalfall braucht man dafür nur ein paar Sekunden."

Hacking for Beginners

Die meisten von uns haben eben noch nie mit Linux gearbeitet. Bei den Workshops wird kein Vorwissen verlangt - nur Interesse. Alles wird von Anfang an erklärt und den KursleiterInnen ist es ein Anliegen, dass alle am Ende ein Erfolgserlebnis mitnehmen können (und wirklich - was für ein Hochgefühl, als das W-LAN nach vier Stunden geknackt war!).

Die Veranstalterinnen, das sind neben den schon erwähnten Miss Balthazar's Laboratory die feministischen Organisationen Zene na delu ("women at work"), genderchangers. Ihnen allen ist es ein Anliegen, aus Technik-Konsumentinnen Technik-Produzentinnen zu machen. Keine Angst vor Lötkolben, Linux und leitfähigem Zwirn!

Teach you, teach me

Die Workshops laufen alle sehr entspannt ab, "Austausch" wäre vielleicht die treffendere Bezeichnung. Unter dem Motto "teach you, teach me" tüfteln und basteln wir alle gemeinsam, nur eine Peron am Tisch kennt sich eben besser aus. Die Dinge werden hier so erklärt, dass ich sie mir auch behalten kann, zum Beispiel, wie ich eine LED anschließe. Die hat nämlich ein längeres und ein kürzeres Bein, und da es nicht gut ist, ein kürzeres Bein zu haben, schließe ich das Kürzere bei Minus an.

Im Workshop "Solar" basteln wir unsere eigenen Solarzellen aus Glas, Silberleitlack, Titaniumdioxid, Saft aus Himbeeren, Kerzenruß, Betadine und Silikon.

make me festival

Conny Lee

Solarzellen zum Trocken am Fensterbrett

So ordentlich der Workshop begann, so chaotisch endete er. Vor allem der Himbeergatsch und die tropfenden Kerzen haben ihren Teil dazu beigetragen. Jeder Fehler kann dazu führen, dass die Solarzelle am Ende nicht funktioniert, und Fehlerquellen gab es gerade genug: Der Silberleitlack muss dick genug aufgetragen sein, damit er leitet. Das Titaniumdioxid blättert, wenn es getrocknet ist, ganz einfach wieder vom Glas ab. Der Saft wird aus Himbeeren gequetscht, wodurch sich immer wieder Himbeersamen dazumogeln, die eigentlich nichts in der Solarzelle zu suchen hätten. Beim Auftragen vom Kerzenruß kann das Glas zerspringen. Das Betadine trägt den gleichmäßig aufgetragenen Ruß wieder ab. Und wenn das Silikon nicht dicht ist, läuft das Betadine am Rand der Zelle aus.

Jede von uns hatte das ein oder andere Problem. Manche hatten alle gleichzeitig. Ich habe ein Glasstück zu viel mit der Himbeer-Marmelade beschmiert und damit sowohl mich selbst als auch eine andere Teilnehmerin sabotiert. Im Optimal-Fall sollte so eine selbstgebaute Solarzelle mindestens 0.6V erzeugen können. Meine brachte schlappe 0,24V...

make me

Conny Lee

No need for Angst

Im "Angst Dolls" Workshop ging es darum, alte Barbies zum Zittern zu bringen. Ihre Augen wurden durch Photo-Widerstände ersetzt, und der Vibrations-Motor aus einem alten Handy erledigt das Zittern. Wenn man die Barbie dann ins Licht hält, schließt sich der Stromkreis und der Vibrationsmotor geht an. Erst wenn man den Barbies die Augen zuhält, beruhigen sie sich wieder. Die Kursleiterin Stefanie Wuschitz erzählt, sie sei auf die Idee zu den Angst Dolls gekommen, als sie die Berichterstattung zum Irak-Krieg gesehen habe. Da hätte sie am liebsten einfach nur mehr die Augen zu machen wollen.

make me

Conny Lee

"Who else needs isolation in the brain of the barbie?"

Nach vier Tagen Make Me Festival ziehe ich Bilanz: Ich habe gehört, wie elektromagnetische Felder klingen, habe ein Wi-Fi gehackt, ins Innere von Barbies Kopf geblickt und Himbeergatsch auf Titaniumdioxid geschmiert. Ich habe nette Leute kennengelernt, beherrsche jetzt das kyrillische Alphabet, weiß, wie man am besten vom Kulturzentrum zu meinem Hotel kommt (Linie 26 und 16!) und habe ein paar Worte serbisch gelernt. Danke heißt Huala.