Erstellt am: 15. 6. 2011 - 10:55 Uhr
Chuck Norris ist ein Schlappschwanz
Das ist die Bilanz meines Bruders von seinem letzten Besuch in Sofia. Man stellt sich das irgendwie anders vor, wenn man in den Ferien seine Familie besuchen will. Die Schläger verwendeten den ältesten Trick der Welt. Ein schönes Mädchen kam in einer Bar auf ihn zu. „Alle warten draußen auf dich“, sagte sie zu meinem leicht angetrunkenen Bruder. Er konnte sich nicht an dieses schönes Gesicht erinnern, aber irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Vielleicht eine Mitschülerin aus der Volksschule oder eine alte Partyliebe. Jedenfalls ging er raus aus der Bar. Alle warteten auf ihn. Das Letzte woran er sich erinnern kann, ist eine Flasche, die auf seinem Kopf zerbrach. Am nächsten Tag wachte er im Krankenhaus auf. Mit sieben Nähten auf dem Kopf und einem ausgebrochenen Zahn. Er hatte Glück.
Für einen erheblichen Teil der Menschheit ist das Leben eine Möglichkeit, sich die ganze Zeit gegenseitig zu verhauen. Das Gesetz des Dschungels ist leicht zu verstehen und noch leichter zu befolgen. Wenn du stark bist, kannst du den Schwächeren schlagen, und er fürchtet und respektiert dich. Alle TV- und Kinohelden machen es die ganze Zeit, und wer will nicht wie Chuck Norris sein.

Chuck Norris
Wenn meine Freunde Geschichten über Schlägereien erzählen, platzen sie vor Stolz. Sexuelle Eroberungen können schiefgehen und mächtig Ärger bringen, aber bei einer Schlägerei kommst du meistens mit einem blauen Auge davon. Es findet sich immer ein Weg, sich als Sieger darzustellen. Mein Freund Vlado zum Beispiel redet die ganze Zeit über asiatische Kampfkunst und stellt Theorien auf, wie man sich am Besten in einer unerwarteten Schlacht verteidigen soll. Vlado ist der beste Kampfkunsttheoretiker, den ich kenne. Ich bin sicher Bruce Lee selbst kannte nicht alle Schläge und Tritte, die Vlado auf Lager hat. Mein Freund Sascho macht Vlado mächtig Konkurrenz und erzählt die ganze Zeit über seine Vergangenheit als Fußballhooligan. Er wurde in unzählige epische Schlachten mit der Polizei und mit den Fans der gegnerischen Mannschaft verwickelt. Peter, ein sehr netter Kerl und seit Kurzem Vater eines Mädchens, schwärmt von den Zeiten, als er einen Typen mit einem Schlagring kaputtgeschlagen hat.
Ich kann nicht mit den Geschichten meiner Freunde mithalten. Bisher war ich immer der, der verdroschen wurde. Ich habe nicht einen einzigen Sieg. Egal ob in einem Randviertel von Sofia oder auf dem Donauinselfest in Wien - irgendwelche Jugendlichen fanden immer einen Grund, auf mich loszugehen. Mal habe ich wen schief angesehen oder ich lief gerade einem über den Weg, der gerade seine Aggressionen raus lassen wollte. Ich habe nie versucht, mich groß zu wehren, eher den Konflikt mit Worten zu lösen. Währenddessen bekam ich auf die Haube. Ich kenne mich mit Kampfkunst gar nicht aus, war nie bei einem Fußballspiel und bin nicht sicher, wie ein Schlagring aussieht. Auch Chuck Norris fand ich nie cool. Ich stand immer mehr auf Woody Allen. Ich hoffe, es bricht kein Krieg aus, und ich muss nie zur Armee. Sonst wäre ich die erste Geisel.
„Wir müssen uns rächen!“, sagten sofort Vlado, Sascho und Peter im Chor, als sie erfuhren, was mit meinem Bruder in Sofia passiert ist. Nein, Leute, müssen wir nicht. Ich bleibe bei meiner pazifistischen Einstellung. Keine Ahnung, ob ich auf Jesus Christus stehe oder einfach nur ein Hippie bin. Das Einzige, was wir mit einem Rachefeldzug erreichen können, ist dass mehr Menschen mit genähten Köpfen im Krankenhaus liegen. Die Schläger kriegen es irgendwann zurück oder auch nicht. Chillt ab, Freunde, nicht mit Muskeln sollt ihr den Menschen Respekt beibringen. Lasst das, eigentlich ist Chuck Norris ein Schlappschwanz.