Erstellt am: 14. 6. 2011 - 17:08 Uhr
Journal 2011. Eintrag 115.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit den aktuellen Entwicklungen in der Problematik um die platzstürmenden Rapid-Hooligans; und die haben ihre Ursache nicht im Sport, sondern in den gesellschaftlichen Entwicklungen.
Der News-Wert der heutigen Pressekonferenz von Rapid Wien ist folgender: Der von platzstürmenden Hooligans gebeutelte Verein hat einen Zehn-Punkte-Plan erstellt. Die Vorhaben sind sehr konkret, leicht umzusetzen wird es nicht.
Und: Das Umfeld, die Liga, die Ultra, die Öffentlichkeit und vor allem die Medien sind von der Komplexität des Themas sichtlich überfordert.
Die Veranstaltung, bei dem das Dreigestirn Kuhn-Marek-Edlinger einen durchaus emotionalen und in der prinzipiellen Offenheit beeindruckenden Auftritt gab, berührte so ziemlich alle Punkte, die Sport in seiner gesellschaftlichen Verantwortung berührt. Und ihr Nachhall wird noch zu spüren sein, monatelang.
Der ansonsten völlig reflexionsfreie Raum des österreichischen Sport-/Fußballjournalismus offenbarte an diesem Vormittag im Wiener Cafe Landtmann seine schmale diskursive Kraft: Es kam allerdings mehr zu Vorwürfen, angeführten Fehl-Beispielen, in die Zukunft geäußerten Vermutungen zur Durchführung als zu den Gretchenfragestellungen.
Wie soll sich das ausgehen mit der an einen Sport-Verein abgeschobenen psychosozialen Verantwortung für eine Gruppe abgehängter Prekärer aus Bereichen, die man früher schlicht Proletariat genannt hatte?
Der psychotherapeutisch überschrittene Rubikon
Kann das ein einzelner Andock-Punkt - und bis zu einem gewissen Grad ist Rapid das letzte öffentliche Relais zu einer sonst nicht (mehr) erreichbaren Gruppe - leisten? Ohne Unterstützung seiner Liga, seines Verbandes, der Kommunal- und des Bundespolitik?
Die Ultras selber verweigern sich ja dieser Analyse - klar, wer sieht sich schon selber gern als Opfer. Allerdings verhindert diese schiefe Selbstsicht auch, dass sie allgemein als Wutbürger Anerkennung finden können - sie bleiben was sie sind: banale Brandstifter.
Der 10 Punkte-Plan Rapids:
1) Stadionverbote für alle ausgeforschten Platzstürmer. Strafmaß: 1 bis 10 Jahre, abhängig davon ob aktiver Platzsturm oder Mitläufertum, das dafür österreichweit. Rapid rechnet mit 70 bis 100, die Polizei spricht von 150 bis 200. Mehr als zehn Jahre sehen die Satzungen nicht vor, das von Edlinger in der ersten Wut ausgesprochene Wort "lebenslänglich" ist nicht durchführbar - bislang waren es gar nur zwei Jahre. Die bundesweiten Stadionverbote kann nur der Liga-Senat 3 aussprechen.
2) Regress-Forderungen von Rapid an alle Verurteilten. 1000 Euro oder 150 Arbeitsstunden für den Verein. Wer das verweigert, bekommt (anschließend an das Stadionverbot) Hausverbot.
3) Der Zutritt für die Fan-Tribünen West und Ost wird nur noch über personalisierte Abos ohne Weitergaberecht und mit Lichtbildausweise-Kontrolle möglich sein.
4) Kein Zutritt mehr für West/Ost mit Tageskarten.
5) Die Lagerbereiche, die berühmten Kammerln, werden geschlossen. Die anwesenden szene-kundigen Polizeibeamten ächzen "Gottseidank!".
6) Komplettverbot jeder Pyrotechnik. Das bisherige Gentlemen’s Agreement, Strafen für Pyro/Raketen hinzunehmen wird aufgelöst.
7) Das Werfen von Gegenständen auf den Platz wird rigoros geahndet - Werfer werden ausgeforscht und bekommen ein Jahr Stadionverbot. Bierduschenschütter sind da, ich hab' nachgefragt, inkludiert; auch wenn die drei Chefs da erst die Köpfe hin- und herwiegen müssen.
8) Das Stadion wird unter der Woche geschlossen. Nur noch ein öffentliches Training mit starken Kontrollen. Die Zeiten des Vereins zum Angreifen, des problemlose Aus-/Eingehen des Umfelds sind vorbei.
9) Das Rapid-Dorf wird wieder auf die Ausgangs-Idee zurückgefahren. In den letzten Jahren hatte es sich (auch wegen einer Übersiedlung) von einem Familientreff zu einem reinen Bierzelt entwickelt. Es soll wieder eine familienfreundliche Kommunikationsstätte wie zur Eröffnung werden. Vorbild: Rathausplatz im Sommer.
10) Die Derby-Heimspiele, bei denen Rapid Platzherr ist, werden künftig im Happel-Stadion im Prater ausgetragen.
Andy Marke kündigte zudem eine neue, verbesserte Schulung des Ordner-Dienstes an, sowie die Einstellung von neuen Mitarbeitern, die sich unter anderem auch um jene kümmern sollen, die "eine intensivere Zuwendung brauchen".
Die Video-Überwachungs-Anlage (14 Kameras im Stadion, 4 davor) wird ausgebaut.
Der Schaden des Platzsturms samt Verdienstausfalls wegen der zwei Geisterspiele beträgt (Fanshop- und Gastro-Einnahmen inkludiert) über eine halbe Million Euro.
Am Mittwoch wird dann offiziell, was sich im Rahmen der PK schon angedeutet hatte: die Höchststrafe die der Senat 3 der Bundesliga für die Platzstürmer verhängen kann waren zum Zeitpunkt des Geschehens 2 Jahre. Eine rückwirkende Erhöhung ist rechtlich nicht möglich: also ist's Essig mit den von Rapid angestrebten 10 Jahren - weitere Infos dazu hier.
Präsident Rudolf Edlinger, ein Mann mit politischer Erfahrung sieht das schon klarer. Die Fangruppen der großen Vereine, sagt er, sind ein Spiegel der Gesellschaft. Und er ist hörbar froh, dass zumindest bei ihm in der Kurve keine Rechtsradikalen und Neonazis mehr säßen, wie das früher (und jetzt bei der Austria Wien laufend) der Fall war. Sportvereine können aber diese dahinterliegenden gesellschaftlichen Probleme nicht lösen.
Was man kann: den Dialog aufrechterhalten. Er ist für Kommunikation, nicht strikte Law & Order, auch wenn die Meute den Rubikon, wie Edlinger es formuliert, überschritten hat. Das englische Modell, oder auch die radikale Herangehensweise von RB Salzburg sind, sagt Edlinger, eine Scheinlösung. Sie verlagern die Probleme anderswohin, in England auf die Straßen, von Red Bull zur neuen Austria.
Die Herrschaft der Scheinmaßnahmen durchbrechen
Und das, und da muss sich Edlinger später ein wenig spöttisch "hehre Absichten" (das kommt ja gleich nach Gutmenschentum) unterstellen lassen, kann nicht der Weg von Rapid sein. Andererseits sei man auch keine sozialtherapeutische Anstalt.
Du merkst, LeserIn/UserIn - da sind so viele Widersprüche, dass die Stange wackelt; obwohl alles nachvollziehbar und richtig ist.
Und genau diese ungelösten Widersprüche verwirren die leicht zu Verwirrenden, die handlungsarmen Funktionsträger, die maulheldige Öffentlichkeit und die spätcheckenden Medien so sehr.
Denn einerseits ist mittlerweile allen (bis auf die Ultras natürlich) klar, dass der bisherige Weg des dauernden Nachgebens und Zurückweichen, der Zugeständnisse und künstlichen Abhängigkeiten nicht zu weniger, sondern zu mehr Gewalt und mehr vertrottelten Aktionen führt.
Andererseits ist der Weg der kompletten Verbannung der diversen Ultras/Hools aus den Stadien ein gefährlicher Schritt zur Kriminalisierung und gesellschaftlichen Isolation eines wegen seiner Zukunftschancenlosigkeit zunehmend aktionsbereiteren Mobs. Es war natürlich nur Zufall, dass auch HC Strache am nämlichen Vormittag im Landtmann war und im Vorfeld die Nähe der Veranstaltung suchte; aber irgendwie symbolischer.
Der Katalog der Ehrlichkeit jenseits der Popularitäts-Punkte
Und deshalb empfinden die einen die Rapid-Maßnahmen als deutlich zu weit gehenden Kontroll-Horror, während die anderen von einer defacto-Pardonierung sprechen und schon skizzieren, wie die Verbote problemlos umgangen werden können.
Beide Jammereien verfehlen aber den zentralen Punkt, den der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung jenseits von populistischen Schein-Maßnahmen.
Da die österreichische Innenpolitik mittlerweile ausschließlich so funktioniert, wird sie keine wirkliche Lösung anstreben, sondern wohl wieder, wie schon im Fall der Pyrotechnik, ein sehr schlechtes Anlass-Gesetz schaffen.
Weil die heimische Fußball-Nomenklatura (Verband, Liga, Sponsorengeflechte) aus erfahrenen Nicht(s)-Bewegern besteht, wird es auch hier kaum Unterstützung geben.
Deshalb ist das Solo von Rapid, dieser "Katalog der Ehrlichkeit" (Edlinger) umso bemerkenswerter. Damit lassen sich keinerlei Popularitäts-Punkte erzielen; alle betroffenen Gruppen sind unzufrieden und haben was zum Herumstänkern. Bloß: Andere erste Schritte als die gesetzten sind, will man die Probleme ganzheitlich angehen, gar nicht denkbar.
Appell an den über den Tellerrand blickenden Journalismus
In dieser schwierigen Rezeption offenbart sich dann eine langjährige Misswirtschaft, was den Fußball und seinen Journalismus betrifft.
Präsident Edlinger hat an die Sportreporter (nur die männliche Form, eh klar) appelliert, nicht rein sportliche, sondern auch die gesellschaftlichen Probleme zu erkennen, anzusprechen und legistische Maßnahmen zu fordern.
Das ist lobenswert, allerdings kann man diesen Spruch auch als blanken Zynismus auffassen.
Denn: Rapid hat, ebenso wie praktisch alle anderen Vereine, die Liga und der Verband, in den letzten Jahren und Jahrzehnten jeglichen kritischen, über den Zaun des rein sportlichen blickenden Journalismus be- und verhindert und den braven, biederen, angepassten Copypaste-/Gschichtldruckerjournalismus gefördert.
Jetzt, wo die kritische Auseinandersetzung Not täte, jetzt, wo Feuer am Dach ist, etwas einzufordern, was man seit immer schon bewusst kleinhält - das stinkt. Auch wenn das Thema derzeit virulent ist. In den letzten Monaten hab ich mehr als ein Interview für Diplomarbeiten von jungen Sportjournalisten, die sie genau mit diesem Aufbrechen der Old-School-Ansichten (nur der Sport, bloß kein gesellschaftlicher Gesamtzusammenhang) beschäftigen, gegeben.
Die Angst vor dem Philosophie-Umbruch
Bislang ist man mit der Mauschelei und den Berichterstattungs-Deals gut gefahren. Bislang hat man sich, vor allem bei Rapid, auch gegen kritische Berichte aus Anlässen, die man jetzt, im Nachhinein, entschuldigend als die erkennt, anlässlich derer man etwas hätte unternehmen müssen (Stichwort: Weimann-Vorfall), mit abschmetterndem Bestemm gewehrt. Jetzt, nach entstandenem Schaden geläutert, wäre es erst einmal angebracht, sowas wie die kritische Nachfrage auch ins eigene Weltbild zu inkludieren.
Falls man überhaupt über eines verfügt. Als einer der wenigen der jungen kritischen Kollegen den Voract der heutigen PK, den ein paar News präsentierenden Trainer Schöttel nach dem möglichen Philosophie-Umbruch der neuen sportlichen Führung fragt, reagiert der wie besinnungslos mit der Betonung seiner Unzuständigkeit für so etwas. Was ganz im Sinn des Krone-Reporters ist, der sich über den Begriff des "Philosophie-Umbruchs" lustig macht.
Zumindest die Vereinsführung will dieser veralteten Bunker-Mentalität entkommen. Auch wenn die Hilflosigkeit an allen Ecken spürbar ist. Schnell wird zum Beispiel klar, dass die Tatsache, dass die Zutritts-Regulierung von Punkt 3 nur für die Sektoren West und Ost gilt, aber nicht für den teilweise von üblen Stinkstiefeln bevölkerten Tribüne Nord (bzw. deren Westzipfel) gilt, Tür und Tor für Missbrauch öffnet. Wer dort, wo nicht umfangreich kontrolliert wird, sein Abo weitergibt oder eine Tageskarte löst, kommt ins Stadion, Verbote hin oder her.
... und das finale Geschenk der Hilflosigkeit
Mit diesen Unzulänglichkeiten gehen Präsident Edlinger, Manager Werner Kuhn und Außendarsteller Andy Marek erstaunlich offen um. Sie wissen, dass sie nur verlieren können, ihnen ist klar, dass sie zwischen allen Stühlen hocken und in der Luft zerrissen werden; sie haben aber, wollen sie den Verein auf einem publikumsnahen Weg halten, und wollen sie uns nicht mit reinen Alibi-Aktionen abspeisen, gar keine andere Möglichkeit.
Positiva: Am 22. Juni wird das Hanappi-Stadion Austragungsort der Tagung "Fußball unterm Hakenkreuz" sein - Anlass ist das vorbildlich-aufklärerische gleichnamige Buch über die Rapid-Vergangenheit.
Die Geste am Schluss der Pressekonferenz noch alle Journalisten mit dem neuen Trikot zu beschenken (wohl deshalb haben einzelne Reporter ihre Kinder mitgebracht - oder war das die Gratis-Verköstigung?) zeigt die ganze Hilflosigkeit. Das ist kein Wunder, wenn man - viel zu spät, und unter Rückgriff auf bisher für überflüssig Gehaltenes - den Schritt aus dem fälschlicherweise für abgeschottet gehaltenen Bereich in die Wirklichkeit tritt, in der die bisherigen, bequemen Medien-Seilschaften keine Bedeutung mehr haben.
Ich bin rechtzeitig gegangen um diesem potschert-symptomatischen Versuch der Gefügigmachung (dem totalen und absurden Widerspruch zu Edlingers Forderung nach einem die Genre-Grenzen sprengenden kritischen Journalismus) zu entkommen.