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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 6. 2011 - 20:14

Journal 2011. Eintrag 114.

Die Selbstquantifizierer. Wieder etwas, wo wir nicht drum rumkommen werden.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Fundstück aus der seltsamen Welt der Body Trackers oder besser der Self-Quantifiers.

Klarer Fall von selber schuld.
Wer am zeitungslosen Feiertag zur Financial Times greift, begibt sich auf einen seltsamen Planeten und tut gut daran, nicht auf Sauerstoff-Vorrat zu vergessen.
Ich merke das dann spätestens bei der Umfrage, dem jährlichen Global Survey, die ich immer ausfülle (ohne sie dann abzuschicken, nur so): die vorgegebenen Antwort-Möglichkeiten zeigen, wie eng das Ziel-Publikum für ein globales Special Interest-Medium dann letztlich ist. Weiß, reich, abgehoben, Ego-Shooter im Machtspiel internationaler Realität.

Unter diesen Prämissen gilt es das zu lesen/konsumieren, was dort vorkommt.
Klar, das ist immer so: die Prämisse braucht es auch bei KronaKurier oder Pitchfork, bei der NZZ oder FM4 - du musst wissen, wo oder wofür dein Medium steht, um wirklich etwas mit der Info anfangen zu können. Und für die neue Mediennutzer-Generation ist das ja auch kein Problem.
Dieser Exkurs ist trotzdem nötig, da ich mich viel unter Menschen bewege, die da immer noch gerne ihre Erregung rausblasen (nicht nur weil sie, was Medienrezeption betrifft, zur alten Generation gehören, sondern auch weil viele Junge auch zur alten Schule gehören, erschreckenderweise).
Das ist wie gesagt nicht nötig.

The Invasion of the Body Trackers

Im Übrigen auch, weil die am Cover angekündigte Geschichte über die Body Trackers durchaus bewusst mit dem Ziel-Publikum aber auch mit den Porträtierten umgeht; im Wissen darüber, dass hier nix hochzurechnen wäre, sondern nur die Möglichkeit einer Entwicklung angesprochen wird.

Die Body Trackers heißen in echt Self-Quantifiers also Selbst-Quantifizierer und sind Menschen, die aus der Erhebung biologischer und emotionaler Daten ihr Leben und ihr Ego entsprechend aufpimpen.

Egal ob es dabei um Schlaf- oder Body-Daten geht, oder um eine Auswertung einer emotionalen Befindlichkeits-Skala - letztlich ist der Anspruch, den die Self-Quantifier an ihren eigenen Körper stellen ähnlich wie der, mit dem sie ihre technologischen Gadgets uned Tools benutzen.

Es geht um Optimierung.
Self knowledge through Numbers.
Das selbstgewählte Buzzword "bio-hacking" klingt besser, ist aber vielleicht gar zu cool für das, was es darstellt.
Andererseits: geistige und emotionale Fitness mit einigermaßen Verve zu betreiben kann einer Gesellschaft, die das bislang auf das rein körperliche beschränkt hat, nicht schaden. Vor allem wenn es über die besten Signalgeber überhaupt funktioniert: den menschlichen Körper eben.

Sind die Quantified Self die neue Insichhineinhorcher-Elite?

Insofern ist der Ansatz, den die vor allem in LA/Silicon Valley und natürlich New York aufzufindenden Selfquantifier da haben, keine bloße Trend-Spinnerei, sondern etwas, was in wohl schon ein paar Jahren glatter Mainstream sein wird.

Am letzten Mai-Wochenende tauschten sich bei der ersten "Quantified Self Conference" noch 400 Avantgardisten aus den USA und Europa aus - der direkte Weg ins Uschi-Fellner-Land ist aber vorgezeichnet.

Klar, bislang ist dieses fast schon autistisch anmutende Reinhorchen in alle handhabbaren Detail-Daten seiner selbst eine Angelegenheit für weiße, meist männliche Nerds allen Alters aus überbezahlten Technologie-Berufen.

Andererseits stellt die FT-Autorin April Dembosky ein unschlagbares historisches Beispiel hin. Benjamin Franklin, einer der legendären US-Gründerväter, der Typ auf dem 100-Dollar-Schein, führte eine Liste mit 13 Tugenden, die er sich selber abverlangte. Jede Verletzung zog einen schwarzen Punkt nach sich, was zu einer Art moralischem Kompass für Franklins Leben führte. Letztlich ist das nur eine analoge, moralische Version dessen, was die Self-Quantifier in Bereichen wie Gesundheit, Intelligenz, Aufmerksamkeit oder Emotion anstreben: eine aufschlussreiche Karte des eigenen Lebens, der eigenen Handlungen.

Die Ben Franklin-Liste für die digitalen Selbsterforscher

Der Vorteil der strikten Datenerhebung: jede Art von Selbstbetrug, die sonstige Selbstbeobachtungs-Mechanismen ermöglichen, fällt dabei weg.
Der Nachteil: Psychoten, die jetzt schon jedes Zwickzwack und jeden Schas überintepretieren, sind dann natürlich geliefert.

Aber: von jenen, die eine neue Technologie dazu nützen werden sich wieder einmal selber zu schädigen, darf man sich die Tools nicht madig machen lassen.

Ich persönlich bin von dieser Methodik so weit entfernt wie der Mond. Oder wie von der Financial Times, wenn es sich nicht gerade um Tyler Brûlés Kolumne handelt. Vielleicht finde ich es deshalb so interessant. Das eine wie das andere.