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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 6. 2011 - 23:41

Fußball-Journal '11-56.

Steinschlag auf dem Weg nach Kolumbien. Die U20-Mannschaft für Österreichs einzige Fußball-WM der nächsten Jahrzehnte wird, absichtlich, nicht die bestmögliche sein.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einem weiteren Eintrag zur U20-WM in Kolumbien, für die sich Österreichs Junioren qualifiziert haben. Was nicht etwa zu erhöhten Anstrengungen dort die bestmögliche Mannschaft zu präsentieren, geführt hat, sondern zum Gegenteil, zu diversen Verhinderungs-Strategien.

Zuletzt zum Thema U20:

Fußball-Journal '11-39: Eine erste Auswahl für die WM in Kolumbien, oder: die Schmerzen des Andreas Heraf.

Fußball-Journal '11-34: Ausflug nach Cartagena. Die U20-WM beginnt heute Nacht.

Fußball-Journal '11-20: Die jungen Legionäre tragen die ÖFB-Nachwuchsteams.

Fußball-Journal '11-4: Zu früh ins Ausland. Über das Doppelpass-Spiel von Medien und Fußball-Akteuren.

ÖFB-Extra zur U20-WM.

Es könnte alles ganz einfach sein.
Österreichs Fußball-Junioren der Jahrgänge 91 und 92 haben sich durch ihre sportliche Leistung für das größtmögliche Ereignis qualifiziert: die Weltmeisterschaften.
Die U20-WM, die in diesem Sommer zwischen 29 Juli und 20 August stattfinden werden.

Die Zahl der Austro-Kicker, die schon einmal eine WM miterlebt haben, bewegt sich im zweistelligen Bereich. Noch weniger davon haben das auf einem anderen Kontinent, in einer anderen Hemisphäre genossen.

Eine WM-Teilnahme ist schlicht das Größte.
Das Turnier in Kolumbien eine Herausforderung, ein Hammer. Und da die Vorgänger-Generation der 87 und 88er vor vier Jahren in Kanada so gut abgeschnitten hat (Semifinale!), schwingt international durchaus so etwas wie Achtung mit, wenn vom Team Austria die Rede ist. Etwas, was man von den Erwachsenen zuletzt 1982 sagen konnte - was prompt durch die Schande von Gijon verdorben wurde.

Da das A-Team so etwas wie eine WM, genauso wie eine Euro-Endrunde, in den nächsten Jahren, wahrscheinlich auch Jahrzehnten, nur im Fernsehen sehen können wird, setzen Verband, Liga, Vereine und alle im Bereich Fußball Tätigen also alles daran, dass dieser internationale Auftritt so gut wie möglich über die Bühne geht.

Sollte man meinen.
Ist aber nicht so.
Es ist eher das Gegenteil der Fall.

ÖFB-Verantwortliche, Liga- und Vereins-Vertreter tun so gut wie alles, um den Weg nach Kolumbien so steinig wie möglich zu gestalten. Das klingt völlig absurd, ist aber nur dann erstaunlich, wenn man die Usancen der Branche nicht kennt.

Die Probleme mit der Vorbereitung

Es klingt zwar gut: Kurze sportmedizinische Tests in Salzburg und dann eine gute Woche Trainingslager in Malaga/Spanien. Für hiesige Verhältnisse macht das auch was her. Wer sich allerdings die Vorbereitung der anderen Teilnehmer, speziell die der Gruppengegner (Brasilien, Ägypten, Panama) anschaut, wird feststellen, dass die ÖFB-Leute die Stockletzten sind. Andere Teilnehmer spielten sich auf Test-Turnieren ein, Veranstalter Kolumbien etwa gewann das traditionelle Jugend-Turnier von Toulon (im Finale gegen Frankreich, einen anderen Teilnehmer; Mexico wurde Vierter). An dem hat Österreich - wenig überraschend - überhaupt noch nie teilgenommen.
Es gibt kein Interesse an einer Vorbereitung, keine Tradition im Junioren-Bereich, keine Kontakte, die über die engere Nachbarschaft hinausgehen. Und selbst da klappt es nicht: die Verbände von Deutschland, Schweiz und Italien, mit denen man vor ein paar Jahren noch eine U20-Runde ausspielte, wurden nicht als Gegner angefragt.

Die Probleme mit der Abstellung der jungen Legionäre

Bei den jungen Spielern, die bei ihren Clubs selber noch im Jugend-/Amateur-Bereich auflaufen, gibt es keine Probleme. Aston Villa stellt Andreas Weimann, Gladbach Bernhard Janeczek, Hertha Marco Djuricin, Heerenveen Tobias Kainz und auch den verliehenen Radovan Mitrovic und der VfB Stuttgart sogar drei Jungprofis: Raphael Holzhauser, Kevin Stöger und Alexander Aschauer.

Die Teilnahme von Aleksandar Dragovic (FC Basel) und David Alaba (FC Bayern) ist jedoch immer noch mehr als unsicher.

Basel ist als Schweizer Meister fix für die Champions League qualifiziert, hat also keine mühselige Quali vor sich. Trotzdem ziert sich der Verein dem ÖFB gegenüber merklich. Klar, Drago ist Fixstarter. Aber natürlich erhöht eine erfolgreiche U20-WM seinen Marktwert; von internationalem Erfahrungsschatz abgesehen. Allerdings wird im Fall von Basel auch "nur" auf Trainerebene konferiert - anstatt hier auf Präsidentenebene Tacheles zu reden.

Noch komplizierter ist der Fall Alaba. Der junge Teamspieler ist nach der Leihe in Hoffenheim wieder bei Bayern, sogar mit neuem Vertrag. Vielleicht wird er wieder ein Halbjahr verliehen, vielleicht aber auch nicht. Im ÖFB sagt man, es würde keinen Ansprechpartner geben, den man bitten könnte. Klar gibt es den: die Bayern. Aber: schon bisher hatte sich Alaba selber um seine Freistellung für die Jugendnationalmannschaften gekümmert, das in Eigen-Initiative gecheckt (wie das seine Art ist, auch auf dem Feld, auch bei der U19-EM, als einiges aus dem Ruder zu laufen drohte und Alaba die taktische Marschrichtung auf dem Platz vorgab).
Der ÖFB tut in dieser Causa auch deshalb nichts, weil er sich auf diese Alaba-Qualitäten verlässt, anstatt sich mit den Bayern-Veranhtwortlichen abzustimmen.
Das kann natürlich bitter in die Hosen gehen.

Dragovic war bislang noch nie beim U19/U20-Team dabei - er wurde frühzeitig in die A-Mannschaft umgeleitet. Die Mannschaft kann also auch ohne ihn - wiewohl sie mit ihm deutlich stärker wäre.
Aber David Alaba, der ist das Herz des Teams, die Seele, der echte Kapitän. Ohne ihn wird das nichts.

Die Probleme mit der Abstellung der jungen Salzburger

Die Lippenbekenner aus Salzburg, die so viel über Ausbildung, Jugendförderung und hehre Ziele reden, waren die einzigen, die sich ernsthaft auf das ÖFB-Pro Forma-Angebot, nur je einen Spieler pro Club zu rekrutieren, zurückzogen. Andere, echte Ausbildungs-Vereine wie Sturm Graz oder die SV Ried, hatten keine Probleme.
Salzburg wollte von den vier Berufenen Meilinger, Offenbacher, Teigl und Hinteregger nur einen hergeben.
Der ÖFB-Trainer entschied sich für Martin Hinteregger, den neuen Shooting-Star in der Abwehr - der sollte beim Trainingslager in Marbella an die Mannschaft gewöhnt werden.

Was dann passierte, ist mit dem Begriff "grotesk" nur unzureichend charakterisiert. Wie übereinstimmend gemeldet wird, tauchte Hinteregger nicht beim offiziellen Treffpunkt auf. Erst nach einer angstvollen Suche (man befürchtete schon einen Unfall) wurde klar: Salzburg hatte dem Jungen nahegelegt, sich nicht wohlzufühlen und nicht mitzufliegen. Offiziell war dann was mit Blutwerten.

Offenbar gibt es in Salzburg einen Machtkampf zwischen Trainer Moniz, der den Jungen die Chance geben will, und Sportchef Hochhauser, der fürchtet, die vielen Abgänge nicht ersetzen zu können und deshalb glaubt, auf die Junioren zurückgreifen zu müssen.

Im aktuellen 30-Mann-Kader fehlt Hinteregger, das Bauernopfer dieses "Kommunikations-Problems" zwischen RB Salzburg und ÖFB. Die anderen drei sind dabei - ob sie tatsächlich freigestellt werden, ist eine andere Frage.

Das Problem mit Salzburg schwelt seit langem. Und der Versuch des U20-Trainers Andreas Heraf, da über die Medien Druck zu machen (denn über die Troubles hatte er die Öffentlichkeit von sich aus informiert), hat eine Verhärtung der Fronten ausgelöst.

Die Probleme mit den jungen Künstlern

Andreas Heraf geht davon aus, dass er alles tut und auch in der Vergangenheit getan hat, um die großen Talente des Landes in dieses Team zu integrieren.
Die langwierige und komplizierte Geschichte rund um die Querelen mit einzelnen Jungstars (konkret geht es da um Marcel Büchel, Stefan Hierländer und Christoph Knasmüllner), die Heraf in aller Offenheit und Detailgetreue erzählt, bestätigt das.
An der Oberfläche.
Letztlich verdeutlicht aber jede einzelne Stufe in diesen schwierigen Beziehungen zwischen Einzelnen, Teamgefüge und Trainer-Autorität, dass Eskalationsstufen zu früh beschritten wurden, dass klärende Gespräche zu spät oder in falscher Art geführt wurden.
Dazu kommen seltsame Riten und Spezifika wie geforderte Entschuldigungen vor versammelter Mannschaft, Anreisen auf eigene Kosten und anderes mich eher an Bundesheer-Strategien erinnernde Methoden, die wahrscheinlich im (österreichischen) Fußball als normal angesehen werden, es aber didaktisch definitiv nicht mehr sind.

Hierländer spielt nur noch in der U21; Büchel will Italiener werden - jetzt kommt auch noch die Knasmüllner-Geschichte dazu. Der streitbare Jungstar, der von Bayern zu Inter Mailand wechselte, wurde bei der U19-EM, bei der sich das Team qualifizierte, in einer der oben angedeuteten Team/Straf-Aktionen, in der auch ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner eine unrühmliche Rolle spielte, als Sündenbock auserkoren.
Da kam eine Verletzung gerade recht - Knasmüllner wird, so sagt Heraf, nicht rechtzeitig fit, also lässt man's lieber. Knasmüller sagt gar nichts.

Nach dem Spanien-Trainingslager fehlt im übrigen das nächste fragile Jung-Talent, Marcel Ritzmaier aus dem Nachwuchs des PSV Eindhoven.

Das Problem mit der richtigen Einschätzung

Florian Kainz ist eines der Wunderkinder beim Meister Sturm Graz. Und in jedem Meisterschaftsspiel, in dem der kleine Blondschopf eingesetzt wurde, das ich gesehen habe, war er auffällig. Das allein ist beachtlich.

Andreas Heraf sieht das anders. Immer, wenn er ihn gesehen hatte, war da nichts besonderes.
Mit dieser Aussage begründete Heraf die Tatsache, dass Kainz, das Meisterchen, nicht dabei war in Spanien. Stattdessen nominierte ihn Andreas Herzog, der die Jungs, die Heraf entgehen, gerne abstaubt, für die U21. Dort spielte Kainz auch, und natürlich wieder auffällig.

Im aktuellen 30-Mann-Kader ist Florian Kainz dabei.
Und es kann nicht an seiner tollen Trainingslager-Leistung liegen. Heraf muss über Nacht klüger geworden sein. Schön! Aber: wäre doch auch so gegangen, oder?

Andere wie Moritz Leitner, der jetzt in der U20 für Deutschland spielt (und bis zur U18 noch für Österreich unterwegs war), Muhammed Ildiz, der Facebook-Brasilianer Rafinha und viele andere mehr, gingen wohl verloren, weil die Irrtümer nicht - wie im Fall Florian Kainz, wo einfach zu viele Zeugen zu viele gute Spiele gesehen hatten - von Korrektiven ausgebügelt wurden.

Das hat wiederum damit zu tun, dass im ÖFB-Nachwuchs nicht nach Jahrgängen vorgegangen wird, die ein Coach dem nächsten übergibt, sondern kreuz und qauer gewildert wird. Kaum eine Jugendmannschaft, die nicht auf viel Jüngere zurückgreift - um kurzfristig besser dazustehen oder einfach anderen ein Schnippchen zu schlagen.

Der 30-Mann-Großkader:

Tor: Philip Petermann (Pasching), Christian Petrovcic (DSV Leoben), Samuel Radlinger (Ried/St.Florian), Christoph Riegler (St. Pölten).

Verteidigung: Emir Dilaver, Lukas Rotpuller (Austria Wien), Aleksandar Dragovic (Basel/SUI), Mahmud Imamoglu (Vienna), Bernhard Janeczek (Mönchengladbach/D), Lukas Rath (Mattersburg) Michael Schimpelsberger (Rapid Wien), Richard Windbichler (Admira).

Mittelfeld: Patrick Farkas (Mattersburg), David Alaba (Bayern München/D), Robert Gucher (Kapfenberg), Kevin Stöger, Raphael Holzhauser (VfB Stuttgart/D), Tobias Kainz (Heerenveen/NED), Radovan Mitrovic (Emmen/NED), Florian Kainz, Christian Klem (Sturm Graz), Marco Meilinger, Daniel Offenbacher, Georg Teigl (RB Salzburg), Daniel Schütz (Altach), Marcel Ziegl (Ried).

Angriff: Alexander Aschauer (VfB Stuttgart/D), Marco Djuricin (Hertha BSC/D), Andreas Weimann (Aston Villa/ENG), Robert Zulj (Ried).

Die Stärke dieses Kaders: das ausgeglichen und gut besetzte Mittelfeld. Die Schwäche: die Abwehr, vor allem innen und rechts. Und: es gibt keinen Klasse-Tormann.

Out sind aus bereits besprochenen Gründen: Martin Hinteregger und Christian Hierländer (RB Salzburg), Marcel Ritzmaier (PSV Eindhoven/NED), Christoph Knasmüllner (Inter/ITA), Marcel Büchel (Juventus/ITA) und Rafinha (Toledo/BRA). Gernot Trauner (LASK) ist verletzt.

Aus dem ursprünglichen 40er-Großkader fehlen Tormann Günther Arnberger, den die Austria jüngst zum Profi machte, Georg Blatnik (Rapid), Matthias Maak (Neustadt), Philipp Huspek (Ried), David Jelenko (Altach), David Oberortner, Andreas Tiffner (Austria), Maximilian Sax (Admira), Christian Pauli (Osnabrück/D) und Manuel Sutter (St. Gallen/SUI).
Aus dem U19-EM-Kader fehlen Lorenz Höbarth und Florian Maier (LASK), Christian Bubalovic (Cottbus/D), Dominik Burusic (Bayern München/D) und der verletzte Philipp Prosenik (Chelsea/ENG).

U19 Tormann Richard Strebinger (Hertha II/D), der von Herzog zur U21 hochgezogen wurde, war ebenso kein Thema wie der in Ungnade gefallene Kevin Krisch (Werder/D), Muhammed Ildiz (Wacker Innsbruck) ist eh verletzt. Moritz Leitner (Dortmund/D) ist leider Deutscher geworden, Ervin Bevab (Allerheiligen) Bosnier. Um Dejan Stojanovic, 93 in Feldkirch geborener Tormann des FC Lustenau, der bereits in der U21 von Mazedonien spielt und gerade zu Bologna wechselte, hat man sich nicht ernsthaft bemüht.

Immerhin unterstützt jetzt das Kondi-Team der U21 (Roger Spry und Gerhard Zallinger) die U20. Das ist neu und gut, wenn auch ein wenig spät.

Erst wenn Heraf seine 30 auf die finalen 21 Spieler (mehr dürfen nicht mit nach Kolumbien) heruntergebrochen hat, lässt sich sagen, wie effektiv die jahrelange Selektions-Arbeit wirklich war. Und wie erfolgreich die Arbeit der einzelnen Verhinderer wirklich war.

Dann lässt sich auch ein Vergleich mit der Gludovatz-Truppe von Kanada '07 ziehen.