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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

14. 6. 2011 - 11:58

Sommer-Hits und Retro-Cults

Cults mit "Cults": Wie zwei Filmstudenten aus Brooklyn doch noch das Sommeralbum des Jahres fabrizierten.

Was ist eigentlich

Cults Review

  • Mittwoch, 15. Mai, ab 19 Uhr in der FM4-Homebase

aus der guten alten Industrie-Tante Sommer-Hit geworden? Aus dem Genre, das uns in der jüngeren Vergangenheit mit Sonnenbrand-Klassikern wie "Living La Vida Loca", "Mambo No. 5" oder dem letztjährigen "California Gurls‘"zwangsbeglückte? Zeichnen sich für 2011 standfeste Mainstream-Kabinenparties und Freibad-Häuslanlagen-Welthits ab? Oder habe ich diesbezüglich Sonnenöliges überhört, weil sich das Überhören dieser Tage auch gar so einfach bewerkstelligen lässt?

Sommerhit 2011? Oaklands "original white bitch" Kreaysahwn mit 'Gucci Gucci'. Ein Blogfav mit Odd Future Cameos. Wohl eher nicht.

Zumindest in der Parallelwelt

untergrundiger Freibad-Hits war man ja die letzten paar Sommer mit dem Surfen auf der Chill Wave und dem Revival von 60ies Pop ganz gut bedient. Während Ersteres dem Regelkreislauf der gnadenlosen Hypemaschine gehorchend schnell abgeschrieben wurde, scheint für das Sixties-Revival im Geiste der Beach Boys und Phil Spectors "Wall Of Sound" auch heuer wieder die Sonne. Neues von der Band Best Coast und die Adaptierung einschlägiger Ästhetik etwa durch Pop-Wunderdame Lykke Li lassen den Schluss zu, dass sich die erste, musikalisch auf den US-Pop fokusierende Hälfte der Sechziger im Sommer des anhaltenden 90ies Revivals noch immer ganz gut behaupten kann. Seit Frau Winehouse bereits vor Jahren Minirock und dicke Lidstriche rehabilitierte, reißt ja auch die an Motown angelehnte Neo-Soul-Welle nicht mehr ab. Adele bitte übernehmen sie.

Cults

Christian Lehner

Brian Oblivion + Madeline Follin = Cults

Inmitten dieser Retro-Kults

tat sich genau vor einem Jahr ein kleines Pop-Glühwürmchen hervor, das am Ende zum wohl gelittenen Sommer-Hit reifte – zumindest an den Alti-Stränden New Yorks, aber auch in einem Radio names FM4, wo "Go Outside" vom Duo Cults wenige Tage nach der Veröffentlichung des Songs via Bandcamp-Site in die Rotation aufgenommen wurde, wofür uns der ewige Dank von Madeline Follin und Brian Oblivion sicher sein dürfte. Dabei waren es nicht zuletzt eure und andere internationale Reaktionen via E-Mail und Social Media, die die beiden Filmstudenten in ihrer Entscheidung bestärkten, es fortan ganz mit der Musik zu versuchen.

Als ich die Cults letzten Sommer kurz nach ihrem Auftritt beim Northside Festival getroffen hatte, befanden sie sich noch in der aufregenden Phase des Band-Erwachens. Gerade mal 10 Shows hatten sie zu diesem Zeitpunkt absolviert, klangen dafür aber schon ziemlich gut eingespielt und tight. Das Faible für die Ästhetik der 60ies erklärte mir das Paar mit der Liebe zum Film der Sechziger, zur Nouvelle Vague aber auch zu diversen Krimi und Film Noir-Klassikern. Vor einem Jahr waren die Cults weder via Google zu finden, noch existierte ein Headshot-Foto der Band. Das Enigma passte zwar gut zum Namen Cults, fußte aber weniger auf Strategie denn Überrumpelung durch Erfolg.

Als nächstes folgte

ein Song für das Comedy- und Cartoon Fernseh-Network Adult Swim und dessen empfehlenswertes Singles-Program. Der Song "Oh My God" nahm vorweg, was man jetzt auch am Album hören kann: Die Cults beschränken sich nicht nur auf das Nachstellen von Glockenspiel, Sing-Sang und Tape-Delay-Techniken, sie versetzen ihre Stücke häufig mit Samples und räudigen Hip Hop Beats, verneigen sich somit vor Acts wie Avalanches oder Javelin ebenso wie vor den Klassikern Ronnettes oder Shang-Ri-Las. Der Lo-Fi Sound und die Indie-Gitarre, ein gutes Händchen für nimmersatte Melodien, sowie Drama und Fiebrigkeit selbst in der Ruhe sind weitere Signifikanten der Cults-Musik.

Cults

Christian Lehner

Doch nach "Oh My God", dem Song für Adult Swim, tauchten die Cults ab und ich hätte sie womöglich bald wieder vergessen, wenn vor allem "Go Outside" nicht so ein – hmm – verdammter Sommer-Hit gewesen wäre, der auch im Herbst, Winter und Frühling nichts von seiner Strahlkraft verloren hat. Das Ding ging nicht mehr aus meinem Kopf und das OHNE zu nerven.

Um nicht als One-Hit-Wonder oder Novelty-Act in die Annalen der Blog-Hype-Geschichte einzugehen, verschwendeten sich die Cults nicht an einer hastig gebuchten Tour und fetzten auch kein Instant-Album raus. Sie tüftelten in Ruhe an neuen Songs und Videos und ein Fan namens Lily Allen vermittelte das Duo dann an den Major Columbia Records. Ob das eine gute Idee war, sei mal dahingestellt. Doch die Zeit der Stille hat sich künstlerisch auf alle Fälle gelohnt.

Northside Festival 2011

mit Guided By Voices, Beirut, DOM, Theophilus London u.v.a

Cults

Christian Lehner

Cults

Christian Lehner

Cults

Christian Lehner

Obwohl meine Ohren mittlerweile schon etwas sauer auf den Neo-Vinatage-Sound reagieren, hat mich das simpel "Cults" betitelte Debüt von Madeline und Brian dann doch voll erwischt.

Auch wenn gelegentlich dunkle Wolken aufziehn und die Songs von sinistren Gestalten und finsteren Gedanken bewohnt werden, im Großen und Ganzen stelle ich mir genau so eine flotte Moped-Fahrt entlang der französichen Riviera vor. Neben den bereits erwähnten Songs und dem auch im Video exzellent inszenierten Entführungsdrama "Abducted" überzeugt vor allem das emotionale Powerhouse von einer Ballade namens "You Know What I Mean".

Follin entlockt im Refrain ihrer zumeist in Richtung Unbeschwertheit tendierenden Stimme eine alle Emotionslagen umfassende Tiefe, einen heißen Hauch des Lebens, dass man selbst im berüchtigten Salzburger Schnürlregen Hitzewallungen bekommen sollte. Der innere Wetterbericht meint: Sommeralbum des Jahres.