Erstellt am: 12. 6. 2011 - 11:45 Uhr
Love is strange
Ich kann mich noch gut erinnern, in welcher Form ich diesen Film zum ersten Mal gesehen habe.
Es war die Hochblüte eines mittlerweile vergessenen Mediums, ich durchforschte Wiener Außenbezirks-Videotheken nach verborgenen schundigen Schätzen. Und da war dieses Cover mit einem jungen Pärchen drauf, im Schattenriss vor dem Sonnenuntergang, er ein Gewehr auf der Schulter, sie zu seinen Füßen, juvenile delinquents, dazu irgendein Kurztext hinten drauf über ein Mörderpärchen auf der Flucht.
In meiner damaligen Serienkillerfilm-Phase gierte ich, nebenbei Nick Cave, Nine Inch Nails, Noiserock und Metal hörend, nach plakativen Geschichten über gewalttätige Outsider. Ich wollte roten Farbstoff spritzen sehen und dämonisch grinsende Übermenschen, die sich auf radikalste Weise aus dem Gesellschaftsverband herauskatapultieren.
Der Videothekar überreichte mir eine abgenudelte VHS-Kassette, die mein Leben veränderte. Oder sagen wir zumindest meine filmische Wahrnehmung.
Denn "Badlands", deutscher Untertitel "Zerschossene Träume", gedreht 1973, erfüllte keine meiner Erwartungen. Statt dem erwarteten Exploitationthriller flackerte da ein verstörendes Märchen von beispielloser poetischer Schönheit über den (damals viel zu kleinen) Bildschirm.
Ein unergründliches Mysterium, geschaffen von einem Regisseur, der bis zum heutigen Tag gerade mal fünf Filme auf seinem künstlerischen Konto hat, für die er als cineastische Gottheit verehrt wird.
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Terrence Malick, von dem hier die Rede ist und dessen preisgekrönte filmische Meditation "The Tree Of Life" demnächst bei uns anlaufen wird, hat meiner bescheidenen Meinung nach allerdings nie wieder ein so unantastbares Werk gedreht.
Micky & Silvia "Love is strange" (1956):
Love, love is strange
Lot of people take it for a game
Once you get it
You'll never wanna quit (no, no)
After you've had it (yeah, yeah)
You're in an awful fix
Many people
Don't understand (no, no)
They think loving (yeah, yeah)
Is money in the hand
Your sweet loving
Is better than a kiss
When you leave me
Sweet kisses I miss...
Die existentiellen Schlüsselthemen, um die alle seine Streifen kreisen, vom Verhältnis des Menschen zur Natur über das Rätsel des Seins bis hin zum Geheimnis des Todes verpackt "Badlands" in eine surreal angehauchte Fabel mit grausigem Hintergrund.
Denn der legendäre Film beruht auf einem schockierenden Fall. Der junge Müllmann Charlie Starkweather und seine minderjährige Freundin Caril Fugate beschäftigen in den fünfziger Jahren ganz Amerika. Aufgewachsen in einem Trailerpark in Lincoln, Nebraska, als Kind gehänselt und ausgelacht, wächst er zu einem verschlossenen Burschen heran, in dem ein unbändiger Hass gegen die Umwelt brodelt. Erst in der 14-jährigen Caril, die sich selbst als von der Welt enttäuscht sieht, findet Charlie eine Freundin.
Als sich aber ihre Eltern vehement gegen den 17-jährigen Müllkutscher wehren, brennen ihm die Sicherungen durch. Der zornige Bursche beginnt einen kaltblütigen Amokfeldzug, der zahlreiche Todesopfer fordert und das Vertrauen in die junge Generation nachhaltig erschüttert. Zumal der Killer optisch der Hollywood-Ikone James Dean nacheifert, dem Prototyp des ewig missverstandenen Teenagers.
Nach einem aufsehenerregenden Prozess, in dem Charles Starkweather keinerlei Reue zeigt, endet er auf dem elektrischen Stuhl. Vor dem Gefängnis versammeln sich Rockabilly-Fans und betrauern ihren "Rebel without a cause". Caril Fugate, der die Geschworenen die Unschuldsbeteuerungen nicht abnehmen, bekommt lebenslänglich.
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Die Fakten rund um die schießwütigen Kids und ihre blutige Tour durch Nebraska interessieren Terrence Malick aber nur am Rande. Das minderjährige Verbrecherpärchen inspiriert den Regisseur zu einem betäubenden, hypnotischen Kunstwerk.
Malick stellt in "Badlands" bewusst eine unwirkliche, fremde Stimmung an die Stelle von sozialem Realismus, setzt auf Irritation statt Eindeutigkeit. Wie viel später David Lynch in seinen Filmen legt er einen Schleier des Traumhaften über den Alltag.
Kit Carruthers heißt der vom jungen Martin Sheen kongenial dargestellte Antiheld, der zusammen mit der jungfräulichen Holly (großartig: Sissy Spacek) aus ärmlichen Verhältnissen ausbricht. Unberührt erschießt er ihren Vater, brennt das Haus nieder, tötet beinahe belanglos mehrere Polizisten und ein unschuldiges Pärchen, seinen besten Freund ebenso. Die apathische Holly fragt das dahindämmernde Opfer voller kindlicher Naivität, wie es denn so sei, wenn man stirbt.
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Im Kernstück des Films ziehen sich die Flüchtlinge in die Badlands von Montana zurück, wo sich Kit zum zärtlichen Gefährten wandelt, der seiner Geliebten ein Baumhaus baut. Zu den Gänsehautklängen des deutschen Komponisten Carl Orff zeigt Malick zärtliche, sonnendurchflutete Bilder.
Als die Polizei den Tätern näherkommt, mutiert Kit wieder zum gefühllosen Mörder und danach zurück zum normalen Teenager, der bei seiner letztendlichen Verhaftung den Polizisten Autogramme gibt und sich als Held feiern läßt.
"Badlands" gibt es zum Billigsttarif bei diversen Internetgroßhändlern als schlichte DVD, ohne irgendwelche nennenswerten Bonusfeatures. Eine anständige Edition, etwa in der Criterion-Collection oder gar als Blue Ray steht noch aus.
"Love is strange" tönt es einmal von der Tonspur und seltsam ist auch dieser magische Film, der sich immer dann unter dem Zuseher hinwegwindet, wenn dieser überzeugt ist, endlich die Motive der Jugendlichen zu begreifen. Neben der handwerklichen Qualität ist es diese Verweigerung jeglichen Sinns, die "Badlands" zu einem solchen Meisterwerk macht, dieses Taumeln zwischen Unschuld und Verbrechen.
"Natural Born Killers", "Wild At Heart", "True Romance" und viele andere Thriller über gefährliche Pärchen auf der Flucht wären ohne Malicks Vorbild undenkbar und verblassen doch völlig gegen "Badlands".
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Quentin Tarantino spricht von einem Film wie ein "religiöses Erlebnis" und hat recht. Lasset uns beten.