Erstellt am: 10. 6. 2011 - 21:40 Uhr
Fußball-Journal '11-54.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit der nötigen Korrektur von sagenhaftem Blödsinn, der über die letzten Tage von einer neuen Koalition der Verwirrten, die aus ÖFB-Trickstern, kompetenzarmen Medien und einer von jeglichem Wissen abgeschotteten Öffentlichkeit besteht.
Es war nur eine der vielen, täglich neu nach dem klassischen Motto "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?" in die Öffentlichkeit geworfenen Nebelgranaten dieses ÖFB-Jahres.
Bei der Abschluss-PK nach dem Lettland-Spiel machte Dietmar Constantini mit zwei, drei schnell hingeworfenen Bonmots und Vergleichen aus der Nationalmannschaft plötzlich den FC Barcelona.
Ruckzuck.
Einzelne Medien, nicht die kleinsten - im Gegenteil - nahmen das sofort begierig auf. Ist auch zu verführerisch.
Und ein Großteil der Sport-Interessierten konnte nicht anders als zustimmen: das, was Barcelona zuletzt geboten hatte, hat ihnen gefallen, und das was Österreich gegen Deutschland geleistet hatte, auch. Barcelona-Style.
In einem richtigen Fußball-Land mit richtigen Coaches, echten Experten, kompetenten Medien und einem Publikum, das man nicht mit Leichtigkeit komplett verarschen kann, hätte diese Vorgangsweise dazu geführt, dass der Urheber dieses Vergleichs ordentlich aufgeblattelt worden wäre; dieser grobe Unfug wäre dort von jedem Kind in wenigen Sekunden als das, was es ist, durchschaut worden: als Ausstellungs-Stück einer fatal wurschtigen, auf reinstem Populismus, in bewusster Vermeidung von substanzieller Analyse fußenden Verachtung dem Sport gegenüber. Als Scherzerl auf Musikantenstadl-Niveau.
Wir sind Barcelona!
In Österreich allerdings geht sich das aus.
Die Kronen-Zeitung nimmt den Ball auf. Titel "Wie Barcelona für Arme: Das ist der richtige Weg."
Das sieht so aus: "schnelles Flachpassspiel nach vorn. Über viel Ballbesitz und Pressing" den Gegner unter Druck setzen, wie schon bei der Euro. Unter Brückner wurde tiefer verteidigt, mit hohen Bällen operiert. Aktuell versuche das ÖFB-Team ähnlich wie Barca zu spielen, Ball zirkulieren lassen über zehn Stationen und mehr. "Wie Baumgartlinger und Kulovits die Bälle erkämpften, sie verteilten, das Spiel in Schwung brachten, das erinnert, auch von der Körpergröße her, etwas an Xavi und Busquets." Alaba hat etwas "Iniesta-Haftes". Und überhaupt, das mit den kleinen wendigen Spielern, das wäre es doch, wird Constantini zitiert.
sport.orf.at zieht nach und sieht einen Austro-Barcelonismus: "Das ÖFB-Team wandelt dabei auf den Spuren von Barcelonas Fußballzauber, ein mit Abstrichen versehenes Austro-Barca sozusagen. 'Ich habe mich für das Kollektiv entschieden, und es hat gegriffen', so Constantini. 'Wir haben jetzt viele kleine Spieler, die gut kombinieren können.' Präzises Kurzpassspiel in der Bewegung wurde gewürzt mit gelungenen Wechselpässen, so wurden Räume für Angriffe geöffnet. Außerdem stimmt das Auge für den besser positionierten Mitspieler."
Fußball, der gut aussieht, muss Barcelona sein dürfen!
Mit dieser Argumentation, auf deren Krausheit ich gleich noch eingehen werde, schaffen es die Medienberichte direkt zum Konsumenten. Die finden schönen Fußball toll - also passt der Vergleich.
Andererseits gibt es auch einen sportpolitischen Adressaten, den ÖFB-Präsidenten. Die Krone spricht wenig subtil an, dass sie, das Medium, das auch den Kanzler bestimmt, auf den Teamchef Constantini besteht: "Da kann sich etwas entwickeln - da darf man nichts verändern. Das sollte auch ÖFB-Boss Leo Windtner bedenken."
So weit, so abgekartet und irrwitzig.
Jetzt zur schnöden Realität. Denn abseits von Barcelonas wirtschaftlichen Problemen ist der Vergleich natürlich so unsinnig wie hier in einem Vlog sarkastisch aufgezeichnet - wie der von Erde und Jupiter.
Zuerst einmal hatte das Spiel der Nationalmannschaft genau nichts mit dem von Barcelona zu tun.
Gar nichts.
Null.
In keiner einzigen Hinsicht.
Damit das auch der Blödeste kapiert, hier der deppensichere Vergleich.
Schaubild 1: Barcelona - alles über die Zentrale
der standard
Schaubild 2: das ÖFB-Team - alles über die Flügel
der standard
Langsam zum Mitschreiben jetzt...
Barcelona spielt mit einem 4-3-3 mit zwei echten Flügelstürmern, extrem offensiven Außenverteidigern und einer spielerisch hochdominanten Mittelfeld-Zentrale.
Das ÖFB-Team spielt ein flaches 4-4-2, in dem die Kreativspieler nur außen Platz haben. Die Mittelfeld-Zentrale wird überflogen.
Barca spielt alles über sein zentrales Dreieck Xavi-Iniesta-Messi - dazu kommt noch der dahinterstehende ebenso zentrale Sergio Busquets.
Die Flügel sind doppelt besetzt, haben im Barca-System aber nur unterstützende Wirkung.
Das ÖFB-Team spielte ausschließlich über die Seiten (eigentlich sogar nur über eine Seite, die linke, aber egal).
Die Zentrale mit Kulovits und Baumgartlinger hat genau gar keine Anbindung ans Spiel - die Bälle gehen an ihnen vorbei.
Barcelonas Strategie: Ballbesitz um jeden Preis, sowie sofortiges Pressing bei Ballverlust.
Österreich agierte mit langen Bällen nach vorne, die Angriffe wurden fast ausschließlich als Konter über die Flügel gefahren.
Da ist also genau gar nichts gleich.
Nicht einmal etwas ähnlich.
Null Gemeinsamkeit.
Im Gegenteil: Mehr Unterschied geht gar nicht.
Differentere Herangehensweisen sind nicht möglich.
Jetzt zum Größenvergleich
Xavi, Iniesta, Pedro und Messi sind 1,70 bzw 1,69. Busquets 1,89.
Die mit ihnen verglichenen Kulovits/Baumgartlinger sind 1,78 bzw 1,83.
Alaba ist 1,75, Harnik 1,85, Fuchs 1,86.
Einzig Junuzovic (1,71) passt irgendwie ins Bild.
Das "neue" ÖFB-Team ist also keineswegs eine Mannschaft der Zwerge, sondern im europäischen Schnitt, gleichauf mit den Deutschen oder Franzosen oder Holländern, klar größer als die Offensiven der Spanier oder eben von Barcelona.
Alle Basis-Werte des dümmlichen Vergleichs fallen also in sich zusammen.
Dasselbe gilt für das angebliche "Flachpass-Spiel nach vorne", auch noch "über viele Stationen", das da angeblich stattgefunden hatte. Die weiten hohen Bälle, die aus der Abwehr die Flügel entlang geschlagen wurden, waren nicht flach; die "vielen" Stationen endeten meist bei Nummer 3 oder 4. Die Kombinationssicherheit der "vielen kleinen Spieler" äußert sich ausschließlich über die Seiten, ist - meist wegen mangelnder Präzision - von endender Dauer und definiert/dominiert das Spiel nicht.
Wieder das genaue Gegenteil von Barca also.
Und dann noch die kleinen Geschichtslügen
Die angeblich bei Brückner zurückgelassenen hohen Bälle, die Spitze gab es weiterhin - und genau dieser Schmäh (hohe Bälle auf "die Langen", Janko und Maierhofer) war bislang der einzige, der sich im Schlinger-Kurs von Constantini durchzog. Stellt also ein einzelnes Spiel ohne Langen vorn drin eine Änderung einer "Philosophie" dar? Werden jetzt alle über 1,80 geköpft?
Das angeblich bei der Euro schon gespielte System mit viel Ballbesitz gab es nicht.
Auch Hickersberger probierte genau das gegen Deutschland wieder hervorgekramte Konterspiel über die Seiten - bemüht zwar, aber wenig erfolgreich. Auch er verlor gegen Deutschland, auch damals hieß es "unverdient", "Pech" usw. Klassischer Fall von nix dazugelernt. Und: unbarcalonaesk bis dort...
Die tief stehende Abwehr gab es nicht nur bei Brückner, sondern auch bei der nämlichen Euro und auch bei Constantini - gegen Lettland etwa wieder.
Fazit: jeder einzelne dieser mit absurden Vergleichen hantierenden Sätze ist also - überprüfbar - blanker Unfug.
Den aussprechen zu dürfen ist ein Menschenrecht. Klar. Jeder darf Blödsinn reden bis zum Umfallen.
Die Pflicht der Medien ist es aber derartige Luftblasen als solche zu entlarven.
Die Herrschaftskultur der Blödmaschinen
Die selbstauferlegte Pflicht der heimischen Medien geht jedoch in die diametral entgegengesetzte Richtung: man verstärkt diese Imaginationen noch durch Hinzufügung eigener Mythen (wie es die Krone im Fall des von ihr hauptabgeschossenen Brückner und der entsprechenden Verdrehungen tut) und durch eine Dopplung von euphorischen Phrasen.
Das passiert im besten Fall aus guten Gründen - positive Stimmung zu machen, Schwung mitzunehmen, anzufeuern.
Das, was dabei rauskommt, verstärkt aber nur den dumpfen Effekt des Populismus, den der heimische Fußball dieser Tage zelebriert - und der grotesk-naive Maßnahmen-Katalog gegen Hooligans ist da nur ein Beispiel.
Vor allem aber fallen diese bewusst inszenierten oder zufällig passierenden Verwirrungen einer Fußball-Öffentlichkeit auf den Kopf, die ohnehin schon zu den am wenigsten Kenntnisreichen des Kontinents gehört - was auf jahrzehntelange Medien/Verbands/Vereinsversäumnisse zurückzuführen ist und natürlich auch seine (auch wieder bewusst inszenierten oder irgendwie doch zufälligen) kulturellen Steuerungsgründe hat.
Der Herrschaft der Blödmaschinen wird sich, anlässlich des neuen Metz/Seeßlen-Buchs, die heurige Sommerserie von Im Sumpf widmen.
Nur so geht sich diese neuartig agierende Koalition der Schaumschläger aus: solange ein kenntnisloses Publikum beim von Medien fahrlässig verstärkten wirren "Wir sind jetzt ur wie Barzelona!"-Getöse in ein "Genau! Weil's super ist!" einstimmt, kann man alles vermanschen, argumentations- und widerstandslos. Wer dagegen redet, ist ein Spaßverderber.
Im Herrschafts-Klima der Blöd-Maschinen gibt es kein Entrinnen.