Erstellt am: 14. 6. 2011 - 16:39 Uhr
Das große Finale des Nova Rock 2011
"Fia de Uhrzeit ... a Wahnsinn"
Zu meiner Schande muss ich gestehen, Seek & Destroy aus dem Burgenland bis zu diesem Konzert nicht gekannt zu haben, und eigentlich war ich ja gerade auf dem Weg zu einem Kollegen, während die drei Herrschaften um 13:15 Uhr die Blue Stage des Nova Rock enterten. Was ich da hörte, ließ mich nicht nur bass erstaunen, sondern gleich auch vor der Bühne verweilen, und dem weiter zuhören, was diese Band da an feinstem Metalcore abzog.
Nicht nur mir erging es offensichtlich so, denn bereits nach dem ersten Song füllte es sich für diese unchristliche Uhrzeit (zumindest für ein Festival) sehr ordentlich, selbst vor einem Moshpit nach dem anderen und ordentlich Staub aufwirbeln wurde seitens des sehr dankbaren Publikums nicht zurückgeschreckt.
"Fia de Uhrzeit ... a Wahnsinn", meinte der Bassist und Sänger, der sich die Brüllkünste mit dem Schlagzeuger teilt. Wenn sich beim Auftritt einer Band eine halbe Stunde so anfühlt, als wären es nur zehn Minuten gewesen, dann macht sie wohl ganz eindeutig etwas richtig. Seek & Destroy machen offensichtlich alles richtig, und man wird hoffentlich noch viel von ihnen hören.
In Flames mit technischem Chaos
Beim Konzert der Schweden war leider ziemlich der Wurm drin, allerdings technischer Natur. Statt dem geplanten Beginn um 17:20 Uhr durften sie erst 25 Minuten später auf die Bühne und dann hörte sich das alles auch noch ziemlich eigenartig an. Nur Gitarre, kein Bass, irgendwie Schlagzeug und dann brach alles zusammen. Die Band spielte trotzdem weiter, allerdings hörte man nur verhalten das, was auf der Bühne passiert, jedoch keinen Ton aus das eigentlichen PA.
Beim zweiten Song "Trigger" war die Anlage dann zwar wieder da, allerdings war auch hier die Freude nur kurz. Mitten drin war wieder alles tot, die Band spielte lächelnd weiter, wenn auch dieses Lächeln in der Zwischenzeit etwas eisig anmutete. Verdenken konnte man ihnen das nicht.
Patrick Wally
In Flames Sänger Anders Fridén nahm es mit Humor und erzählte breit grinsend, dass in seiner "tiny little world" der Sound "fucking brilliant" wäre und dass dieser Auftritt wohl sein bisheriger "weirdest fuckin' gig ever" wäre. Man sollte den Herren wirklich den Titel "souveränste Band des Nova Rock 2011" verleihen, und ich möchte gar nicht wissen, was ein Herr Danzig in dieser Situation aufgeführt hätte. Dem waren am Vortag ja schon ein paar Monitorboxen zu sehr im Weg.
Die Schweden machten aus der verbleibenden Zeit aber noch das Beste, was man tun kann, verkürzten ein wenig die Redezeit und gaben unter nun brillantem Sound alles. Songs wie "Deliver Us" vom neuen Album "Sounds Of A Playground Fading" wurden ebenso gut vom Publikum angenommen wie das einem gewissen Dave gewidmete "The Mirror's Truth". Nur der In Flames-Klassiker "Only For The Weak" konnte das noch steigern, was wieder einmal starken Staubnebel vor der Bühne zur Folge hatte.
Patrick Wally
Wegen der anfänglichen technischen Probleme war der Auftritt eben leider viel zu kurz, die Herzen der Fans waren In Flames am Ende trotzdem sicher. Sogar der für Daniel Svensson als Karenzvertretung eingesprungene Jonas von der Band Death Destruction wurde vorgestellt und Sänger, die sich Digicams von Fans schnappen und Schnappschüsse von der Bühne aus machen, muss mal wohl auch lange suchen. In Flames wird man immer wieder gerne sehen. Nächste Mal dann eben wieder länger.
Lucifer, we are here...
Lisa-Maria Trauer
Ich wollte es eigentlich bis zum Schluss nicht glauben, dass Ghost tatsächlich auf jener Bühne auftreten sollten, der man den Namen "Abschalten Jetzt!" gab und sich auf dem Gelände zwischen den beiden Hauptbühnen in einem Zelt befand, das vermutlich ansonsten auf Kirchtagen im Einsatz ist.
Lisa-Maria Trauer
Man unterstelle mir nun bitte keine Respektlosigkeit gegenüber den anderen dort aufgetretenen Bands, dass Ghost aber auf dieser Bühne spielen sollten, wollte ich bis kurz vor Konzertbeginn irgendwie nicht wirklich glauben. Immerhin hatten die Schweden auf dem letzten Roadburn-Festival einen vielerorts gelobten Auftritt, und dem amerikanischen Decibel-Magazin waren sie sogar eine Titelgeschichte wert.
Als der Tontechniker beim Soundcheck 10 Minuten vor Konzertbeginn dann die Basslinie aus "Con Clavi Con Dio" vom 2010 erschienenen Debüt "Opus Eponymous" anstimmte, waren meine letzten Zweifel beseitigt. Hier werden Ghost auftreten und Satan huldigen, denn dessen Verehrung zieht sich wie ein roter Faden durch eben erwähntes Album.
Und dann war es auch endlich soweit, fünf Gesichtslose in Mönchskutten gekleidete Herren schritten bedächtig zu wabernden Klängen und Weihrauchnebeln (es roch wirklich so) auf die Bühne, zuletzt schritt dann ein als Papst verkleideter Ghul auf die Bühne und begrüßte mit majestätischen Gesten die kleine aber laute "Hail Satan" rufende Gemeinde. Die Messe konnte beginnen.
Lisa-Maria Trauer
Wer vermeinte aufgrund des Äußeren nun bis zum Erbrechen verzerrte Gitarren, Grunzgesang und sonstige Utensilien aus dem Metalbaukasten zu hören, wurde vielleicht enttäuscht, weshalb einige wenige Ungläubige denn auch wieder gingen. Die Stimme des Sängers klingt sogar sehr klar und verständlich und zum Teil dann auch noch in Latein gesungen. Ghost erinnern vom Gesamtsound her viel mehr an Bands der alten Schule wie Blue Öyster Cult und Konsorten.
Das kleine Kirchtagszelt verwandelte sich für 40 Minuten in ein schmales Guckloch in die Hölle, und dass man eine Coverversion von "Here Comes The Sun" auch ganz anders interpretieren kann, indem man zu Beginn des Songs Samples von Babygekreisch einspielt, ist schlicht und ergreifend eine ähnlich geniale Idee wie die des Sängers, die Bandmitglieder am Ende des Sets mit wortlosen Gesten vorzustellen.
Wer sich hinter Ghost verbirgt und was ihre Intention ist, darüber existieren nur Gerüchte und Spekulationen und niemand weiß wirklich, ob sie das alles tatsächlich ernst meinen. Ist das nun eine Karikatur von Satansverherrlichung oder Religionswahn oder eh gleich beides? Wer weiß. In jedem Fall war ausgerechnet dieses kleine von vielen unbemerkte Konzert mit absoluter Sicherheit einer der besten und intensivsten Auftritte auf dem Nova Rock 2011. Wer dabei war, darf sich sehr glücklich schätzen.
Social Distortion, zur falschen Zeit am falschen Ort
Von den schwedischen Satanisten im Kirchtagszelt zur Red Stage, wo gleich darauf eine Punk Rock Legende auftreten sollte, größer konnte der Kontrast wohl kaum sein. Dass ausgerechnet Mike Ness mit Social Distortion einen der undankbarsten Slots unmittelbar vor System Of A Down hatte, war für mich fast noch unverständlicher wie der Auftrittsort einer Kultband wie Ghost kurz davor.
Dominique Hammer
Aus der Konserve ertönte Muddy Waters' "Mannish Boy" und läutete das Set von Herrn Ness ein. Wäre Michael Poulsen beim Konzert anwesend gewesen, er hätte vermutlich bitter geweint, denn offensichtlich warteten fast alle auf den Headliner und wollten die Zeit nutzen, um einen guten Platz zu ergattern. Kein frenetischer Jubel wie eigentlich sonst üblich, wenn das Konzert einer Band beginnt, viel mehr verhaltenes Kopfnicken sowie überraschtes Erstaunen, nur vereinzelte Menschen jubelten.
Überhaupt scheint Mike Ness ein Riesenglück mit Auftritten zu haben. Zuletzt sah ich Social Distortion auf dem Bizarre Festival 1996, und da mussten sie tatsächlich bereits am späten Vormittag auf die Bühne. Vielleicht war es ja auch kein Zufall, dass er als ersten Song gleich "Bad Luck" auswählte, wer weiß, in jedem Fall ist Mike Ness einer, der etwas zu erzählen hat, und man sollte ihm auch zuhören. Selbst später bei "Don't Drag Me Down" von seinem Erfolgsalbum "White Light, White Heat, White Trash" wollte keine Stimmung aufkommen.
Es war wohl nicht der richtige Moment für Old School Punkrock der ersten Stunde, der von den Rolling Stones, den Ramones und Johnny Cash beeinflusst ist und mit dessen "Ring Of Fire" sollte das Konzert so unspektakulär enden, wie es begonnen hatte. Niemand war schuld, Social Distortion waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.
Dominique Hammer
Nach Social Distortion gab es dann auch ein zwanglos Feuerwerk, alle wünschten sich ein gutes neues Jahr und harrten der Band, wegen der es zu später Stunde vor der Red Stage noch übervoll war:
Patrick Wally
Wie hatte man sie nur vermisst, seit sie nach ihren letzten beiden 2005 erschienenen Alben "Mezmerize" und "Hypnotize" sowie anschließender Tour eine Pause einlegten, um sich ihrem Privatleben sowie ihren eigenen Projekten zu widmen. Sänger Serj Tankian veröffentlichte während dieser Auszeit drei Soloalben, Gitarrist und Sänger Daron Malakian und Schlagzeuger John Dolmayan waren unter dem Namen Scars On Broadway allerdings auch nicht faul.
Um Punkt Mitternacht am dritten Tag des Nova Rock wurde der daher verständliche Hunger nach live dargebrachter Musik von System Of A Down endlich gestillt, und es ist ja regelrecht "aufgelegt" zu sagen, mit dem "Prison Song" machten die US-Amerikaner mit armenischen Wurzeln keine Gefangenen.
Patrick Wally
Das beeindruckende Abschlussfeuerwerk kurz vor dem Konzert versprach da nun wirklich nicht zu viel und kündigte ein Grande Finale an, das sich gewaschen hat. Die lange Pause von sechs Jahren hörte man System Of A Down nämlich zu keinem Zeitpunkt in negativer Weise an, im Gegenteil, sie hat der Band offensichtlich ausnehmend gut getan.
Wenn die vier richtigen Typen zusammenfinden und Musik machen, dann braucht es keinen großartigen Firlefanz an Pyro-, Multimedia- und sonstiger Technik (so lässig das auch sein kann), da braucht es eben nur genau die richtigen vier, die mit Bass, Schlagzeug, Gitarre und ihren Stimmen umgehen können. Ähnliche Gedanken schossen mir schon vor drei Jahren auf dem Nova Rock während des Reunion Auftritts von Rage Against The Machine durch den Kopf, auch wenn diese beiden Bands musikalisch natürlich recht wenig gemein haben.
Bei aller Ernsthaftigkeit der Songinhalte System Of A Downs, wo durchaus mal Klartext betreffend Massenmedien oder der US-amerikanischen Regierungspolitik gesprochen wird, sind sie immer noch eine Band mit Humor. Zwar bin ich schon länger nicht mehr so wirklich ein Fan der Dire Straits, Daron Malakians "dezent" abgewandelte Version von "Sultans Of Swing" (We are system, we are system, we are system ... of a down), ließ das tobende und fast durchgehend Staub aufwirbelnde Publikum auch mal ein wenig Zeit zum Schmunzeln und Ausruhen.
Patrick Wally
Überhaupt waren sich Serj Tankian und seine Kollegen ihrer mitreißenden und extrem ins Gebein gehenden Songs wie "Deer Dance", "Chop Suey!" (no na) oder Psycho sowieso bewusst und streute schon auch mal ruhigere Momente mit Songs wie "Aerials" ein. Bewegungslos in der Gegend herumstehen fiel ansonsten mehr als schwer.
Die große Flucht in Richtung Parkplatz stellte sich kurz vor Ende des Konzerts pünktlich um 1:30 Uhr nicht ein, denn alle wollten diese viel zu kurzen weil sehr kurzweiligen 90 Minuten mit System Of A Down bis zum Schluss genießen. Wer blieb, wurde belohnt und als letzten Drüberstreuer reichten die Herren dann auch noch "Sugar".
Drei Tage Nova Rock konnten der Kondition vieler offensichtlich nichts anhaben. Glückliche Gesichter wo man nur hinschaute. Nur ein neues Album dieser Ausnahmeband würde wohl alle noch glücklicher machen.
Nova Rock 2011, es war sehr schön. Man sieht sich dann im nächsten Jahr.
Dominique Hammer