Erstellt am: 9. 6. 2011 - 18:53 Uhr
Mensch gegen Maschine
FM4 Schwerpunkt "Schach & Spektakel", am 9. Juni 2011.
Die Informationen zu den Sendebeiträgen finden sich im entsprechenden FM4 Radioprogramm.
"Du darfst nicht hoffen und keine Angst haben", gibt mir eine ehemalige Schachspielerin als Antwort auf die Frage, was zum gut Spielen dazugehört. Diese simple aber sehr treffende Kurzbeschreibung trifft nicht nur auf Schach zu, sondern im Grunde auf jedes Spiel. Doch sie trifft nicht auf alle Spielenden zu. Denn wo der Mensch in seiner Irrationalität gerne auch mal hofft und seine Fähigkeiten durch Angst und Ansporn bewusst und unbewusst von mal zu mal variert, brauchen künstliche Intelligenzen (KI), wie wir sie heute kennen, weder Konzentration noch Zuversicht. Sie rechnen alle Möglichkeiten durch und arbeiten ihre Algorithmen ab.
Analysen und Algorithmen

flickr.com / User jamesthephotographer
Bis Mitte der 1990er galt der Mensch als bester Schachspieler der Welt. Das Problem der Computer waren weniger ihre unzureichenden Fähigkeiten einem menschlichen Spieler gegenüber, sondern schlichtweg die Tatsache, dass sie noch zu langsam waren. Ein Schachcomputer "denkt" weitgehend quantitativ, das heißt, anfangs sind mal alle regelkonformen Spielzüge gleich viel wert. Diese Strategie kostet Zeit, und weil Zeit bei einer professionellen Schachpartie beschränkt ist, gab es für die Rechenmaschinen bis in die 90er Jahre hinein immer ein Timeout - oder ein Schachmatt.
Auftritt "Deep Blue": Die wie ein bedrohlich wirkender Schrank konstruierte Großrechenmaschine von IBM sollte gegen die Finten und Fallen der Schachgroßmeister ein für allemal bestehen. Nachdem eine erste Version von "Deep Blue" 1996 vom damals amtierenden Weltmeister Gary Kasparov geschlagen wurde, hat man die Revanche ein Jahr später als mediales Großereignis inszeniert. Das Ergebnis war verblüffend: Nachdem Kasparov die erste Partie gewonnen hatte, ist die KI daraufhin von den Programmierern angepasst worden. Das nächste Spiel ging an "Deep Blue", der Rest ist Geschichte: Algorithmen und Rechengeschwindigkeit von Computern waren ab sofort den in Prioritäten und Mustern denkenden Großmeistern überlegen. Gary Kasparov war zwar ein schlechter Verlierer, doch das führte immerhin zu Verschwörungstheorien und einem spannenden Realkrimi in der Dokumentation "Game Over: Kasparov and the Machine".
Heute bestehen handelsübliche Computer respektive deren Schachprogramme auch gegen die Besten der Besten. Die Überhand des Computers wurde in den Spieler/innenkreisen aber nicht als Bedrohung wahrgenommen, sondern als Chance: Schachspieler haben via iPhone und Netbook den besten Gegner auf Wunsch immer mit dabei und können mit ihm nach der Partie auch bequem Züge analysieren und alternative Routen durchgehen. Künstliche Intelligenz und Rechenkraft als ultimativer Schachtrainer hat auch nachhaltige Auswirkungen auf den Spielstil der Meister und Großmeister. Die starke und quasi nie wirklich besiegbare Konkurrenz im Computer schraubt darüber hinaus auch das allgemeine Spielniveau stark nach oben.
"Schachspieler müssen heute, in diesem Zeitalter der Versportlichung, unendlich viel mehr arbeiten und Zeit aufwenden als vor 30 Jahren. Damals ist man vor der Partie am Abend noch gerne einen trinken gegangen und hat die Nacht ein bisschen kürzer gemacht. Es hat diese Bohème gegeben - das ist heute undenkbar", so der Wiener Kulturwissenschafter Ernst Strouhal zum Thema Änderungen des Schachspiels durch moderne Computer und das Internet.
Der Schachautomat und die Inspiration
Der Wunsch, eine Maschine gegen den Menschen auszuspielen - als gesellschaftliches Spektakel, als Provokation oder auch schlicht zwecks Inszenierung und persönlicher Bereicherung - hat beim Schach eine langjährige Tradition. Berühmtheit erlangt hat vor allem der Schachroboter von Baron Wolfgang von Kempelen aus dem Jahr 1769, bekannt als "Schachtürke". Die "künstliche Intelligenz" von damals war eine geschickte Täuschung, die jedoch alleine wegen ihres kühnen Anspruchs Faszination und Inspiration ausgestrahlt hat und entsprechend populär wurde.

newforestearth.org
Auch "Deep Blue" hat inspiriert. Die legendären Partien des IBM-Schachcomputers gegen Gary Kasparov waren die Grundlage für die Entwicklung eines neuen Spiels. "Arimaa" spielt man auf einem normalen Schachbrett und mit den dazugehörigen Figuren. Das Spiel und seine Regeln sind allerdings bewusst gegen die einfache Beherrschung durch Computer konzipiert. Erfinder Omar Syed verspricht dem Entwickler eines Computerprogramms, das es schafft, einen der drei weltbesten Arimaa-Spieler/innen zu schlagen, eine Belohnung von 10.000 US-Dollar. Das Match Mensch gegen Maschine ist eben noch lange nicht entschieden.