Erstellt am: 9. 6. 2011 - 16:42 Uhr
Gute Zeichen, schlechte Zeichen
Von Olja Alvir und Ivana Martinović. Fotos von Philipp Tomsich
Dieser Artikel ist im Magazin biber erschienen.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des biber
Sie werden auf Häuser und Klowände geschmiert oder gleich auf die Brust tätowiert: Nationalistische oder faschistoide Symbole der Ausländer. Doch wer weiß überhaupt, wofür diese Zeichen wirklich stehen?
Wenn Menschen auswandern, nehmen sie ihre Kulturen, Lebensweisen und auch ihre Symbole mit. Es sind nicht immer bloß harmlose Logos von Fußballclubs, die dann in Parkbänke geritzt, auf Häuser und Klowände geschmiert oder für immer auf den Körper tätowiert werden. Auch nationalistische und faschistoide Zeichen finden sich auf Wiens Straßen. biber hat die Passanten am Favoritner Viktor-Adler-Markt mit drei besonders problematischen Ausländersymbolen konfrontiert.
Philipp Tomsich
"Das Symbol kenne ich genau", zeigt Sedat schockiert auf das serbische Kreuz mit den vier Cs. Es ist eines der drei Symbole, die biber auf Plakate gemalt hat, um das Wissen der Migranten um die Symbole aus ihrer Heimat zu testen. "Wegen diesem Zeichen bin ich in Österreich und musste meine Heimat Bosnien verlassen. Es ist das Tschetnik-Zeichen. Sie haben unser Volk vertrieben und ermordet." Das serbische Kreuz ist auch auf dem Wappen der serbischen Flagge zu finden. Sedat: "Nicht die Flagge ist das Problem. Es sind die Leute, die dieses Symbol für ihr nationalistisches Gedankengut missbrauchen. Jugendliche lernen den dummen Nationalismus von den Älteren und schmieren solche Zeichen auf Wände."
Drei Finger für Serbien und dazu ein selbst tätowiertes serbisches Kreuz
Philipp Tomsich
Während Sedat spricht, erkennt ein junger Serbe mit Ed-Hardy-T-Shirt und verspiegelter Sonnenbrille "sein" Symbol, springt ins Bild und hält zum Serbengruß provokant drei Finger vor das Plakat. Sedat schüttelt den Kopf: "Einfach krank so etwas!"
"Auch das harmloseste Symbol aus vergangenen Zeiten kann im Laufe der Zeit nationalistisch vereinnahmt und missbraucht werden", sagt Professor Alojz Ivanišević vom Institut für Osteuropäische Geschichte auf biber-Nachfrage. "Und dann bekommt es eine neue Bedeutung, unabhängig davon, wo der Ursprung ist und wie es im Laufe der Zeit Verwendung fand."
Lauter Grau-Wölfe?
Als nächstes wird Türkin Azaman auf die biber-Plakat-Aktion aufmerksam. Sie kennt alle drei Symbole. Der Grund: Sie geht mit Serben und Kroaten in die Klasse und hat schon öfters beobachtet, wie diese die Symbole an die Wände, in Bücher und Hefte schmierten. Sie hat kein Problem mit den Zeichen, auch nicht mit dem der Grauen Wölfe.
Das Symbol der Grauen Wölfe schmückt auch in Österreich die Hälse der Damen.
Philipp Tomsich
"Dieses Zeichen stammt aus der osmanischen Zeit und ist auf keinen Fall nationalistisch." Azaman, die von zwei Freundinnen flankiert wird, die ihr beipflichten, sind aber nicht die einzigen jungen Türkinnen, die sich mit den Grauen Wölfen und der ultranationalistischen Partei MHP identifizieren können. Die Passantin Elif übersetzt für uns, wie die Grauen Wölfe auf Türkisch heißen: "Bozkurt sagen wir dazu. Alle aus meinem Bekanntenkreis sind Graue Wölfe. Wir hassen niemanden. Beziehungsweise nur die, die unser Land teilen und Kurdistan daraus machen wollen." In ihrer Handtasche trägt sie sogar einschlägigen Schmuck bei sich: drei silberne Sichelmonde, das Logo der MHP. "Viele Türken tragen es und viele Türken sind Fans der Grauen Wölfe", so Elif.
Für die Männer, die wir befragen, scheint es ziemlich cool zu sein, radikaler rüberzukommen. Ali ist im Verein der Grauen Wölfe. "Ja, sie sind Nationalisten. Ich unterstütze das." Einzig das serbische Kreuz löst bei ihm Unbehagen aus: "Das ist antiislamisch. Die haben die Moslems in Bosnien umgebracht." Ömer, der mit seiner Frau und seinem Kind auf einer Parkbank sitzt, geht auf Distanz zu den Grauen Wölfen. "Die sind nationalistisch und gefährlich. Leute, die solche Zeichen an Wände schmieren, haben keine Ahnung, was sie tun."
Wiederbetätigung
Die jungen Passanten kommen so richtig in Fahrt: Zwei jugendliche Kroaten, die durch "ihr" Zeichen, das der Ustaše, angelockt wurden, sprechen uns ganz aufgeregt an. "Kroatien wurde von den Ustaše befreit. Die haben unser Land vor den Kommunisten und Tito gerettet." Die "Kommunisten" und Tito kamen zwar nach den Ustaše an die Macht und konnten daher von ihnen nicht vertrieben werden, aber so genau nehmen es die beiden mit der Geschichte nicht. "Egal! Die Ustaše haben für ihr Land und ihr Volk gekämpft." Dann sehen sie das serbische Zeichen und werden aggressiv. "Das erinnert mich daran, dass mein Volk von den Serben ermordet und vertrieben wurde", grollt einer der beiden.
Das kroatische Hakenkreuz
Philipp Tomsich
In Kroatien wären die Jungs bestimmt nicht so offenherzig, was ihre politische Einstellung angeht – dort sind die Ustaše und die Verwendung ihrer Zeichen als Wiederbetätigung verboten. Das Wiederbetätigungsgesetz Kroatiens greift aber nicht in Österreich, was vom Landesamt für Verfassungsschutz Wien bestätigt wird. "Ustaša-Symbole sind in Österreich nicht verboten und werden nicht als Wiederbetätigung von Personen strafrechtlich verfolgt", sagt Gerhard Vrana vom Referat für Extremismus. Das Wiederbetätigungsgesetz orientiert sich nur an der Symbolik des Hitler-Regimes und erweitert die Definition nicht auf den Faschismus anderer Länder wie beispielsweise Kroatien. Faschisten anderer Länder können also in Österreich ihre Gesinnung seelenruhig zur Schau stellen.
Diego trägt sein Herz auf der Hand
Da taumelt Diego ins Bild. Er will einen Euro fürs Telefonieren, streckt seine Hand aus und siehe da: ein Tattoo mit dem serbischen Kreuz. Nicht nur die eigenen Hände, sondern auch fremde Wände verschönert er damit, gibt der waschechte Serbe zu. Wo seine Kunstwerke zu besichtigen sind? "Jo überall! Praterstern und so, oida!" Als Nationalist sieht er sich nicht. "Die Leit' verstehen des foisch! Das ist ja harmlos, dasselbe wie der österreichische Adler auf der Fahne", erläutert er und zischt mit dem von biber gespendeten Euro ab.
Die Schule kennt nur Hitler
Professor Valjevac beäugt die Situation lange skeptisch, bevor er sich einbringt. Er arbeitet an einer Wiener Schule und bestätigt, dass seine Schüler, je nach Nationalität, die Symbole auf ihre Hefte schmieren. Ob ihnen im Geschichtsunterricht beigebracht wird, was sie bedeuten? "Den Lehrern ist nicht bewusst, wie wichtig diese Aufklärung ist. Sie kennen sich auch manchmal zu wenig damit aus", meint er verärgert. Damit spricht er einen heiklen Punkt an. In Wien sind zwar Menschen aus Ex-Jugoslawien und aus der Türkei die größten Einwanderungsgruppen, über die Geschichte ihrer Herkunftsländer – inklusive der dunklen Seiten – erfahren sie in der Schule aber vergleichsweise wenig. "Die Lehrer haben die Aufgabe ihre Lehrpläne so zu gestalten, dass sie totalitäre Systeme ausreichend erklären. Natürlich ist das in Österreich hauptsächlich das Regime des Nationalsozialismus." Ob ein Lehrer mit den Schülern über die Ustaša-Bewegung spricht? "Das ist nicht vorgeschrieben und mir auch nicht bekannt", erklärt Michael Sörös, Landesschulinspektor für Wien.
Philipp Tomsich
Das bin ich!
Das ist mit ein Grund, warum sich vor allem junge Migranten der wahren Bedeutung der Fascho-Symbole gar nicht mehr bewusst sind. "Herst schau, da bist du, oida!", ruft ein Passant seinem serbischen Freund zu. Erst später erkennt er, dass auch das Ustašaplakat dabei ist, klopft sich auf die Brust und streckt die Hände in die Höhe: "Hey! Das bin ich! Hrvatska! Ustaša!" Sie identifizieren sich einfach mit den Zeichen ihrer Heimat. Je nachdem, woher man kommt, ist also ein Zeichen gut und das andere böse. Wie viel eigentlich Böses aber hinter den eigenen Zeichen steckt, das wissen sie nicht.