Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal 2011. Eintrag 113."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 6. 2011 - 17:11

Journal 2011. Eintrag 113.

Immersed, not embedded. Der Journalismus der nächsten Jahre wird immersiv sein müssen.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit dem in Armin Wolfs Master-Thesis auftauchendem Begriff der Immersion. Das ist nämlich die einzige Zukunfts-Chance des qualitativen wie auch des öffentlich-rechtlichen Journalismus.

Wer sich für Wolfs Arbeit, die ich aus Copyright-Gründen nicht verlinkt habe, interessiert, soll ihn bitte antwittern.

Armin Wolf ist schuld.
Er hat mir, nachdem er dieses Journal hier gelesen und auch vertwittert hat, einen Link zu seiner Master-Thesis, die er 2010 während seines US-Aufenthalts geschrieben hatte, geschickt. Und zwar, weil er dort genau der Frage, ob Fiction-Formate nicht aufklärerischer sein können als Journalismus, nachgegangen ist.
Tolle Lektüre.
Wolfs Beispiele: der bereits mehrfach zitierte Jon Stewart, das deutsche Magazin Neon und ein paar neue Formate der BBC.

Und genau in diesem Teil der wolfschen MBA-Thesis kommt mir dieser Begriff unter.
Immersive.
Das wäre ihr Buzzword, sagt der BBC-Mann.

Und der Gegensatz zum normalen Gestus, der mittels Distanz und hochgehaltener Objektivität Filter einzieht. "You would go on a journey with a reporter you trust... it feels a lot more welcoming."

Das ist nicht die Erfindung des Rades, aber eine potente Begrifflichkeit.

Eintauchen, vertiefen, journalistisch zupacken

Die Immersion (Eintauchen) gibt's in Physik, Mathematik, Medizin, aber auch in Bezug auf das alltägliche Erlernen einer Sprache und, vor allem, in der Virtual Reality (wo sie den bewussten Wahrnehmungsverlust der Realumgebung definiert) - aber auch im Journalismus - allerdings nur im angloamerikanischen Raum.

Der Unterschied zum klassischen Gonzo-Journalismus ist nicht groß, aber irgendwie geht es hier ernsthafter zu. Denn als Aushängeschild taucht gleich Barbara Ehrenreich auf, deren zehn Jahre alter Klassiker "Nickel and Dimed: On (Not) Getting By In America" als Prototyp angeführt wird.

Das ist wiederum nicht weit entfernt von Günther Wallraff und insofern weder unbekannt noch unbeachtet.

Mir erscheint der Begriff der Immersion dennoch wichtig für die künftige Ausrichtung eines kraftvoll zupackenden Qualitäts-Journalismus, von der Bedeutung für eine Öffentlich-Rechtlichkeit gar nicht erst zu sprechen.
Das liegt in der anderen Übersetzung begründet.

Neben "Eintauchen" steht "Immersion" nämlich auch für die "Vertiefung"; und für "Einbettung".

Einbetten, embedden, Glaubwürdigkeit zerstören

Nun ist die Vertiefung sowieso eine der zentrale Qualitäten des Journalismus - eine gefährliche, weil sie Aufklärungs-Potential hat; und eine gefährdete, weil sie von den Hintermännern von Medien-Konzernen gern weggeschoben wird. Direkt und indirekt. Denn die Lobbyisten der Verlage waren es, die im ORF-Gesetz die Vertiefung in Teilbereichen der ORF-Online-Berichterstattung auf die Verbots-Liste gesetzt hatten.

Die Einbettung hat hingegen eine wahrhaft katastrophale Geschichte: der Begriff des Embedded Journalism hat seit seiner öffentlich vorgeführten Erfindung 2003 mehr Totengräber-Arbeit für den Journalismus geleistet als die Murdochs dieser Welt.

Indem sich die bis dorthin recht vorbildhaft ihre Unabhängigkeit vertretenden US-Medien mit dem Schmäh der patriotischen Notwendigkeit und Pflicht als schiere Propagandisten vor die Karren von Regierung und Kriegsindustrie spannen ließen, zerstörte sich der Glaube der Konsumenten an seine Medien wie die Nachricht an jedem Beginn von 'Mission Impossible': vollautomatisch.

Die fein markierte Grenzlinie zwischen Journalismus und PR wurde zu einem überlaufenen Aufmarschgebiet und die als Journalismus missverstandene Copy-Paste-Seligkeit hat seitdem ihren Siegeszug angetreten.

Letztlich war das Zulassen des Embedded Journalism Pandora's Box, was die Auswirkungen auf die Branche betrifft.

Seitdem ist jede Glaubwürdigkeit zerstört.

Verlautbaren, copypasten, sich angreifbar machen

Das ist aber in mancher Hinsicht gar nicht so schlimm. Wie es der schon vorhin zitierte BBC-Producer Michael Wilson dem Kollegen Wolf gegenüber so schön sagt: "Young people believe every conspiracy theory there is".

Also: es ist eh wurscht.
Der stocksteife Verlautbarungs-Journalismus, die verschnarchte Dauerwiederholung von Agentur-Meldungen, der globale Einheits-Brei wird auch nur unter diesen Gesichtspunkten wahrgenommen - stimmt eh alles nicht.
Wichtig ist das, was die Peer Group, die paar glaubwürdigen Andockpunkte, die man sich so aufgebaut hat, transportieren.

Insofern ist die Immersion, der immersive Journalism, der Position bezieht und sich damit angreifbar macht, anstatt so zu tun, als wäre er objektiv, um sich so unangreifbar zu machen, der einzige Ausweg, um auch einer künftigen Generation, die den aktuellen Teflon-Journalismus sowieso nicht ernster nimmt als die Facebook-Status-Meldung des für seine Späße bekannten Freundes, noch was erzählen zu können.

Einbunkern, spalten und prononciert ansprechen

Und das nicht aus ethischen, sondern aus rein praktischen Gründen, aus Gründen der Art des Medienkonsums der Digital Natives.

Die einzige offene Frage ist die: wer fängt die aufnahmebereiten jungen Medien-Konsumenten auf/ein? Die ausschließlich in Verwertungs-Logiken denkenden Profitmacher oder, zumindest teilweise, die staatlichen und gesellschaftlichen Interessen Verpflichteten?

Der blanke Populismus wird die Massen abkassieren, keine Frage. Wenn sich die Zivilgesellschaft, der staatliche und öffentlich-rechtliche Sektor weiter im Verlautbarungs-Feld einbunkern und dort systematisch nur noch die Ü70 ansprechen und sich nicht recht deutlich und prononciert um einen immersiven Zugang, der auch die Jungen interessiert, kümmern, wird das nur in kleinen Nischen stattfinden und die künftige Gesellschaft noch mehr spalten, als das jetzt schon der Fall ist.

Und der Journalismus selber ist auch gut beraten, wenn er vom biederen und gern allzu satt eingebetteten Verlautbarer wieder zum sorgenden Eintaucher in die Realwelten wird.