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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

15. 6. 2011 - 09:00

Die Fährtenleserin

In ihrem Debütroman "Lebt wohl, Cowboys" schickt Olja Savičević ihre Protagonistin auf Orientierungssuche.

Vor den Balkankriegen haben die Kinder des "Alten Ortes" an der kroatischen Adriaküste immer Krieg gespielt, als PartisanInnen gegen deutsche und italienische Touristenkinder. Als die PartisanInnen ihren Platz unter den kroatischen HeldInnen verloren, wechselten die Kinder zu Cowboy und Indianer.

Obwohl Indianer in Jugoslawien beliebter waren, wegen Winnetou und Gojko Mitić, seinem jugoslawischen Pendant, gaben Dada, genannt Rusty und ihre Geschwister die Cowboys. Schuld daran war ihr Vater und sein Herz für Western, für John Ford, Fred Zinnemann, Sam Peckingpah, die beiden Sergios, Leone und Corbuccio, vor allem aber für den "großen Ned Montgomery".

Buchcover

Voland & Quist

"Lebt wohl, Cowboys" von Olja Savičević wurde von Blažena Radas aus dem Kroatischen übersetzt und ist bei Voland & Quist erschienen

Dadas ganze Kindheit im Alten Ort war ein Cowboy- und Indianerspiel, doch als sie als Erwachsene aus Zagreb zurückkommt, ist davon nicht mehr viel übrig. Die Zeit der Western ist vorbei, auf der Leinwand und im Alten Ort. Stattdessen hat der Kapitalismus Einzug gehalten: Die Strände zieren Betonplateus und Cocktailbars, Stahlskelette ragen in die Höhe, Hotelanlagen sind von Wächtern umstellt und in den Häfen liegen russische Jachten. Und auch der begeistertste Cowboy ist nicht mehr, Dadas Bruder Daniel hat sich achtzehnjährig vor den Intercity Osijek-Zagreb-Split geworfen. Ohne Abschiedsbrief.

Auf der Suche nach der Person, der sich Daniel anvertraut haben könnte, und denen, die ihn in den Tod getrieben haben, bewegt sich Dada durch das Endzeitszenario, das Olja Savičević in ihrem Debütroman "Lebt wohl, Cowboys" entworfen hat. Der von einer Hitzewelle gelähmte Alte Ort gleicht einer "riesigen Rumpelkammer", in der sich Matsch und Kot mit Shoppingcentern und Plakatwäldern abwechseln. Der als Kriegsverbrecher verurteilte General Gotovina ist hier noch als Poster präsent, die Graffitis der faschistischen Ustaša stören niemanden, und nach der Sperrstunde landen alle in der Bar Die letzte Chance. Der einzige Lichtblick im Ort ist der junge Andjelo mit seiner Mundharmonika, auf der er die Lieder Ennio Morricones spielt.

Ins Zentrum von Dadas Suche rückt schließlich Karlo Šain, der ehemalige Tierarzt des Ortes, dem nachgesagt wird schwul und pädophil zu sein. Daniel hat sich früher immer bei ihm aufgehalten und Dada fürchtet ihr androgyner Bruder könnte zu seinem Opfer geworden sein. Doch je näher Dada Doktor Šain kommt, desto mehr entzieht er sich ihr, bis er schließlich aus dem Ort flieht. Zurück bleibt ein kaputter Revolver, Daniels Lieblingsspielzeug und eine Diskette - doch wer kann heutzutage noch eine Diskette auslesen?

Die Autorin Olja Savicevic in blauem Top mit schwarzer Lederjacke

Andriana Škunca

Olja Savičević legt "Lebt wohl, Cowboys" wie einen Ermittlungsroman an, mit vielen Fragezeichen, die durch Sprünge in der Erzählung und Wiederholungen noch verstärkt werden. Savičević lässt immer wieder Informationen aus, die später nur in Andeutungen nachgeliefert werden. Die Nachforschungen über Daniel dienen dem Roman aber nur als Rahmen, der die Erinnerungsarbeit der Protagonistin Dada einfasst. Eine Erinnerungsarbeit, die auch den Wandel in Kroatien mit einschließt, aufkommenden nationalistischen Hass und den Krieg, die zur Selbstfindung von Dana beitragen sollen.

Für Danas Bruder ist das Heilsversprechen der Western-Filme, das "Geh in den Westen Junge. Dort wirst du Reichtum Ruhm und Abenteuer finden" ein leeres geblieben. Leer wie die zahlreichen Verweise, die Savičević einstreut, aus Filmen, Pop- und Hochkultur, die oft über ein Namedropping nicht hinauskommen.
Bevor sich der Roman wie ein klassischer Western auf einen Showdown zuspitzt wechselt Savičević die Erzählperspektive und gibt dem Ned Montgomery, dem größten aller Westernhelden seinen letzten Auftritt, so dass Dada Richtung Sonnenuntergang ziehen kann.