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Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

9. 6. 2011 - 17:40

Protest und Stillstand

Geht es uns zu gut, um Barrikaden zu errichten? Das FM4 Jugendzimmer beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, ob man für unser jetztiges politisches System eine neue Form des Protests finden muss.

Kommenden Sonntag wird das Camp auf der Puerta del Sol im Herzen Madrids aufgelöst. Das haben über tausend Teilnehmer der offenen Volksversammlung der Protestbewegung in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag beschlossen. Sie werden die Protestarbeit in die Stadtteile verlegen und sie werden am 19. Juni zu einer weiteren Großdemonstration in ganz Spanien aufrufen: für eine Demokratisierung und gegen den Eurostabilitätspakt.

Ohne Auswirkungen

Einer der Mitbegründer von "Echte Demokratie Jetzt!", Fabio Gándara, kündigt am Rande der Vollversammlung an, dass es am 15. Oktober zu einem weiteren Protesttag kommen soll: "Dieses Mal europaweit, vielleicht sogar weltweit." Dennoch, die Enttäuschung ist bei vielen groß. Seit 15. Mai sind in Spanien Hundertausende Menschen auf die Straße gegangen. Keine ihrer Forderungen wurden seitens der Politik bisher erfüllt.

Wenn wir uns daran erinnern, dass das vergangene Jahr von bildungspolitischen Protesten in Österreich dominiert war, und schließlich mit der Audimaxbesetzung ein Kulmulationspunkt einer großen Protestwelle errreicht war, dann muss man rückblickend fragen: Wie ist es möglich, dass eine Protestbewegung, die so breit getragen wurde, ohne Auswirkungen blieb?

Demonstranten in Madrid

EFE Fotograf : VICTOR LERENA

Diese Frage haben sich fünf StudentInnen der Universität für angewandte Kunst in Wien ebenfalls gestellt und versucht, sie in den letzten Monaten im Zuge eines Kunst/Forschungsprojektes zu klären. In "Protest und Stillstand" vernetzen sie Protestgruppen unterschiedlicher sozialer und politischer Zugehörigkeit. Es soll ein Austausch zustande kommen, der die Möglichkeiten und Eigenschaften vergangener Proteste analysiert und man sich auf diese Weise dem Kern des Begriffs "Protest" nähert.

Wieso hat der Umgang der Regierenden mit dem Protest keine Konsequenzen? Was sind die gesellschaftlichen und politischen Mechanismen, dass Protestbewegungen wie UNIbrennt und Echte Demokratie Jetzt! in einem demokratischen System keine Stimme haben? Muss man für unser jetztiges politisches System eine neue Form des Protests finden?

European Revolution Day

Am 29. Mai und am 5. Juni fand in vielen Städten Europas der European Revolution Day statt; einerseits als Solidatitätsbekundung für die Spanier und ihre Bewegung, andererseits für mehr Mitsprache, mehr Demokratie und eine Einschränkung des Finanzkapitalismus. Auch in Wien hat man sich versammelt. Am 29. Mai wurde sogar ein kleines Zeltlager am Karlsplatz erreichtet. Eine Gruppe spanischer StudentInnen waren vor Ort die treibenden Kräfte. Sie forderten zum offenen Dialog auf, sie organisierten gemeinsam mit hiesigen DemonstrantInnen Essen, Musik und einen Plan für die kommenden Stunden. Eine junge Spanierin hielt eine Rede: "Ich lebe seit acht Jahren in Österreich. Eure Situation ist eine ganz andere als in Spanien. Nach der Franco-Diktatur hörten wir von unseren Eltern immer: Euch geht es so gut, ihr habt alles, vor allem Freiheit! Ich kann nichts dafür, dass ich in einer Demokratie aufgewachsen bin, aber deshalb kann ich nicht mein Leben lang dankbar den Mund halten und zuschauen, wie der Staat meine Zukunft verkauft. Ihr Banker, ihr Politiker, es ist meine Zukunft, die ihr verspekuliert!"

Am 5. Juni hatte sich der kleine Ausläufer der österreichischen Protestbewegung nahezu aufgelöst und während der Tagung der globalen Player am Weltwirtschaftsforum in Wien dieser Tage haben sich kaum 200 Menschen zu einer Demonstration eingefunden. So ruhig konnten sich die Konzernchefs und PolitikerInnen wohl noch nirgends über die Aufteilung der Welt und über Gewinnmaximierung unterhalten.

Wasser bis zum Hals

Es ist auch schwer, sich gegen das Böse der Welt zu stellen, wenn die Sonne scheint, wenn die Gastgärten voll sind mit jungen Menschen, die sich viel zu erzählen haben. Kurzum: Es geht uns zu gut, um Barrikaden zu errichten. Das hätten die Tunesier und Ägypter auch nicht getan, wenn ihnen das Wasser nicht bis zum Hals gestanden wäre. Oder steht uns das Wasser schon bis zum Bauch und wir glauben fälschlicherweise, dass wir in einem Swimmingpool plantschen?

Ein FM4 Jugendzimmer am Freitag, 10. Juni 2011 (von 19 bis 20.15 Uhr) mit den MacherInnen von "Protest und Stillstand".