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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 6. 2011 - 18:10

Fußball-Journal '11-53.

... oder, eigentlich: Journal 2011. Eintrag 112. Die ÖFB-Bilanz 2010/11: im tiefen Tal des Populismus.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit dem anstehenden Fazit zur ÖFB-Saison 2010/11, also dem ersten Teil der Quali-Campaign für die Euro '12.

Hoffnungsfroh.
Leise, aber doch forsch optimistisch für die Zukunft, die nähere und die fernere erst.
Auf die Jungen bauend.
Mit Beschwörungen der Vernunft der Spieler.
Voll frommer Wünsche auf Besserung.
Besserung der Anderen.

1

Das ist in etwa der Status des ÖFB-Teams im Juni 2011.

Es wäre aber auch der Status vor Beginn dieser Saison gewesen; und es entspräche in großen Teilen eigentlich jedem Status der Nationalmannschaft in den letzten 5, 10 oder gar 15 Jahren.
Letztlich ist das dieselbe Walze, dieselbe Leier, die seit dem Tag, an dem das Bewusstsein, dass die Generation Cordoba nur ein Resultat eines historischen Zufalls war und nicht wiederholbar ist, angestimmt wird.

Der aktuelle Vordenker und Praxis-Lenker, Dietmar Constantini, ist also, wie alle seine Vorgänger der letzten Jahre und Jahrfünfte, nicht einen Millimeter weitergekommen.
In keinerlei Hinsicht.

2

Schlimmer sogar.
So deutlich wie unter Constantini wurde nämlich noch nie die Schuld- und Chancenlosigkeit der Trainer-Generation festgeschrieben. Rein gar nix könnten er und die Seinen machen, so tönt das DiCo-Leitmotiv seit vielen Monaten. Auf diese resignativen Sätze, auf die achselzuckenden Gesten, auf das traurige G'schau kann man sie zusammendampfen, die Botschaft, die der Tiroler dem Volke übermittelt.

Constantini hat keinen Plan, keine Philosophie, keine Verantwortung für die Zukunft: er kann da gar nix machen, ist sein Dauererklärungs-Modell, er sei ein Spielball des grausamen Schicksals. Unter dahinter singt sein Chor: "Eh wurscht, eh wurscht, eh wurscht!"

3

Das Fatale an dieser Aufgabe und Selbstaufgabe ist, dass sie - im Topos Österreich - nicht auffällt.
Anderswo, in echten Fußball-Nationen würde ein Antriebsloser, der sich andauernd ausredet und gerne an den Schwächsten, seinen Schutzbefohlenen abputzt, von Medien und Öffentlichkeit mit Klopapier und Wasser verfolgt.

In Österreich geht sich das aus.

Weil in Österreich nämlich in allen relevanten Bereichen genau dieselbe defätistische, sudernde, angezipfte Wurschtigkeit herrscht, die keinen Wert darin erkennen mag, für Verbesserungen zu arbeiten, Systeme einzureißen oder gar etwas nachhaltig Substanzielles hinzustellen.

Nicht in der verluderten Wirtschaft, nicht im knochentoten musealisierten Kulturbetrieb, nicht in der empörungsbewirtschaftenden Medien-Szene und nicht in der zunehmend ihre komplette Macht- und Hilflosigkeit als Kapitulations-Flagge aus dem Fenster hängenden Politik.

4

Warum sollte also einer, der wie Constantini immer schon einen Hang zum einfachen Weg und zum populistischen Schmäh hatte, da ausscheren?
Letztlich kann ihm das niemand zum Vorwurf machen.

Dass ich das, nicht nur hier, laufend tue, hängt auch durchaus damit zusammen, dass ich ihn und seine ostentative Tatenlosigkeit als exemplarische Darstellung dieses Typus, pars pro toto sehe - und anhand einer populären Figur, die sich auch noch nicht zu schade ist, in jeden aufgestellten Fettnapf zu treten, lassen sich solche Mechanismen gut aufzeigen.

Constantini hat keinen ernsthaften Konkurrenten; und weil er auch keinen ernsthaften Präsidenten hat, sondern nur einen Frühstücksdirektor, den Beppo Mauhart mit einem Zug in der Pfeife rauchen würde, kann ihm keiner was. Denn die wichtigen Medien bringt er regelmäßig auf seine Seite, mit machterhaltenden Geschenken. Sie danken es mit hanebüchenen Auswüchsen, etwa mit Barcelona-Vergleichen.

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Diese Situation nützt er, wohl ohne echte Absicht, weidlich aus.
Es gibt keinen großen populistischen Diskurs der letzten Jahre, den er ausgelassen hat - und das möchte ich gar nicht auf die rechtspopulistischen Großmeister der substanzlosen Verschlagzeilung beschränkt sehen; das geht tief rein in viel ältere und üblere Klischees.

Zuerst war das die Pauschal-Verdammung der Jungen, ihrer digitalen Welt und ihrer anderen Art zu kommunizieren. Constantinis erste Monate waren von den Untergriffen, die Politik, Medien und Gesellschaft sich der jungen, digital fitten und deutlich kommunikationstüchtigeren Generation gegenüber erlauben, um sie okönomisch am prekären Rand zu halten, gekennzeichnet.

Mittlerweile soll er das Mail-Schreiben beigebracht bekommen haben. Und benützt die Jungen jetzt anders: nicht mehr als ostentative Sündenböcke, sondern als Dauer-Ausrede für Unbelehrbarkeit, die ihm, dem netten Papa, so sauer aufstößt.

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Dann war es der Blut&Boden-Heimat-Diskurs, die pauschale Verdammung aller Legionäre, die um nix besser wären als die auf der heimischen Scholle, am Luis-Trenker-Berg aufgewachsenen kernigen Berschen. Die von Xenophobie und Auslands-Hass gut getränkte Volksseele nickt das gerne ab.

Auch hier folgte der notgedrungene Rückzieher: Ohne die Legionäre, also diejenigen, die in die echte Fußball-Welt rausgehen und dort lernen, was alles möglich ist, geht es nicht.

Trotzdem bleibt der Anti-Ausländer-Dünkel immer da, subkutan, und bricht immer dann, wenn es genehm ist, wieder aus. Denn diese verdächtigen Subjekte bringen jedesmal, wenn sie heim zum ÖFB-Kader kommen, Wissen mit, und das braucht das Trainerteam nicht.

Wenn dann vom "Kulturschock" die Rede ist, den gut geführte Spieler in großen Ligen erleiden, wenn sie sich Anweisungen bar jeder Substanz (und eben gar keine Taktik) von Constantini oder Zsak abholen - dann ist das eine Bedrohung, der man nur durch das neuerliche Aufkochen dieser Suppe entgegnet, dem "Fremden" gegenüber "vorsichtig" bleibt.

7

Zwischendurch war dann auch die machoide "Des is jo koa echter Mann"-Diskussion im Spiel. Akteure wie Ivanschitz, Ibertsberger, Leitgeb oder Korkmaz wurden persönlich verunglimpft, alles nur andeutungsweise, weil sie zu weich, zu sensibel, zu 'wenig männlich' wären.

Angesichts eines Messi, großer Teile der deutschen Nationalmannschaft, eines Cristiano Ronaldo oder der spanischen Super-Zwerge ist das natürlich lächerlich hoch drei - in Österreich kommt man mit homophobem Dreck aber immer gut an. Kann Herr Lauda bestätigen.

Constantini hat auch, wohl instinktiv, auf die wichtigsten Mittel der politischen Populismus zurückgegriffen: das Abfeiern der eigenen Borniert- und Dummheit, den Stolz auf Nichts-Wissen, das Hoch auf Nicht-Denken, die anti-intellektuelle Komplett-Verweigerung der Analyse.

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Mit diesem Trick führen große Teile der Parteien (nicht nur die Rechtspopulisten, die das erfunden haben) und des Medien-Boulevards (der die hasenfüßigen 'Qualitätsmedien' da längst mitgenommen hat) die Bevölkerung am Nasenring durch das potemkinsche Dorf einer österreichischen Zivilgesellschaft. Wer sich dergestalt zum braven, reflexhaft reagierenden Teil eines "Genau, Oaschlöcha, olle!"-Mobs umerziehen ließ, dem muss auch Constantinis Art gefallen.

Taktik?
Überschätzter Unsinn.

Substanzielle Maßnahmen?
Wozu, wenn man mit einem Schmäh, der für eine Schlagzeile reicht, eine bessere mediale Wirkung erzielen kann!

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Engagement für den Sport, das Spiel, das ÖFB-Team?

Warum, wenn die statistische Schönung auch genügt.
Denn darum geht es dem Teamchef Constantini in erster Linie: um den Teamchef Constantini, um dessen Bilanz. Dafür zitiert er - falsche - Vergleichs-Statistiken (und muss sich von Journalisten live vorführen lassen), deshalb setzt er Testspiele nur daheim an, deshalb ist ihm aktuell nur wichtig, nicht sechsmal hintereinander verloren zu haben. Fünfmal, das geht sich aus.

Als jüngsten populistischen Gimmick zaubert Constantini jetzt auch noch die Ausländer-Karte aus dem Hut. Die Ausländer-Kids, die Yugo- und Türken-Bande nämlich war schuld an den Niederlagen gegen Belgien und die Türkei, eh klar.

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In dieser Frage kann er sich sicher sein: da hat er alle auf seiner Seite - da ist unreflektierte Stimmungsmache auch längst nicht mehr das Privileg von Haider/Strache, sondern massiv mehrheitstauglich. Im Sog dieses Dauer-Diskurses einer zutiefst fremdenfeindlichen Gesellschaft schwimmt es sich bequem.

Das was Dietmar Constantini, der ÖFB-Teamchef, da im tiefen Tal des Populismus über die letzten Monate angesammelt hat, ist nur das Resultat dessen, was sich gesellschaftlich abspielt - ein reiner Spiegel der Meinungslage und der österreichischen Gefühligkeit.

Das was der scheinbar reine Tor, bei dem es ja "nur um Sport" geht, hier vorzeigt, ist ein Symptom.

Das Symptom dafür, wie tief drinnen all diese nonverbalen, imbezilen und hochgefährlichen Diskurse bereits in allem, auch in den scheinbaren Nebenschauplätzen drinstecken.