Erstellt am: 8. 6. 2011 - 10:32 Uhr
Das Tier in mir
Was schlummert hinter scheinbar aufgeräumten Fassaden? Träumt der höflich grüßende Bursche hinter dem Bankschalter insgeheim von wüster Selbstverschwendung? Ist der gut gelaunte Arbeitskollege womöglich einer, der sich unter dem Einfluss gewisser Substanzen in eine sabbernde Bestie verwandelt?
Lässt sich die schüchterne Bekannte vielleicht im Vollrausch auf Dinge ein, die verschwitzten Männerphantasien entsprechen? Und brodeln nicht auch unter der Oberfläche des aufgeklärten, mit Vernunftargumenten um sich schmeißenden Indie-Pärchens destruktive Fantasien? Wer sind wir überhaupt: das der Funktionalität unterworfene Tagwesen oder die triebgesteuerten Kreaturen, die in nächtlichen Rauschmomenten zum Vorschein kommen?
Komödienklamauk hin oder her, um solche nicht unexistentiellen Fragen dreht sich im Grunde die ganze Faszination rund um die "Hangover"-Filme.
Da passt es dann punktgenau, dass an einer zentralen Stelle des zweiten Teils Johnny Cash den inneren Schweinehund beschwört. "The beast in me", singt der Godfather des Country, "is caged by frail and fragile bars, restless by day and by night, rants and rages at the stars".
Warner Bros
Jedenfalls ist es abermals passiert. Das Wolfsrudel erwacht mit einem kollektiven Brutal-Blackout. Schon wieder befinden sich der Feschak Phil (Bradley Cooper), der biedere Stu (Ed Helms) und Übernerd Alan (Zach Galifianakis) in einem unbekannten Hotelzimmer, der Kopf explodiert, der Magen gibt auf. Das ist allerdings erst der Anfang.
Vor zwei Jahren fanden sie am Tag nach einem ähnlichen Totalabsturz einen Tiger im Badezimmer und ein Baby im Schrank. Es folgte eine verkaterte Odysee durch Las Vegas, um einen abgängigen Bräutigamfreund zu finden.
Jetzt liegt ein abgeschnittener Finger im Zimmer, Stu hat ein Tattoo mitten im Gesicht, ein geheimnisvoller Affe kreischt und draußen wartet das kochend heiße Bangkok.
Dabei hat alles erneut harmlos begonnen. Zahnarzt Stu ist es diesmal, der seine Kumpels zu seiner Hochzeit einlädt, die im fernen Thailand zelebriert werden soll. Junggesellenparty ist keine geplant, die grauenhaften Erlebnisse aus "The Hangover" sollen sich schließlich nicht wiederholen. Aber Regisseur Todd Phillips gönnt seinen Mittelstandstrotteln natürlich keinen Frieden. Und nach ein paar harmlosen Flaschen Bier nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Warner Bros
Wer jetzt weniger ein erfrischendes Sequel als einen simplen Neuaufguß vermutet, liegt richtig. Nach dem unglaublichen Erfolg des Originals wollten die Produzenten anscheinend völlig auf Nummer Sicher gehen. Aufgepeppt mit unnötigen Autoverfolgungsjagden, Actionelementen und einer Überdosis fernöstlicher Klischees werden in "The Hangover 2" die vertrauten Devastierungs-Szenarien abgespult.
Bemerkenswert ist dennoch, wie weit sich Todd Phillips, im Bemühen den Vorgängerstreifen zu toppen, an die äußeren Ränder des Mainstreamkinos wagt.
Ein strenger Geruch von Blut, Sperma und Erbrochenen scheint über vielen Szenen zu hängen, die Abgründe des Mannseins werden ausgiebig erkundet. Abgesehen von einigen befreienden Lachern, die sich fast ausschließlich Zach Galifianakis verdanken, wirkt der Film bisweilen wie die "Hostel"-Version einer Komödie.
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Diese Radikalität im "Vice"-Magazin-Sinn beeindruckt durchaus, auch wenn der Humor oft auf der Strecke bleibt. Wirklich verstörend ist aber, dass "The Hangover 2" - Achtung, milder Spoiler - letzlich in ein gänzlich ungebrochenes Happyend mündet.
Setzte der erste Teil auf eine irritierende Ambivalenz, wo sich das Erzreaktionäre mit dem irrationalen Exzess verbündete, hebt der zweite Streich nun das Wolfsrudel auf ein echtes Heldenpodest. Nicht nur, dass niemand letztlich Reue empfindet, trotz schwerster Verwüstungen und fehlender Gliedmaßen. Die gutsituierten Komatrinker bekommen sogar ein finales Schulterklopfen für ihre versammelten Alk-Amokläufe.
Hat Todd Phillips also den ultimativen Streifen über den Brachial-Absturz als spießbürgerliche Mutprobe gedreht, wo die Protagonisten danach in die schnöde Abgesichertheit des Alltags zurückkehren? Oder zeigt uns der einstige Punkrockregisseur eine libertine Utopie, in der das Gute und das Dämonische, die Tagexistenz und das nocturne Biest ihre Berechtigung haben?
Ich bin mir da noch unsicher, klar ist: Mit weiteren Abstürzen ist zu rechnen, der nächste Hangover kommt bestimmt. Na dann Prost.
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