Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ticket to ride"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

9. 6. 2011 - 19:03

Ticket to ride

Hab gehört in Österreich wollen sie die Bahn privatisieren. Die Briten haben damit so ihre Erfahrungen...

Die Frage aus der Redaktion in Wien klang ja ganz unschuldig: Anlässlich der Idee der Finanzministerin in Österreich, die Bahnen zu privatisieren, wollte Kollege Fiedler gern wissen, wie viel Geld durch die britische Privatisierung an die Staatskasse geflossen sei.

Schwer zu beantworten... Es scheint, als wären zwar zwischen 1995 und 1997 durch die Aufteilung von British Rail in die private Streckenbetreiberfirma Railtrack, sowie mehrere, regionale und Langstreckenbahngesellschaften 3 Milliarden Pfund hereingekommen. Gleichzeitig musste der Staat aber an jene neu geschaffenen Bahngesellschaften von Anfang an Subventionen für den Betrieb nicht profitabler Strecken zahlen, die diese Einnahmen gleich wieder auffraßen.

Mallard im National Railway Museum

Darren Hayman

Dachte, dieser Blog-Beitrag wäre eine gute Ausrede, hier einmal die Bilder zu veröffentlichen, die mein Freund Darren nach seinem Besuch im National Railway Museum auf meinem Computer geparkt hat...

Als ich Anfang 1997 nach England zog, badeten die neuen Bahngesellschaften im Geld, weil sie gerade an die Börse gegangen waren. Wer ein bisschen Kohle auf der Seite und keine politischen Bedenken hatte, kaufte Bahnaktien, schließlich hatte sich der Staat bei der von John Majors konservativer Regierung noch schnell vor Labours vorhersehbarer Machtübernahme durchgeboxten Privatisierung nach Strich und Faden über den Tisch ziehen lassen.

Die Leute, die nicht mehr lang am Ruder sein würden, organisierten sich ihr späteres Auskommen in der privatisierten Zukunft (z.B. der Ex-Verkehrsstaatssekretär Steven Norris, der sich als Chef der 2010 Pleite gegangenen, umstrittenen Bau- und Bahntechnikfirma Jarvis plc. zu großem persönlichem Reichtum verhalf).

Die ökonomische bzw. rechtliche Struktur der privatisierten britischen Bahnen ist seit der Privatisierung undurchschaubar komplex – wollen wir der Einfachheit halber einmal so tun, als wäre Wikipedia eine neutrale und verlässliche Quelle, da ist jedenfalls einiges nachzulesen.

Grundsätzlich läuft das System aber darauf hinaus, dass den Aktionären Dividenden garantiert werden, während der Staat das Bahnnetz mit Subventionen aus Steuergeldern vor dem Bankrott bewahrt. Im Gegenzug dafür verpflichten sich die Bahngesellschaften zu einem gewissen Grad an Pünktlichkeit und Verlässlichkeit bzw. dazu, die Ticketpreise für Stoßzeitenverkehr jährlich um nicht mehr als drei Prozent oberhalb der Inflationsrate zu erhöhen.

In der Praxis sieht das dann zum Beispiel so aus, dass die Bahngesellschaft, die ich verwende, nämlich Southeastern Trains, ihre Pünktlichkeitsstatistik über den Durchschnitt ihres ganzen Netzes errechnet. Mein teurer neuer High-Speed-Zug macht also mit jedem rechtzeitigen Einfahren in St Pancras das regelmäßige Zeitdefizit der in kleinen Vorstadtstationen haltenden, sogenannten „metro services“ wett, in denen die meisten PendlerInnen zur Arbeit rattern.

British Rail Logo

Darren Hayman

Lang ist's her, das britische Bahnsystem begann aber übrigens als privates Flickwerk und wurde in den Zwanzigern auf vier große Gesellschaften reduziert. Die Vereinheitlichung und Verstaatlichung erfolgte erst 1947.

Wenn ich „teuer“ sage, meine ich folgendes: Für die 100 Kilometer hin und zurück von Canterbury nach London, für die der Schnellzug dank seiner wesentlich längeren Zick-Zack-Strecke (deren Zustandekommen auch schon ein Enthüllungsdossier wert wäre) trotz über 200km/h Fahrgeschwindigkeit eine knappe Stunde braucht, würde ich per High Speed morgen um acht Uhr früh glatte €63,60 bezahlen, ab 9 Uhr 25 dagegen nur etwas mehr als die Hälfte davon. Um 10 Euro weniger kann ich dieselbe Strecke auch in zwei Stunden mit der Bummelbahn abtuckern. Pendler aus meiner Gegend zahlen für ihre Jahreskarten rund €5500, und das zahlt sich erschütternderweise immer noch aus.

Wenn euch das jetzt schon zu viel der Details wird, dann ist das durchaus Teil der Taktik, wie schon überhaupt alle nachvollziehen können, die einmal versucht haben, eine Fahrkarte für eine Langstrecke zu kaufen.

Wenn ich zum Beispiel morgen um acht Uhr früh von London nach Manchester fahren wollte, was in Kilometern etwa so weit ist wie von Wien nach Salzburg, dann kostet mich das umgerechnet €133,50 (im Vergleich zu Wien-Salzburg €47,50), 40 Minuten später dagegen „nur“ mehr €110,-.
Fahre ich in einer Woche um neun Uhr früh, sinkt der Preis auf €33,66.
Will ich dagegen schon heute Nachmittag weg, bezahle ich für dieselbe Strecke außerhalb der Stoßzeit €156,50.

Grüner Zug im National Railway Museum

Darren Hayman

Kein Wunder, dass Fahrtkosten im durchschnittlichen Haushalt bereits zum höchsten Ausgabenposten avanciert sind.
Angesichts solcher Preise fragt sich natürlich, was bloß mit dem Konkurrenzprinzip geschehen ist, das nach der Privatisierung ganz logisch zum Preisdruck nach unten hätte führen sollen.

Die Antwort ist einfach: Das fragmentierte britische Bahnnetz ist ein Netz der Monopole. Jedesmal, wenn die Lautsprecherdurchsage sich bei mir bedankt „for choosing Southeastern High Speed today“, werde ich verarscht, denn natürlich gibt es keine andere Bahngesellschaft auf dieser Strecke. Die einzige Wahl, die ich habe, ist von woanders loszufahren oder zu Hause zu bleiben.

Selbst wenn dem aber nicht so wäre, müssten die Konkurrenten noch dasselbe Schienennetz verwenden. Und das gehörte bis zum Jahre 2002 der Firma Railtrack, die nach ihrer Gründung als Vermieterin der Strecken zunächst einmal ihre Aktionäre ganz schön reich machte und dann ihre Aufgaben weitgehend an billigbietende Vertragspartner (wie etwa Steven Norris' Firma Jarvis) delegierte, die eifrig weiterdelegierten, bis niemand mehr wirklich zuständig war.

2000 kam es nahe Hatfield, nördlich von London zu einer Entgleisung mit vier Todesopfern und 70 Verletzten. Railtrack musste zugeben, das schon unter British Rail verwahrloste Netz in den paar Jahren seines Bestehens aus wirtschaftlichen Gründen mangelhaft gewartet zu haben, die nötigen Erneuerungsarbeiten bedurften einer enormen staatlichen Finanzspritze, Railtrack ging trotzdem pleite (unter Klagen der Aktionäre, die sich deshalb vom Staat betrogen fühlten).

Das Schienennetz wurde 2002 unter dem neuen Namen Network Rail rückverstaatlicht, das Prinzip, wonach die Bahngesellschaften sich die Strecken mieten, bleibt aber dasselbe. Mit dem Resultat, dass es im Fall einer Reparatur der Bahngesellschaft billiger kommt, Busse zu mieten, als eine Ersatzstrecke zu benützen. Endlose Nachtfahrten in klapprigen alten Doppeldeckerbussen sind hierzulande eine allwochenendliche Normalität.

Kleine grüne Verschublock

Darren Hayman

Voriges Monat veröffentlichte der von der Regierung zur Analyse der britischen Bahnen beauftragte ehemalige Chairman der zivilen Flugbehörde Sir Roy McNulty einen umfassenden Report.

Seit den mittleren Neunzigern, heißt es darin, sei die Zahl der individuellen Bahnfahrten um 59% gestiegen, was gern als Erfolgsstory des Bahnnetzes gefeiert wird, in Wahrheit aber viel mit den explodierten Wohnkosten zu tun hat, die Familien an die Stadtränder und in die Provinz abgedrängt haben.

Trotz in Stoßzeiten heillos überfüllter Züge hat sich aber das Verhältnis von Kosten versus Einnahmen nicht verändert. Die von den Bahngesellschaften eingeforderten Subventionen haben sich auf rund fünfeinhalb Milliarden Euro pro Jahr verfünffacht. Laut McNulty sind die britischen Bahnen um 30% weniger effizient als in Frankreich, den Niederlanden, Schweden und der Schweiz.

Gelbe Vorderansicht von Zug

Darren Hayman

Und trotzdem sind sie bei weitem die teuersten in Europa, was sogar den privatisierungsfreundlichen, erzkonservativen Daily Telegraph bereits 2009 auf die Palme brachte - besonders lustig im Nachhinein die damalige Behauptung seitens des Verkehrsministeriums, die Inflationsrate und damit auch die Ticketpreise würden fallen. Ist nicht ganz so gelaufen.

McNulty kommt in seinem Report zwar zu dem Schluss, dass die Fragmentierung der Bahngesellschaften schuld an den steigenden Kosten ist. Als ideologischer Verfechter des Privatisierungsprinzips sieht er die Lösung aber paradoxerweise nicht in der Vereinheitlichung der Strukturen, sondern im Gegenteil in einer Reprivatisierung und Fragmentierung des Schienennetzes bei gleichzeitiger Senkung von Personalkosten (unter anderem durch Einsparung der SchaffnerInnen) und einer weiteren Liberalisierung der Ticketpreise in Richtung einer Angleichung zwischen den Stoßzeiten- und Untertags-Tarifen.

In welche Richtung diese Angleichung wohl gehen wird...

Viel Spaß also mit der Bahnprivatisierung. So wie in Großbritannien wird es auch in Österreich sicher Leute geben, denen sie was bringt.

Noch ein grüner Zug im National Railway Museum

Darren Hayman