Erstellt am: 8. 6. 2011 - 11:39 Uhr
Let M185 In
Alle Alben der Woche auf einen Blick: fm4.orf.at/albumderwoche
Flirrende Hitze und leichter Rauch steigt am Horizont auf, dort wo sich der staubige Highway ins schier Endlose zu schlängeln scheint. Oder sind das doch nur die Gitarrenverstärker von dem Wiener Quintett M185, die den milchigen Schleier vor den Augen verursachen? Alles dreht sich, als stünde man Mitten in einem grellbunten Kaleidoskop aus den 1970igern, während der Schlagzeugrhythmus sich unaufhörlich in Richtung Krautrock schraubt. Es riecht nach verbranntem Fleisch, als würde man sich nur fünfhundert Sekunden von der Sonne entfernt sich sämtlicher Kleider entledigen, um sich endlich ganz frei zu fühlen. Oder sind es die schweißüberströmten Körper, die sich zum vierminütigen Eröffnungsstück "500 Seconds From The Sun" des neuen M185 Albums exstatisch bewegen, während die Band auf der Bühne mit voller Wucht in ihre Instrumente schlägt?
Martin Stoebich
"Well she was blown out of a rocket" ... oder von der Kunst der Repetition
Von Anbeginn fasziniert mich die Vielschichtigkeit, mit der M185 ihre sehr reduzierten Songs aufladen können. Denn was sich bei den oft aus dem Jam heraus entstandenen Nummern harmonisch tut, ist im ersten Moment nicht viel. Meist sind es zwei oder drei markante Riffs, um die herum sich über die Zeit eine immer dichter werdende Atmosphäre aufbaut. Zuerst sind es ein paar Variationen hier, ein warm klingender Orgelakkord da. Dann wird mit dem wundervoll tiefschürfenden Bass das breit angelegte Fundament ausgehoben, in das mit lockerer Lässigkeit und gleichzeitig notwendiger Präzision die dickflüssigen Noisegitarren gegossen werden. All das passiert charmant unaufgeregt und steigert sich unmerklich zu einem rauschhaften Höhepunkt an dem man sich verblüfft fragt, wie man ihn eigentlich so plötzlich erreicht hat.
Katharina Seidler
Wolfram Leitner, Heinz Wolf, Alexander Diesenreiter, Joerg Skischally und Roland Reiter lassen sich viel Zeit. Repetition ist ihre Waffe gegen die Langeweile der zeitgeistigen Hörgewohnheiten. Das Rauszögern als Spannungselement, das den emotionalen Bogen über die Länge des Albums auf seine Reißfestigkeit prüft. Auch wenn mancher Song kurz davor steht auseinanderzubrechen und damit alle Druckventile in die Atmosphäre zu schleudern droht, erden sich M185 durch die klaren Strukturen, die sich wie silberne Drahtseile durch alle neun Stücke ziehen. Man kann nicht einmal sagen, dass hier clever mit Erwartungshaltungen gespielt wird, entwickelt sich doch alles einfach aus dem magischen Moment des Zusammenspiels ganz von selbst heraus. Und wenn nachgeholfen wird, dann darf und soll es auch unkonventionell sein. So entsteht die Verdichtung des Sounds bei "Space Bum Rocket Kid" nicht durch mehr vom Selben, nämlich den sechssaitigen Klangraumerzeugern, sondern durch weniger von etwas Neuem, den zuerst dezent eingesetzten Bläsersatz und schließlich im Finale laut loswütenden Saxophon.
"be an artist and get shot "... oder welche Haken das neuronale Assoziationshäschen schlägt
Das menschliche Gehirn ist eine seltsame Sache. Vielleicht bin ich auf M185 deshalb so überraschend tief hineingekippt, weil mein Assoziationshäschen bei jeder Nummer angefangen hat, munter drauflos zu rennen, um im neuronalen Geflecht jenes Gehirnteils, der für die Abspeicherung der musikalischen Sozialisation zuständig ist, mit meinen Erinnerungen Fangen zu spielen. Während "The Big White Light" hat es eine wundervolle Strophensequenz von Nada Surfs "Popular" erwischt, auch wenn es die Indierockhymne gleich wieder losgelassen hat. Beim ersten Quietschen des Saxophonsolos in Verbindung mit den verzerrten Gitarren ist das Häschen fast mit Soundgardens "A Room A Thousand Years Wide" zusammengestoßen. Hinter mancher Rhythmusecke steht Thurson Moor und stellt mit dem Hals seiner Gitarre dem weißen Wuschel ein Bein. Und als mir dann "The City And The Beat", mein gleich von Anbeginn auserkorenes, absolutes Highlight, die Gänsehaut den Rücken runterjagen lässt, stolpert das kuschelige Schmusetier über Blumfelds "Verstärker", das in ähnlicher, Hochstimmung erzeugender Weise eine flirrende Leichtigkeit vermittelt.
M185
Doch so ganz traue ich meinem karottensüchtigen Nager nicht, schließlich ändern M185 in besagtem "The City And The Beat" überraschend einfach das Tempo und hebeln damit jegliche Assoziation aus. Außerdem bezieht sich Wolfram Leitner auf textlicher Ebene sowieso auf einen anderen Ausgangspunkt, der vielleicht auch einige der aufgezählten Referenzen verbindet, nämlich auf die New Yorker Kunstszene der 1960iger, die Factory und Andy Warhol. Wobei das darauffolgende, schön dahinschwebende "V.S." nur oberflächliche Erfüllung und Sicherheit vermittelt, befasst es sich doch mit jener tragischen Figur, die mit drei Schüssen die Kunstwelt um Warhol für immer verändern sollte: Valerie Solana. Aber es finden sich auch sehr persönliche Geschichten auf "Let The Light In", die laut Wolframs lapidarer Antwort sich mit dem Niedergang der Welt, Beziehungen und nicht zuletzt der Liebe beschäftigen.
Martin Stoebich
Doch die Assoziationen hören nicht auf. Manche vertragen sich gut mit der Realität, wenn zum Beispiel Wolfram Leitners hypnotischer Sprechgesang an den großen Lou Reed denken lässt. Andere fühlen sich da eher wie synaptische Kurzschlüsse an, die durch den Albumtitel ausgelöst plötzlich vier Stuttgarter "Lass die Sonne rein" rappen oder verliebte Pärchen mit wallenden Hippiekleidern und Blumen im Haar über die Golden Gate Bridge wandern lassen. Egal was es ist, dass einem in den fünfundvierzig Minuten durch den Kopf schießt, M185 machen mit "Let The Light In" den Raum dazu auf, bieten allen Gedanken und Gefühlen eine große Bühne, stecken einen mit ihrer Euphorie an, die den Fünfer zu einer absolut großartigen Liveband macht und verleitet damit jeden, Teil der schönen M185-Party zu werden, bei der man die Nacht wirklich durchtanzt bis die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster gelassen werden.
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