Erstellt am: 6. 6. 2011 - 16:27 Uhr
Journal 2011. Eintrag 110.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der Wiederentdeckung einer alten Leidenschaft, samt Querschlägern/verweisen auf verklärende Gefahrenmomente.
Ob das eher was mit den Genen, dem Instinkt oder der Sozialisition zu tun hat, weiß ich nicht. In jedem Fall lauert die größte Gefahr für die spirituelle Weiterentwicklung des Menschen in ihm selber. Und zwar in dieser "So leiwand wie früher wird's nimmer!"-Ansage, mit der Nostalgie, Verklärung und Rührseligkeit von einer Gefühligkeit zu einer realen Kraft hochgequatscht werden.
Die Falle schnappt gern und unbarmherzig zu; vor allem bei Dingen, die man stark mit dem Gefühl der Jugendlichkeit verbindet; Musik vor allem. Die vielen Beatles-, Hendrix-, Nirvana- oder BobMarley-Faschisten, die einem so gern davon erzählen, dass seither ja "nix besseres mehr" gekommen wäre - arme Opfer eines großangelegten Selbstbetrugs, der die eigene Jugend, die eigene Kraft und verblassende Großartigkeit konservieren will wie Futurama abgeschnittene Promi-Köpfe.
Glücklich ist, wer diesem Schicksal der Massen, dieser Hinwendung zur dümmlichst-vorstellbaren Reaktion, entkommt. Und, nein, nur weil ich das Glück habe dass mir das in den üblichen Popkultur-Bereichen nicht passiert, heißt nicht, dass ich da immun wäre.
"Nachher ist ja nix wirklich Wichtiges nachgekommen"
Es gibt zwei Sparten, in denen ich diese Lächerlichkeiten auch von mir gebe (und mich dann wirklich wundern muss, wie sehr ich an die Richtigkeit glaube): der Formel I-Rennsport, der für mich mit dem Tod Ayrton Sennas endet.
Seither gibt es nur noch lahme Heulsusen und Spielzeug-Lenker, die sich mit der zentralen Frage dieses irrsinnigen Im-Kreis-Fahrens (Überlebe ich das Rennen?) nicht mehr auseinandersetzen müssen. Seit der Tod draußen ist, aus der Formel I, und sie sich nicht mehr ums Existenzielle sorgt, lebt sie nicht mehr.
Das andere Beispiel ist der Tennis-Sport.
Oder besser: war der Tennis-Sport.
Ich habe als Kindlein, ganz am Rande, noch die Dominanz der großen Australier gespürt, Sammelbilder von Laver, Emerson, Rosewall, Roche und Newcombe gestreichelt, bin dann mit Arthur Ashe, Ilie Nastase und Stan Smith mitgewachsen und habe die Phase der langhaarigen Freaks und der vielen anderen Spinner der 70er Jahre als Verhaltens-Vorbild inhaliert: die verschleppte Coolness von Björn Borg, die jaulende Wut von Jimmy Connors, die elegante Poesie des Guillermo Vilas, die harsche Arroganz des Vitas Gerulaitis und natürlich die totale Entgrenzung des John McEnroe, dieses dauerköchelnden Vulkans, der Geniestreiche mit wilden Auszuckern mischen konnte wie ein entfesselter Rockstar bei seiner besten Bühnen-Performance.
Das war großes Tennis, große Kunst und großes Kino.
Und weil die weltbesten Tennisspieler immer schon wie ein Zirkus gemeinsam um die Welt zogen, also sehr frühe globalisierte Artisten waren, schwangen mit den Leistungen am Platz auch immer die persönlichen Beziehungen der Gladiatoren mit. Wenn etwa das überragende Herren-Doppel Hewitt/McMillan, eine fast clownesk anmutende Paarung aus Südafrika den Court betrat, dann kreischten die Menschen vor Glück, weil sie wussten, hier Tagesbefindlichkeiten vorgeführt zu bekommen.
Diese Truppe, angeführt von den Big 5, versprühte massenhaft rebellisches Potential und das als Quasi-Boy-Group, mit einer klar unterscheidbaren Charakter-Zuschreibung, die nicht gecastet, sondern real erschien. Diese Truppe wurde geliebt.
In den 80ern wich die Liebe dem Respekt.
Respekt vor Ivan Lendl, dem sägespänereibenden Tschechen, der sich so sichtbar so strark bemühte; Respekt von den eiskalten Schweden, Stefan Edberg aber auch Mats Wilander, Respekt vor Riesenbaby Boris Becker. Nur noch der zuspätgeborene Yannick Noah, der Lenny Kravitz des Tennis, stach noch heraus.
In den 90ern waren es die Amerikaner, Courier und Chang, Agassi und Sampras, die die Weltherrschaft unter sich aufteilten - aber im Gegensatz zu der australischen Monokultur der 60er fehlte da was: der höfliche, irgendwie nach britischen Zeremoniell getunte Tennissport der früheren Jahre war einem Business gewichen, dass zu sehr an Anstrengung und Börsenspekulation erinnerte.
Als das Boyband-Tennis dem des Business wich...
Ich habe kurz meine Hoffnungen in die "Katze" Miloslav Mečíř gesetzt. Als der 1990 26jährig wegen einer Verletzung zurücktrat, wars irgendwie vorbei.
Mitte der 90er, just als sich der Court-Arbeiter Thomas Muster in der Weltspitze etablierte, brach das Star-System dann endgültig zusammen. Jeder konnte für 15 Minuten die Nummer 1 der Welt sein, und keiner zeigte sich würdig.
Ich bin ausgestiegen, auch wenn sich dann in der Folge Österreich plötzlich als Tennis-Nation gerierte. Vielleicht auch, weil die mediale Berichterstattung über einen Sport, der es jedem Journalisten eigentlich leichtmacht, wirkliches Häusl-Format hatte, sich ausschließlich in Unterhosen-Farben und noch tiefergehender Schleimerei erschöpfte, aber nie substanziell in den Sport, seine Faszination, seine Taktik und Strategie beleuchtete.
Und weil es weltweit ja auch anderes zu tun gibt, habe ich das große Kino Tennis seither nicht vermisst. Und die seither stattfindenden Veränderungen dann nur am Rand mitbekommen.
Bienvenue à Roland Garros
Diese vagen Schatten sind erst in der letzten Woche, beim nach einem WeltkriegEins-Flieger benannten French Open, zu richtigen Figuren geworden. Dabei sind sie schon seit Jahren dauerpräsent als einige der weltbesten Sportler überhaupt: Roger Federer, der König der Schweizer, Rafael Nadal, der wahre Herrscher von Mallorca und Novak Djokovic, der lauernde Kronprinz.
Nur: Wenn man sich einmal dazu entschlossen hat, dass "eh nix besseres mehr" nachkommt, dann kann man schon eine beharrliche Ignoranz aufreißen.
Diese Mauer der Dummheit ließ sich in den letzten Tagen sehr schön niederreißen. Zuerst zufällig ein paar Punkte anschauen, die Rafa, Federer oder der Djoker in den Vorrundenspielen so machen...
Dann auch noch in Eurosports "Game, Set an Mats" geraten, die Experten/Analyse-Show in der mir dann der alte Mats Wilander erklärt, warum diese drei Burschen jeder auf ihre Art genial/einzigartig, aber auch verwund/besiegbar sind und worauf es ankommen könnte...
Dann Federers unglaubliches Match gegen den 41 Matches lang unbesiegten Djokovic, der endlich den Nummer 1-Slot erreichen will, und sein Sieg - der dem alten, nicht mehr ganz so mit allem um sich werfenden John McEnroe seinen 42er-Ewigkeits-Rekord rettet...
Und dann das Finale, in dem Nadal, der Sand-Gott, Federers Attacke schon im ersten Satz niederringt, und so den Paris-Sieg-Rekord der alten Gottheit Björn Borg egalisiert...
... und wieder wird eine Geschichte erzählt ...
Das alles mit Spielen, mit Schlägen, mit Bällen, die von einer Wucht, einer Eleganz, einer Getriebenheit, einem Spielenmüssen erzählen, das mir wieder eine Geschichte erzählt. Eine Geschichte über die Würde eines Sports, die sich in den 90ern für mich verloren hat.
Dass es diesmal nur drei und nicht wie in den 70ern fünf oder mehr grandiose Figuren sind, die den Center Court wieder mit Leben erfüllen - halb so wild. Das wird vielleicht noch. Monfils und Tsonga find ich gut.
Die Würde haben auch Teile der Medien zurückgebracht - was die Schweizer Presse/TV aus dem Geschenk Federer gemacht hat, ist (ganz im Gegensatz zur peinlich ins Out volleyierten Muster-Chance) aller Ehren Wert. Und wie immer liegt in der Betrachtung des Details die ganze Welt in der Nussschale.
... auch von Frau Schett
Immerhin ist auch eine Österreicherin dran beteiligt: die Innsbruckerin Barbara Schett ist Teil des Eurosport/Game-Set&Mats-Teams: Sie schätzt ein, interviewt, liefert lustige Aktionen und macht aus ihrer erfrischend offenen Sichtweise keine Mördergrube, sondern lässt es raus. Da können alle, und zwar wirklich alle AnalytikerInnen einpacken. Was wohl damit zu tun hat, dass Schetts Sicht nicht national begrenzt wird - ein Fanal mit dem sich viele Ex-Sportler, die für heimische Medien berichten/analysieren, herumschlagen. Die trauen sich dann nix, wassern herum, wollen niemandem wehtun und sagen damit dann genau gar nix, was nicht jeder Depp eh selber weiß. Zudem sind wirkliche Strategie-Analysen, wie sie Schett oder Wilander laufend abliefern, gar nicht erwünscht - da ist das Publikum ja zdeppert dafür, heißt es.
Aber egal, ab 20. Juni, und mitten hinein in die Affenhitze des Juli, kommt Wimbledon.