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Sammy Khamis

Are you serious...

6. 6. 2011 - 12:47

We are all Khaled Said

Mit dem Tod von Khaled Said vor genau einem Jahr begann die ägypische Revolution.

Revolutionen bringen nicht nur neue Ordnungen mit sich. Sie bringen auch Gesichter, Bilder, Namen. Was aber bringt der Tod mit sich? Leere, Trauer, Erlösung? In dem Fall von Khaled Said brachte der Tod die Revolution mit sich. Das Umdenken, die Energie, die es braucht, um sich zu erheben. Heute vor einem Jahr, am 6.6.2010 wurde der damals 28-jährige Khaled Said auf offener Straße von zwei Polizisten zu Tode geprügelt.

Khaled Said

facebook/weareallkhaledsaid

Khaled Said

Die Revolution, die sich am 25. Januar 2011 formierte und am 11. Februar mit dem Rücktritt Hosni Mubaraks ihr (vorläufiges) Ziel erreichte, keimte bereits, als der Tod Khaled Saids bekannt wurde. Der Tod Saids, der nur wegen des Vergessen seines Ausweises von den Polizisten abgeführt wurde, wirkte damals wie ein Wendepunkt im Denken und Handeln weiter Teile der ägyptischen Gesellschaft. Die Polizei, der Staat, die Regierung hatten eine Grenze überschritten. Eine so gewichtige, unsichtbare Linie, dass es kein Zurück mehr gab. Denn die Regierung Mubarak konnte sich unter anderem deshalb so lange in Ägypten halten, weil sie sich auffallend aus dem Privatleben der Ägypter heraushielt. Doch in den letzten zehn der dreißig Regierungsjahre von Hosni Mubarak verteilte sich die Macht vom Zentrum des Präsidenten immer weiter in die Peripherie des Polizeistaates. Selbst die untersten Polizeihauptmänner verhielten sich wie gottgesandte Richter. Beispielhaft steht der Tod Khaled Saids dafür, für Willkür und Machtgier.

Comic mit khaled said und mubarak

Carlos Latuff

Mit der Ermordung eines Unschuldigen formierte sich erster Widerstand. Auf Facebook wurden Events gegründet, die an Khaled erinnern wollten. Diese Events besuchte die ägyptische Jugend (shbab masri). Aber auch die Polizei. Bereits im Sommer wurden viele politisch aktive Personen verhaftet, befragt, eingesperrt.

Was hat sich in dem halben Jahr zwischen dem Tod Khaleds und der Revolution im Januar verändert? Gewalt und Einschüchterung griffen in den Mechanismen der ägyptischen Gesellschaft nicht mehr. Trotz der willkürlichen Gewalt und dem anhaltenden Verschwinden politischer Gegner drehte sich die Dynamik der Einschüchterung nicht weiter. Die Januar-Revolution begann bereits letzten Juni: Mit dem Ablegen der Angst. Und damit ist nicht ein Unwohlsein gemeint, sondern eine existentielle Angst, die Angst vor dem Verlust des eigenen Lebensunterhaltes, des eigenen Lebens. Damit war der erste Grundstein der Neuausrichtung Ägyptens gelegt. Der zweite bestand in der Vorgehensweise der Polizei.

ägypten

Sammy Khamis

Beginnend mit der Ermordung Khaleds brach die Exekutive wiederholt und brutal gesellschaftliche und religiöse Verhaltensweisen. In einer Region, in der Mord keine Todsünde ist, ist er auch zu rechtfertigen (siehe Osama bin Laden). In einem Land, in dem die Verantwortung für den Nächsten jedoch so hoch ist wie in Ägypten, ist die Verletzung eines Unschuldigen bereits ein tiefgreifendes Verbrechen. Ein Mord steht außerhalb des Spektrums des Denkbaren. Noch dazu in Alexandria, Khaleds Heimatstadt, die wohl eine der sichersten Städte dieser Größe weltweit ist.

Khaled Saids Porträt, das eines gepflegten jungen Mannes im grauen Sweatshirt begleitete die Revolution, trieb sie an. Die Polizeigewalt, die vor einem Jahr Khaled das Leben kostete, überschattete auch die Revolution. Khaled mahnte; die Polizei schändete Moscheen, Menschen, Seelen. Khaled Saids Porträt wurde zum Bild der Revolution. Sein Tod steht sinnbildlich für die Leiden Ägyptens unter Mubarak. Er steht auch für die vielen Toten während der Ausschreitungen am 28. Januar. Aber wir sind alle Khaled Said. Wir alle sind das neue Ägypten. Das ohne Mubarak. Das mit Perspektiven und Zukunft.