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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

6. 6. 2011 - 13:05

Heute wird wie Gestern sein

Springfestival Tag Viereinhalb: FM Belfast, Apparat, Yelle und mehr. Gute Nacht!

Alles rund ums Springfestival auch unter fm4.orf.at/springeleven.

Irgendwann am Sonntag Nachmittag oder Abend - hier variieren die Informationen - ist das Springfestival in Graz zu Ende gegangen. Was für die drei Tage davor wahr war, ist auch in der Nacht von Samstag auf Sonntag gültig: Das Programm ist üppig und durchmisst mit Ahnung und Verständnis diverseste Spielarten elektronischer (im allerweitesten Sinne) Musik und unterschiedlichste Niveau-Levels, andererseits jedoch ist die Verteilung der Acts und die Auslagerung der vermeintlich größeren Namen in zu große Hallen vielleicht mit etwas unglücklichem Händchen geschehen. Das mag logische und logistische Gründe haben, hat dem Spring aber dieses Jahr einen kleinen Funken seines alljährlichen Zaubers genommen. Wer aber wird sich beklagen wollen, dass es zuviel von etwas gibt?

FM Belfast

Philipp L'heritier

FM Belfast
FM Belfast

Philipp L'heritier

Das Line-Up in der Stadthalle ist wie gestern schon auch an diesem Tag exquisit, wenngleich auch möglicherweise leicht zu speziell, um die ganz gewaltigen Massen zu locken. Die Halle ist seit Freitag noch größer geworden. Nach den Grazern Le Tam Tam steht die wunderbare, vergleichsweise wenig bekannte isländische FM Belfast auf der Bühne. Eine Band, die auf Tonträger sehr fein zwar, dennoch etwas abgenutzt die Klischees von Niedlichkeits-Pop mitsamt Wald- und Wiesenelektronik und möglicherweise des Genres "Island" bemüht, in der Live-Darreichung die ganze Angelenheit jedoch über den elektrofizierten Party-Kamm zieht und mit Versatz-Stücken von Piano-House und Großraum-Rave würzt. Fast schon meinte man, man hätte Mobys "Feeling So Real" vernommen. Stattdessen gibts eines der uncoverbarsten Stücke der Welt, "Killing In The Name" von Rage Against The Machine, in der FM-Belfast-Variante. Das ist zwar alles etwas über die Maßen "ironisch" gemeint, dennoch aber immer in musikalischer Hinsicht durchgehend so gut gemacht, dass man erkennen muss, dass hier keine Band am Werk ist, die sich im öden Augenzwinker-Joke genügt. Sängerin und Sänger übertrumpfen sich in humoristischen Shout-Outs, die Beats purzeln gar putzig aus den Geräten, in Zuckerwatte versponnene Atari Teenage Riot. Gegen Ende unterstützt ein Herr von Sizarr FM Belfast an der Kuhglocke, weitere unbekannte Gäste tanzen über die Bühne, ganz am Schluss zieht der Sänger seine Hose aus. Nur die Überhose.

Apparat

Philipp L'heritier

Apparat
Apparat

Philipp L'heritier

Sascha Ring = Apparat
Apparat

Philipp L'heritier

Eine bislang seltene Darbietung darf danach erlebt werden: Apparat mit Band. Der Berliner Musiker Sascha Ring ist mit seinem Projekt Apparat bislang mit sweet rumpelnder Emo-Elektronik für die Labels Shitkatapult und BpitchControl sowie für seine Teilnahme an der elektronischen Super-Boy-Group Moderat (mit Modeselektor) auffällig geworden ist und hat vergangenes Jahr einen ohne Übertreibung fantastischen Beitrag zur ohnehin meist formidablen DJ-Kicks-Reihe geliefert. Live ist zunächst - ähnlich wie zuletzt bei Caribou - die Tendenz zur ungewöhnlichen Instrumente-Aufstellung, die eher Kooperation denn Hierarchie, also Freigeistigkeit denn Rocker-Spießigkeit signalisieren soll, zu bemerken. Ein Quartett, im Halbkreis arrangiert, Schlagzeug schräg vorne. Die Musik - es werden fast ausschließlich neue Stücke gegeben - ist dem altbekannten Sound von Apparat nicht unähnlich, jedoch zu weiten Teilen von Elektronik bereinigt - das Poltern und Knistern aus dem Rechner wird hier meist von den Drums nachgestellt. Klar stehen hier die klingenden Soundwände des Shoegaze und mittelfrühe Radiohead, als noch echte Songs geschrieben wurden, Pate. Sehr schön ist das, kommt aber in seiner Schmerzenspose mitunter gefährlich in die Nähe von Coldplay oder den "elektronischen" U2. Eine Kollegin fühlt sich eher an die Weinerlichkeiten eines Maximilian Heckers oder gar Polarkreis 18 erinnert. Falls man es übelmeinen möchte mit dem guten Herrn Apparat, dann kann man das sicherlich auch so sehen.

Yelle

Philipp L'heritier

Fever Ray waren nicht da, dafür aber Yelle
Yelle

Philipp L'heritier

Das französische Trio Yelle, das so heißt, wie seine Sängerin sich nennt, ist eine sogenannte Partyband. Zwar wird hier an der Oberfläche von Synthie-Pop und einer plakativen 80er-Haftigkeit gearbeitet, nebenbei aber auch gute Songs geschrieben. Zudem wird an zwei (manchmal gar drei) Trommeln vestärkt die funky Rhythmus-Komponente betont, und sympathischere Menschen als die von Yelle hat man ohnehin selten gesehen. Die Kostümwechsel der Sängerin und ihre Bühnenansagen tun ihr Übriges.Vom aus dem Duschvorleger geschnittenen Zottelmantel gehts hinein in den Catsuit: "Graz, wie gehst du?"

Noch einmal Party-Hopping: Vertrauenswürdige Quellen berichten von sehr guten Jungle Brothers im gut gelaunten Dom, derweil beglücken die allesamt feinen Brandt Brauer Frick, Tensnake, Portable (immerhin aktueller GROOVE-Coverstar) und die 2 Bears, ein Projekt von Hot-Chip-Goddard, das etwas mau gefüllte und mau aufgelegte ppc. In der Postgarage jedoch ist schon wieder Karneval in Rio bzw. Berlin: Eine Zusammenarbeit der Wiener Pratersauna und des Berliner Hipster-Abenteuer-Spielplatzes Bar 25 sorgt für volles Haus und gröbste Endorphine. Wer hier gerade irgendwo auflegt, muss man nicht wissen, Hauptsache Berlin. Dirty Doering spielt aufgebrezelten Polka-Techno, wie ihn Jesse Rose oder Noze vor fünf Jahren schon ausgiebig gemolken haben - aber wer will so einen theoretischen Quatsch um 6 Uhr morgens, wenn die Party rockt, schon wissen! Sollte man auf die Idee kommen, um diese Zeit schon nachhause zu gehen, gehört man zu den Frühen. Es gibt noch eine Afterhour, und irgendwo noch eine. Draußen wird man vom Sonnenlicht bestraft. Im Park vor der Postgarage schieben junge Männer junge Frauen in Einkaufswägelchen durch die Wiese. Da sieht aus, als würde es sehr viel Spaß machen. Allen.

Portable

Philipp L'heritier

Portable
Dirty Doering

Philipp L'heritier

Dirty Doering
Party

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