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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

6. 6. 2011 - 17:37

There’s A Tear In My Beer

New Yorks abgerockteste Dive Bar, die Mars Bar im East Village, schließt ihre Pforten. Ein Lokalaugenschein mit Hangover-Folgen.

Gamble Guides

Ben Westhoff 'New York’s Best Dive Bars: Drinking And Diving In The Big Apple‘ (erschienen bei: Gamble Guides).

Meine Top 5 Dives in NYC

Alibi Bar - 247 Dekalb Ave, Brooklyn "has it all" - Pool Table, bestens sortierte Jukebox und extended happy hours.

Doc Holliday's, 141 Ave A, East Village - Rock'n Roll heaven aber Fratboy Alarm.

Vazac's Horseshoe Bar aka 7B, 108 Ave B, East Village - Sportsbar, Arcade Games, Heavy-Jukebox (von Ramones bis Slayer), Film-Location für The Godfather II

The Charleston, 174 Bedford Ave, Brooklyn - one drink, one (free) pizza.

Mars Bar - RIP

Disclaimer: Don't do this at home

"Into these last nine beers
I have shed a million tears.
You are on my lonely mind
I'm gonna keep drinkin'
until I'm petrified."

Hank Williams 'There Is A Tear In My Beer'

Mars Bar, New York

Christian Lehner

"We don’t serve good beer here", sagt die Kellnerin. Trotzdem nimmt sie 6 Dollar für die kleine Flasche. Immerhin geht die dritte Runde aufs Haus. Ich bin mit Rokko gekommen, der sich zwecks Feldforschung in der Stadt befindet. Rokkos Studienausflüge führen ihn regelmäßig in die Mars Bar an der 2nd Avenue nahe der Houston Street – auch eine Art cultural studies. Als ich noch im East Village gewohnt habe, war ich öfters hier. Doch was sind Erinnerungen? Hier kehrt man ein, um zu vergessen.

Mars Bar, New York

Christian Lehner

Mars Bar, New York

Christian Lehner

Rokko kennt mittlerweile das Personal vor und hinter dem Tresen. Links vom Vietnam-Veteranen mit dem Stamm-Achterl hängen zwei Marinesoldaten ab, die von der Fleet Week angeschwemmt wurden. Ein lesbisches Pärchen treibt Schabernack mit Tequila-Shots. Die männliche Begleitung mit den wirren Haaren wirft Gläser durchs Lokal. Die Kellnerin flucht, warnt und lächelt milde. Da sausen schon die nächsten Gebinde durch die Luft. Raus! Lokalverbot für mindestens fünf Minuten! Die Pupillen des Australiers rechts neben mir weiten sich mit jedem Gang zum Klo. Er hat wohl eher keinen Blaseninfekt. Zwischendurch erzählt er von irren Taxifahrten durch New York und von seiner Hochzeit in Las Vegas "Elvis Style".

Mars Bar, New York

Christian Lehner

Noch ist die Welt in Ordnung. Noch singt Roy Orbison "Only The Lonely". Noch wankt man mit Anstand zwischen Jukebox, Bar und der nächsten Outdoor-Zigarette. Noch ist Nachmittag. Und wenn der Automat schweigt, füllt sich der Raum mit Geschichten. Die geschundene Bar kennt sie alle und trägt viele von ihnen als Tattoos auf ihrer Haut. Auch an den Wänden prangt bedingt Literarisches.

Mars Bar, New York

Christian Lehner

Die Mars Bar ist, wenn nicht die berühmteste, so mit Abstand die berüchtigste Dive Bar der Lower East Side von Manhattan. "Dives" oder auch "Watering Holes" sind Gaststätten mit zweifelhaftem Ruf, berauschendem Sortiment und einer zumeist gut sortierten Jukebox. Hunderte Dives existieren in den Five Boroughs von New York. Sie werden von heiligen Irren und bar flys frequentiert, gelegentlich auch von white collar workers nach Arbeitsschluss und eingschlägigen Touristen. In dem Buch New York’s Best Dive Bars: Drinking And Diving In The Big Apple', werden sie von Autor Ben Westhoff folgendermaßen charakterisiert:

"A dive has a stillness about it, an air that it is not driven by commerce, even if it ultimately is. It’s a place where nobody tries to “upsell” you, where temporary solutions – say, duct tape over broken urinals – become permanent. A dive embraces your inner degenerate, doesn’t judge, and doesn’t pretend that drinking isn’t the main task at hand".

Mars Bar, New York

Christian Lehner

Mars Bar, New York

Christian Lehner

Aber nicht mehr lange wird in der Mars Bar abgetaucht. Der große Hangover kommt mit der Abrissbirne namens Gentrification. Also auch diese spirituelle Heimat der Anlaufenden und Gestrandeten muss einem schicken Neubau weichen. Das CBGB, die Geburtstätte des Punk an der Bowery ein paar Blocks weiter, hat schon längst dicht gemacht. Mittlerweile ist die Lower East Side "something else".

Von Katerstimmung trotzdem keine Spur. Eigentlich wäre heute, am Ende des Monats Mai, Schlusstag, Sperrstunde. Doch selbst die Kellnerin kann uns nicht sagen, wann genau das letzte Brooklyn Lager über die Theke gereicht wird. "We'll serve till they shut us down". Die "patrons", die Nachtschattengwächse mit Tagesschlafstörung, sie werden wohl weiterziehen. Schon spricht man von einer Dive Bar jenseits der Houston Street. Auch so ein "hole in the wall" meint der Vietnam-Vet. Dann konzentriert er sich mit geschlossenen Augen auf seinen Drink. Möglicherweise ein stilles Gebet zum Abschied.