Erstellt am: 5. 6. 2011 - 11:32 Uhr
Song Zum Sonntag: Okkervil River
Der Song bringt uns nicht den Katechismus näher, wie man bei dem Titel der Kolumne glauben könnte, sondern etwas ebenso Modernes wie Heidnisches. Mythen: Der heutige Song zum Sonntag hat etwas von zu Rockmusik geronnenem Bildungsfernsehen. Gemeint ist wohl ein Mythos, der uns leitet in einer geheimnislosen Welt, so verstehe ich das.
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Hier geht es aber nicht (nur) um die modernen Mythen, Fernweh und Selbstverwirklichung und Rock und Hollywood und so, sondern auch tatsächlich um klassische. Etwa um den Fluß Lethe aus der griechischen Mythologie, aus dem die Toten trinken, um das Leben zu vergessen, bevor sie ins Reich der Schatten ziehen. Es kommt die Amethystbrücke vor, über die Betrunkene gehen und wieder nüchtern werden - die Römer haben das geglaubt und ihre Trinkgefäße aus Amethyst herstellen lassen, weil man dann vor Trunkenheit und Vergiftung geschützt sei... und so weiter.
Die Band Okkervil River ist fesch und kompetent und war schon mal davor, eine Art Bright Eyes für Jungs zu werden. Ihr Chef, Will Sheff - was für ein Name, er heißt wirklich so - ist Songwriter, Rockkritiker, hübscher Junge und ziemlich belesen. Er kann über William Faulkner, Bassverstärker, die Musik von Opal und den Peak Oil reden und dabei träumerisch durch seine Nickelbrille Anbratblicke abschießen.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
Über Okkervil River macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Wer was Gutes zu moderner Mythologie lesen will, dem sei das großartige Mythen des Alltags von Roland Barthes empfohlen, 60 Jahre alt und immer weder neu.
Ein Zwiefacher Beispiel von der oft lustigen, oft wegen der Lustigkeit unerträglichen bayrischen Band Haindling.
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Die Texaner haben sich nah einer Kurzgeschichte einer russischen unbekannten Autorin, der Urgroßnichte von Leo Tolstoi benannt, das ist schon mal recht exzentrisch, wie ich finde. Sie sind Labelmates von so einmaligen Spinnern wie dem unlängst durch Kanye West einem größeren Publikum vorgestellten Bon Iver sowie Swan Lake oder den Pink Mountaintops. Okkervil River hatten auf ihren frühen Platten exzentrischerweise dem „Zwiefacher“ zu neuer Aktualität verholfen. Ein Zwiefacher (das haben F.S.K. schon einmal John Peel erklärt) ist ein Song, der zwischen Walzer und Polka wechselt, also 1,2,3 - 1,2 - 1,2 ... von denen finden sich auf früheren Okkervil-River-Platten mehr als auf allen anderen, außerhalb bayrischer oder österreichischer Volksmusik.
Ebenso wie die Bright Eyes scheinen sie in letzter Zeit viele schlechte 80er Platten gehört zu haben, Midnight Oil und INXS und so weiter... jedenfalls wird ihre Produktion immer merkwürdiger und auf ihrer neuen hört man mehr als einmal die "Gated reverb Drums", das gewichtige Hauptargument für die Leute, die die achtziger Jahre als unästhetisch punzieren. Und so haben wir hier ein Lied von einer an sich geschmackssicher sich zurückhaltendenen „Americana“ Band, das auch auf eine Styx platte gepasst hätte. Man erinnert sich, „Boat On The River“, Mr Roboto und so, hysterisches Gejohle und bedeutungsschwerer Kitsch.
Ebenso wie Conor Obersts „Shell Game“ ist auch diese Nummer dennoch großartig. Musikalisch sind das eigentlich drei Nummern in einer und - wie man es seit Arcade Fire als amerikanische Band anscheinend machen muss - das Ganze steigert sich immer mehr, es kommt immer mehr Percussion, immer mehr Instrumente steigen ein bis zum überladenen Hauptsatz: Wir brauchen einen Mythos.
Also Hande falten und eintauchen in die bekannte und doch seltsame Welt von will Sheff und Okkervil River.