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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 6. 2011 - 16:22

Fußball-Journal '11-50.

Österreich - Deutschland revisited. Das gestrige Spiel aus der anderen Perspektive. Oder: Warum das mutlose Leben im Konjunktiv, das Teamführung und Öffentlichkeit praktizieren, dieser jungen Mannschaft nicht gerecht wird.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einem Rerun des gestrigen EM-Quali-Länderkampfs zwischen Österreich und Deutschland im Wiener Praterstadion. Und zwar, weil mir die Diskrepanz zwischen dem, was ich gesehen habe und dem, was die mediale Darstellung aus dem Spiel gemacht hat, keine Ruhe lässt.

Heute am Frühabend, nach Erscheinen dieses Journals, ist nun auch die laola1-Taktikanalyse online.

Die Netzwerk-Analyse des Standard liess noch einen Tag länger auf sich warten und verwirrt graphisch, weil sie dem offensiv omni-präsenten Harnik fix auf der rechten Seite verortet (Royer im übrigen zentral ??), was dann so wirkt als wäre der Diagonalpaß übers ganze Spielfeld die Regel im Spiel gewesen. Andererseits rehabilitiert sie den wieder einmal unterschätzten Ekrem Dag.

Hier übrigens noch eine wichtige Team.Analyse von 90minuten, eine weitere zum Spiel und weitere Hinweise auf die deutsch/österreichischen Unterschiede in der medialen Rezeption).

Wer sich das Spiel nochmal geben will - es wird heute abend auf Sport Plus (=tw1) wiederholt, um 20.15 und dann nochmal um 2.00 Nachts.

Am Montag folgt noch einmal Österreich - Deutschland, allerdings die Schande von Gijon von 1982, ebenfalls tw1/Sport plus 20.15/2.00.

Irgendwas stimmt nicht.

Ich habe gestern ein Spiel gesehen, in dem das hochgelobte deutsche Team einen schwachen, fast schon letscherten, also eigentlich österreichischen Tag erwischt hat und verwundbar war.
Und ich habe ein Spiel gesehen, in dem eine mit nur einem Lebenszweck instruierte österreichische Mannschaft daraus letztlich zu wenig gemacht hat. Denn ein paar individuelle Klasse-Ausreißer-Leistungen allein reichen nicht, um einen strategisch vor und vor allem während des Spiels unzureichenden Matchplan zu ersetzen.

Die hiesige Medien-Öffentlichkeit hat ein Match gesehen, in dem der Glücklichere (und zwar eh der Gustav Gans, der immer Glück hat) gewinnen konnte und die eigentlich bessere Mannschaft, der Außenseiter ganz viel Pech hatte.
Außerdem hat es allenthalben geheißen, dass die Taktik super und richtig war.

Nun sind deutsche Eigentore meiner Ansicht nach nicht gerade Pech - und bei der richtigen Taktik stellt sich sofort die Frage - welche denn? Kontern? Schnell spielen und Tore schießen? So hat das der Teamchef dann nämlich (eh nachher) erklärt.

Hab ich ein anderes Spiel gesehen?
Oder liege ich komplett oder partiell falsch?

Gut, dass es das Spiel von gestern abend auch aus einer anderen Perspektive gibt. Die ARD hat es von der anderen Stadion-Seite aus übertragen (Eurosport und die internationalen Kanäle haben die ORF-Sicht übernommen) - also ist es möglich, sich das Match wie quasi neu anzuschauen.
Und das mache ich jetzt, um etliche Dinge zu überprüfen. Tonlos, um nicht abgelenkt zu werden.

Ich werde mich dabei auf das ÖFB-Team konzentrieren und die Deutschen außen vor lassen.
Und ein paar Fragen klären.
Zum Beispiel: wie klappt das mit dem Umschalten nach Ballgewinn?
Wie tief stehen die beiden Viererketten?
Wie klappt die Kombinatorik des Flügelspiels?

Der Rerun: Österreich vs. Deutschland nochmal

... und nochmal die Ausgangs-Position der Systeme.
Deutschland agiert mit dem üblichen 4-2-3-1.
Österreich stellt ein flaches 4-4-2 dagegen, das sich erst im Finish zu einem 4-4-1-1 wandelt.

Und los, noch einmal Anpfiff, Herr Busacca!

Gleich die erste Szene zeigt: aggressives Pressing in der Gegner-Hälfte, mit vier bis fünf Mann, unter der Führung von Alaba.

Die zweite Szene zeigt: sofortiger Rückzug hinter die Mittellinie. Und Ballgewinn gefolgt von sofortigem Ballverlust.

Dann die im Matchbericht schon angesprochene Szene, in der Fuchs den Ball weit vordrischt.
Besser macht es dann Scharner, der - direkt aus der Abwehr - einen guten Ball auf Harnik spielt, dessen Angriffs-Idee (in einer 4zu4-Situation (nicht der letzten, wie wir wissen) verpufft.

Dem Freistoß, den Harnik knapp neben die Stange setzt, geht wieder ein guter Ball von Scharner voraus, der nicht gut genug geblockt wird.
In diesen ersten Szenen zeigt sich, dass die Deutschen die vier offensiven Österreicher Dag-Harnik-Hoffer-Alaba allein gegen die Viererabwehr lässt - die beiden Sechser (Khedira und Kroos) kümmern sich einen Scheißdruck drum.

Das überraschende Vier gegen Vier

Darauf baut das ÖFB-Team verstärkt Druck auf - mehr als noch ein Fuchs-Freistoß wird aber nicht draus.
Aber: in der 5. Minute greift Neuer erstmals daneben, bei einem hohen Ball, und signalisiert, dass er keinen guten Tag haben wird.

Nach diesen brauchbaren fünf Minuten knickt das ÖFB-Team ein, begeht ein paar Test-Fouls und lässt einige deutsche Szenen zu. Es werden mit die besten sein, die Gomez und Podolski haben.

In der 9. Minute ein Konterversuch über Fuchs, der abgegrätscht wird.
Erstmals ist da was von der 10-Sekunden-Mentalität zu spüren; solange dauert im modernen Fußball ein Gegenstoß von der Ballerorberung bis zum Abschluss.

Die Deutschen sind erstmals spürbar nervös.
Österreich baut, wenn das Team vor dem eigenen Tor in Ballbesitz kommt, mit langen Bällen aus der Abwehr in die Spitze auf - das Mittelfeld wird überflogen.
Über die Flüge geht es entweder mit den 10-Sekunden-Versuchen oder im Klein-Klein, da bleibt man aber gerne stecken, da fehlt die technische Überlegenheit.

Die Politik der langen Bälle

12. Minute: wieder ein langer Ball von Fuchs entlang der Linie, auf niemanden.
Auffällig: bei jeder deutschen Chance ist Gomez dabei. Und er erwischt auch jeden Kopfball.
Und wieder: die beiden deutschen Sechser lassen ihre Abwehr mit vier Gegnern allein, laufen in Sichtweite herum, pomadig möchte man sagen.

Die Szene in der 14. Minute, in der Hoffer einen Elfer ertauchen wollte: da wurde über rechts von ganz hinten heraus eine schnelle Ballstafette gespielt, mit Harnik als Tempomacher. Exzellent.

Okay, nach einer Viertelstunde ist es nun erkennbar, das taktische Grund-Konzept.
1) Wenn man selber aufbauen muss, entweder 1a) lange Bälle nach vorne, nicht hoch auf einen Center, der sie ablegt - weil so einer säße nur auf der Bank (Janko, Kienast), sondern vergleichsweise flache Laufbälle für Hoffer, Harnik, eventuell Alaba. Oder 1b) Dribblings und 1zu1-Versuche an den Seiten.
2) Bei Ballgewinn im Mittelfeld schnelle Konterstöße setzen, die mit einem eher seitlich gespielten Laufpass enden.

Die Politik des Konters über die Flanken

Ob das so geplant ist, lässt sich nicht sagen. Vor allem Harnik und Alaba sind zu intelligente Spieler, um aus einer unpräzisen Vorlage nicht was Besseres zu machen. Verdächtig ist, dass diese 2) Aktionen auch eher über die Seiten kommen und dass Harnik dorthin ausweicht - was wiederum zu einem großen Loch in der Mitte führt, was wiederum Alaba und auch Dag durch Crossläufe zu stopfen versuchen.

Da dies alles nach Improvisation in der Not aussieht, würde ich meinen, dass im Vorfeld eher keine intensive Planung der Vorgänge durchgeführt wurde. Niemand konnte damit rechnen, dass das deutsche Mittelfeld nur die Trikots spazieren trägt und man so viele Möglichkeiten für Passwege offenstehend vorfinden würde.

Baumgartlinger und Kulovits in der Zentrale sehen die Bälle praktisch ausschließlich über sich hinwegfliegend oder seitlich vorbeigespielt. Da weder Özil, noch das Defensiv-Duo Khedira-Kroos wirkliche Anstrengungen unternehmen, um Ideen umzusetzen, haben sie nichts zu tun, außer Lauf- und Paßwege zuzustellen.

Die österreichische Abwehr spürt außer von Gomez keinen Druck. Müller und Podolski an den Seiten sind recht unpräsent. Fuchs nützt das für Raumgewinn, Klein passt sich der Unsichtbarkeit an.

Beharrliche Präsenz durch Pressing

Scharner, Fuchs, manchmal auch Pogatetz und Gratzei setzen mit langen Bällen das Spiel in Bewegung. Klein und Dag bauen über rechts an der Flanke manchmal etwas auf, Alaba rückt durch Fuchs' Druck-Entwicklung noch weiter vor und setzt Lahm massiv unter Druck, er bekommt so viele zweite Bälle. Harnik weicht tendenziell auf die halbrechte Seite aus, Dag hinter sich. Hoffer hat wenig Bälle, aber die offensive Four punktet allein durch ihre beharrliche Präsenz.

Wenn das ÖFB-Team bei Ballbesitz im gegnerischen Strafraum nicht in die Tiefe, sondern in die Breite spielt, folgt der sofortige Ballverlust. Der führt dann gern zu einer minutenlangen Druckphase der Deutschen, in der wir nicht aus der eigenen Hälfte kommen. Ein DFB-Team in Normalform hätte das längst genützt. So wie Özil aber die Bälle versemmelt, lässt das alle Chancen offen.

Das Pressing funktioniert gut.
Beispiel in der 20. Minute: bis zu drei Mann (Fuchs, Kulo, auch Alaba) attackieren Müller - Ballverlust, weiter Konter-Laufpass aus dem fast etwas wird. Zu unpräzis.
Müllers Körpersprache sagt. Ächz, Scheiße Mann!
Deutschland agiert im Aufbau wie früher mit den Förster-Brüdern und Schwarzenbeck: hölzern.
Allerdings bringt jeder Standard mit Kopfball-Möglichkeit echte Gefahr.

Das überflogene Mittelfeld

Harnik ist überall, bohrt Friedrich halblinks an. Harnik bildet auf beiden Seiten die nötigen Dreiecke (vor allem mit Fuchs und Alaba), um gut nach vorne zu kommen.

24. Minute: Scharner schließt mit einem guten Weitschuss die erste Szene ab, bei der Österreich einen Angriff wirklich gut durchspielte, bei der die Passes nach hinten oder auf die Seite nicht in die Hose gingen und die Laufpässe auf die Flügel effektiv waren. Eine halbe Minute war da Europaklasse zu spüren.

In der nächsten Szene fällt Hoffer wieder verzögert - nach seiner Schwalbe zuvor keine gute Idee; sowas bringt nicht nur den Gegner auf, es macht auch das eigene Spiel schwach.

27. Minute, die beste Phase bis jetzt: Alaba setzt nach einem weiten Pass von Fuchs Dag auf der anderen Seite gut ein - der wird knapp geblockt. Das ist kluges, raumgreifendes, schnelles Spiel, das Torchancen kreieren kann.

Hohe Bälle prallen allesamt ab - das ist bei dieser Aufstellung einfach keine Option für die ÖFB-Truppe.

Das Gelb-Foul von Baumgartlinger an Müller resultierte aus einem notlosen Fehlpass von Harnik aus der Spitze heraus - und es war bitter nötig. Mehr Job gab es für den spielintelligenten Julian an diesem Abend leider nicht - seine eigentichen Fähigkeiten konnten in diesem System nicht eingesetzt werden.

Die individuelle Klasse von Alaba

Harniks Chance nach dem Neuer-Fehlgriff in der 30. sieht aus der ARD-Perspektive wesentlich gefährlicher aus als gestern. Die TV-Sicht ist ein Verzerrer, immer wieder sei's gesagt und geklagt.

Österreich wieder uind wieder mit demselben Muster: Innenverteidiger-Bälle in die Spitze oder schnelle Ball-Verschickungen über die Flanken. Die Mitte wird überflogen.
Das flache 4-4-2 bedingt so ein Spiel gewissermaßen - stellt sich halt die Frage, ob dieser eine Trick ausreicht.

Friedrich beschattet Hoffer wie einst Katsche den gegnerischen Neuner, schaut lieb aus.

38. Minute: Alaba erobert einen Ball im Mittelfeld, nicht links, sondern zentral - er muss überall gleichzeitig sein. Die Chance vergibt er mit einem unkonzentrierten Pass.

41. Minute: die große Hoffer-Chance entwickelt sich aus 2 Minuten Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte und über steiles Spiel auf der rechten Flanke - Kleins zweite oder dritte Auffälligkeit.
Danach setzt Alaba zum wiederholten Mal seine Fähigkeit als Crossläufer (parallel zum Strafraum) ein und arbeitet so wieder eine Torszene heraus. Ein anderer linker Mittelfeldspieler, einer, den es nach außen, vor zur Toroutlinie zieht, hätte dieses Spiel der 'offensive 4' verunmöglicht - es liegt effektiv an der individuellen Klasse von Alaba.

Den Eckball zum 1:0 verursacht, ohne größere Not, Florian Klein. Für Gomez, dessen Karriere in diesem Stadion fast zerbrach, eine große Sache. Für uns: durchaus Pech. Allerdings eben nicht die erste Szene, wo es direkt am Fünfer blöd aussieht.

Fazit der 1. Halbzeit

Das ÖFB-Team setzt das Nichts an Vorgabe (schnell spielen, kontern, Tore machen) aus zwei Gründen optimal um.
1) weil es keine deutsche Gegenwehr im Kreativbereich gibt - man sich also nicht mit komplexer Defensivarbeit beschäftigen muss, sondern linear nach vorne denken/arbeiten kann.
2) weil die Konzentration auf die beiden Seitenlinien zusätzliche Mitdenk-Entlastung bringt.

Da ein fast willenlos fades deutsches Team da auch noch mitspielt, geht sich diese nur partielle Nutzung des zur Verfügung stehendes Raumes aus.

Im Gegensatz zu den Deutschen, die ihre Viererabwehr meist allein lassen, spielt Österreich mit einer Art Sechser-Defensive, blockiert damit das Zentrum und lässt dem offensiven Mittelfeld der Deutschen keine Luft.

Die Qualität des österreichischen Spiels verdankt sich zum Großteil der Schwäche des deutschen. Das ist kein Vorwurf, im Gegenteil: eine Mannschaft, die das erkennt und ausnützt, hat Klasse.

Ich denke aber: ein Coach, der das alles sieht und seinem Team (man ist immerhin im Rückstand) noch einen zusätzlichen Dreh, einen Kniff, den er für so einen Fall in der Hinterhand hat, mitgibt, der hätte auch Klasse.

Wie wir wissen, ist das nicht passiert.
Und, Ausgleich hin oder her: letztlich ist es die Abwesenheit dieser kleinen Steigerungs-Fähigkeit gewesen, die dann die Null Punkte erbracht hat.

Halbzeit 2: Emphase und Pseudo-Unglück

Die Frage, die sich jetzt stellt: warum hat das ÖFB-Team nicht reagiert und wie hat die Mannschaft das überwunden?
Dass Löw nach dem Erfolgserlebnis am Ende der Halbzeit nichts umgestellt hat, ist psychologisch ganz klar.
Dass Constantini nichts tut, erklärt sich aus der österreichischen Tradition, lieber bis zur mindestens 60., 75. Minute abzuwarten, ehe man irgendwie reagiert - schaut euch einmal ein durchschnittliches Bundesliga-Spiel an. Da muss einer zur Halbzeit schon vier Tore zurückliegen um zwei Wechsel zu wagen. Außerdem würde ein Coach eine Idee in der Hinterhand brauchen - und schon die Basis-Idee (schnell - kontern - Tor) ist ja nicht so grandios.

In dieser Phase zeigt sich eine andere Tradition: die des Motivators, der kurzfristige Emphase mitgeben kann. Wir wissen aber alle, dass das in the long run nichts bringt außer diesem lächerlichen Gefühl, dass man es eh fast geschafft hätte, diesem Dauer-Selbstbetrug, dass purer Wille und Energie dauerhaft die gute Vorbereitung, den Matchplan und die Ideen in der Hinterhand ersetzen können.

Mit diesem Motivations/Emphase-Selbstbetrug nimmt man diese finale Niederlage aber billigend in Kauf. Reine Toren wie Krankl wohl unabsichtlich, Nicht-Naive wie Constantini wohl schon bewusst. Auch weil er weiß, dass er damit in einer Öffentlichkeit, die sich so gern mit diesem "So a Pech imma!"-Schmäh einlullen und betrügen lässt, supergut ankommt. Und das ist sein Lebenstzweck, 'supergut ankommen', nicht 'eine Mannschaft entwickeln'.

Anpfiff

In der 47. Minute schießt Gomez (der Mann des Spiels, keine Frage) nach deutlicher deutscher Anfangs-Dominanz knapp drüber. Darauf erzwingt Hoffer einen Ballverlust und erstmals hat das Team über eine Minute lang den Ball, spielt wie ein echtes Klasseteam spanisch hin und her. Das versandet zwar, aber das Selbstbewusstsein ist plötzlich präsent, Deutschland tut sich schwer. Baumgartlinger, nicht Dag schlägt den grandiosen Wechselpass (seinen ersten, auch seinen letzten im Spiel) zu Alaba auf die andere Seite und der erzwingt den Treffer, durch drei Gegner durch, mit Glück, aber aus der Situation heraus durchaus logisch.

Jetzt gilt es.
Jetzt heißt es Vorteil Österreich, erstmals im Spiel, erstmals in der EM-Quali gegen einen halbwegs guten Gegner.

Jetzt müsste etwas greifen, was vorher dringend besprochen, geübt gehört hätte.

Der nächste Angriff läuft 4 gegen 5, die Deutschen haben einen der Sechser deutlich nach hinten beordert, Löw ist diese Schwäche der 1. Halbzeit aufgefallen. Schmelzer beendet den ersten Versuch auf ein schnelles 2.1.
Der zweite wird mit einem langen Scharner-Ball auf Hoffer eingeleitet und endet mit dem Kulovits-Stangenschuss nach Harnik-Cross. Und es war, nachdem Harnik Schmelzer weggecheckt hatte, wieder eine 4zu4-Situation.

In Löws Kopf bahnt sich der Badstuber-Wechsel an und es ist klar, warum: das deutsche Team nimmt die Situation nicht ernst genug. Jetzt hat Harnik rechts sogar Klein mitgenommen, so mutig ist das ÖFB-Team aktuell.

In der Folge wogt der Kampf um die Kontrolle übers Spiel. Und weil sich keiner so richtig durchsetzen kann, ist es spannend. Aber auch durchaus vorhersehbar, was passieren wird.

Das prophezeite 'Unglück'

SMS des deutschen Bekannten (und Dortmund-Fans) Christian während dieser Phase: "Gute positive Energie der Ösis. Aber wenn sie jetzt nicht bald ein Tor machen, dann werden sie trotzdem unglücklich verlieren." Mein Nicken dazu ist bis auf die Straße zu hören.

Die deutschen Fehler sind übers gesamte Spiel über dieselben, die haben wir bereits besprochen.
Warum findet aber das ÖFB-Team in dieser, in der EM-Quali bislang unerreichten Hoch-Phase kein Mittel, um entscheidend zuzusetzen?

1) Weil sie nichts weiter als das haben, worauf sie seit Beginn an bauen: das überflogene und seitlich umspielte Mittelfeld. Das piekst die Deutschen zwar enorm, aber sie kennen's mittlerweile. Weil es also keinen neuen Input aus der Mannschaft gibt.
2) Weil es keinen neuen Input von außen gibt.

Alaba und Harnik reiben sich auf, die Kollegen Anspielpartner tun ihr Bestes, aber ohne eine frische Idee wird der angestrebte Sieg nicht zustandekommen können.

Alaba, auch hier (und nicht nur im Nachwuchs-Bereich) der beste instinktive Coach seines Teams, versucht zunehmend die Mittelfeld-Zentrale ins Angriffsspiel einzubinden, auch einen zentraleren Mann mitzunehmen.

Die deutschen Chancen, vor allem die nach Standards, sehen aus der ARD-Perspektive deutlich gefährlicher aus als gestern. Und die Phase rund um die 60. Minute sieht einen deutlichen österreichischen Rückfall.
Da hat gestern die tolle Stadionstimmung doch einiges verdeckt:

Es lebe die tonlose Analyse-Sichtung!

Erst in der 66. Minute kommt wieder etwas. Aber die neuen Angriffe dauern zu lang, laufen über zu viele Stationen und enden in Fehlern.
Dann kommt Junuzovic. Natürlich ändert das das Spiel. Aber nicht so, wie es/er könnte. Denn Juno muss auf die rechte Seite(statt Dag), darf nicht in die überflogene Zentrale.

Österreich steht weiter mit 6 Defensiven gegen 4 deutsche Angreifer und hat weiter 4 Offensive gegen viereinhalb deutsche Abwehrspieler. Dazwischen steht Toni Kroos und sieht zu.

Deshalb jetzt auch der Badstuber-Tausch - der geht in die Abwehr, Hummels in die defensive Zentrale, um dort ein 5-4 Übergewicht zu erzielen, das der geschwächte Khedira zwar nominell, aber nicht spielerisch herstellen konnte.

Ab etwa der 70. Minute sind also die Karten für die Schlussphase frisch gemischt.

Junuzovic als Frischkartenmischer

Weil Juno seine Aufgabe als halbrechts-zentral interpretiert, kommt gleich mehr Druck zustande: es gibt gleich mehrere ÖFB-Angriffe mit Gefahrenmoment.

Ist das der fehlende Kniff? Defensiv ordnet sich Junuzovic brav in die Viererreihe im Mittelfeld ein, neben Baumgartlinger, der zumindest versucht, höher zu pressen als bisher, um so den Druck zu verstärken.

Letztlich ist es aber auch in der 2. Halbzeit das deutsche Team, das den Großteil des Spiels gestaltet, und so mehr Präsenz und Selbstbewusstsein erzeugt; auch im Wissen, eigentlich ein echtes Scheißspiel abzuliefern - wenn man bedenkt, was man eigentlich könnte.

Österreich andererseits sieht sich im Zenit. Und das ist ein Trugschluss, da ginge mehr, besseres als immer noch die Konter-Attitüde von Beginn. Zudem beschränkt sich die gerade (75. Minute) wieder auf die langen Scharner-Bälle nach vorne, die Seitensteilvorlagen haben seit längerem Pause.

Fuchs schickt nicht Alaba zur Torchance in der 76., er sucht Junuzovic, der rechtsaußen für Harniks verzogene Schuss-Chance auflegt. Ein zentraler aufgestellter Junuzovic hätte aus dieser Halbchance eine Vollchance machen können.

Doppelt spürbarer Druck und das Ende

Die Flankenläufe haben an Wucht verloren, über rechts kommt gar nichts mehr, links bleibt selbst Alaba hängen. Scharners Gelb-Foul an Özil rettet uns in wirklich hoher Not, der Druck wird doppelt spürbar. Die Deutschen lassen weniger zu, von Österreich kommt weniger.
Letztlich war die Royer-Einwechslung ein wirklich guter Schritt, wenn Harnik wirklich platt war, dann war seine Herausnahme okay, wenn nicht, eine unendliche Dummheit sich seines Antreibers zu entledigen.

Junuzovic steht jetzt merkbar in der Zentrale bereit, hinter Hoffer. Zu spät, es geht noch zehn Minuten - in der Druck/Wechselphase rund um die 70. Minute, als die Neupositionierungen noch für Unruhe sorgten, wäre das nötig gewesen, jetzt haben sich die Deutschen schon eingegroovt.

Vercoacht wäre zu hart - aber 'zu wenig Wagnis eingegangen' trifft es.

Denn danach geht nix mehr. Einmal probieren es noch Klein und Royer rechts, einmal bleiben Fuchs und Alaba links hängen.

Der Rest ist deutsche Dominanz und deutscher Frust (Özil, wegen seiner unteriridischen Leistung auch kein Wunder) und die komplett sinnlos späte Einwechslung von Janko.

Ja, überhaupt: alle Einwechslungen deutlich zu spät und mitschuld am Endergebnis.

Auffällig beim Tor, das das Spiel dann knickt wie der Tritt des Rowdys den Löwenzahn.
Auch schon beim Corner, vor dem, der das Tor brachte - davor stand beim Reboud Royer bei Gomez; die Wiederholung brachte dann das entsprechende Kopfball-Duell und das Tor.
Es war also kein Zufall, dass Royer dort war, sondern entweder 1) so eingeteilt - der rechte Mittelfeldspieler nimmt den äußersten Deutschen, wurscht wer's is, oder 2) irgendwie in der Situation so hingestellt. Absicht/Plan war's in jedem Fall. Insofern trifft den Chefplaner die Schuld.

Schluss-Fazit

Noch mal zum Mitschreiben: tolle Motivation und Emphase können weder einen genauen Matchplan (der aus mehr als nur einer Anfangs-Stufe besteht), noch mutige Wechsel ersetzen.

Wer das eine (mehr als nur eine und simple Idee) nicht hat und das andere (mutig und rechtzeitig umstellen) nicht kann, ist prädestiiniert für den Job des ÖFB-Teamchefs.
Da zählt, sowohl intern als auch in der öffentlichen Wahrnehnung einer in die eigenen Leiden selbstverliebten Tradition, nämlich nur das Hättiwari, das Fast!, das "So a Pech aba wieda!", also das Geseier über die Möglichkeit, deutlich mehr als deren Umwandlung in Realität.

Ein Team mit Spielern wie dem Longpass-König Scharner, Ablaufer Pogatetz, Nachvorneschieber Fuchs, Verlagerer Baumgartlinger, Seitenlinienkleber Dag, Sitzerkönig Hoffer und vor allem den gestern abend überragenden Mitdenkern, Notfall-Checkern, Crossläufern und Schnell-Entscheidern Harnik und Alaba und anderen talentierten Typen besteht, verdient aber mehr.

Mehr als mut- und planloses Gecoache.

Und auch mehr als eine winselige Öffentlichkeit, die sich mit hohler Emphase und der Entscheidung, im Konjunktiv leben zu wollen, begnügt.