Erstellt am: 7. 6. 2011 - 16:37 Uhr
Familienaufstellung auf Depeche Mode
Francois Kevorkian heißt Kevorkian, nicht "KeRvorkian". Das ist einmal eine wichtige Erkenntnis, mit der ich mich anlässlich der Veröffentlichung von Depeche Modes "Remixes 2: 81-11" nicht hinterm Berg halten möchte.
Warum wird der Name dieses begnadeten Produzenten und Mixers bis zum heutigen Tag immer wieder falsch geschrieben? Weil er in den Credits von "Violator", dem Jahrhundertalbum von Depeche Mode falsch geschrieben wurde und Menschen eben gerne abschreiben. Francois Kevorkian hat "Violator" gemischt - ironischerweise "Enjoy the Silence" als einzige Nummer nicht - und führt so zum eigentlichen Thema dieses Textes.
dpa/A3781 Alexander Becher
Kommen Sie näher, nehmen Sie Platz, es gibt was zu erzählen: Normalerweise sind Remix-Alben nämlich kein Grund in übertriebene Extase zu verfallen - außer man ist Verkaufsleiter einer Plattenfirma und freut sich, dass die depperten Fans eh alles kaufen was von der Band XY (in dem Fall Depeche Mode) rauskommt. Und ja, es ist so: Depeche Mode Fans kaufen alles, wo der Name ihrer Lieblingsband draufsteht. Und laut unbestätigten Gerüchten gehen sie sogar lieber zum DM als zum Bipa.
Wenn aber ein Remix Album (in diesem Fall sind es derer drei) von Depeche Mode herauskommt, wo Vince Clarke und Alan Wilder Hand anlegen, dann reicht das an sich schon für einen mittelstarken Schreikrampf der Freude innerhalb der Community. Weil warum:
Vince Clarke ist schlicht und ergreifend der Bandgründer von DM und hat sich unter mysteriösen Umständen nach der ersten DM-Platte verabschiedet. Angeblich war ihm der Rummel und der Erfolg zu viel. Klingt nicht sehr logisch, weil kurz darauf hat er mit Yazoo und Erasure für auch nicht geringeren Rummel und Erfolg gesorgt. Ob sein Remix von "Behind the heel" analog und ohne Zuhilfenahme von MIDI entstanden ist, weiß man nicht.
Jahrelang hat Herr Clarke technische Neuerungen auf dem Gebiet des Sequencing rigoros verweigert, wurde in letzter Zeit aber immer wieder bei der Arbeit am Computer erwischt. Außerdem: Ich habe Vince Clarke ein paar Mal interviewt und einmal erzählte er mir sein schönstes Weihnachtserlebnis, das ich zwar nicht wortgenau aber inhaltlich wiedergeben möchte: "Ich war also in dieser Bar, ziemlich angesoffen. Da sehe ich einen Typen und denke mir: Den kenne ich. Ich winke ihm, und er winkt zurück. Ich denke mir noch immer - wer ist das? Ich gehe auf ihn zu, er geht auf mich zu. Ich winke, er winkt zurück. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, er auf mich...Bang! Da bin ich gegen den Spiegel gekracht."
Depeche mode
Alan Wilder wiederum kam zwar ursprünglich "nur" als Live Keyboarder zur Kapelle meiner Wahl, hat sich dann aber flott zum Chefproduzenten und maßgeblichen Former jenes Sounds entwickelt, der als "klassischer Depeche Mode Synthpop" gilt. Das merkt man recht deutlich, wenn man sich die Alben nach dem Abgang Alan Wilders anhört (also alles nach "Songs of Faith" and "Devotion"). Die klingen ... anders. (Ein bisschen auszunehmen wäre hier Tim Simenons "Ultra". Simenon ist der einzige Post-Wilder-Produzent, der den Sound draufhatte - vielleicht weil er selbst Fan war. Außerdem lebt er seit einem halben Jahr in Wien, ist FM4-affin, und eine ausgesprochen sympathische Erscheinung, wenn ich das anmerken darf. Ach ja, und Strangelove hat er auch remixt. Und das kann er). Alan Wilder wiederum hat auch einen stärkeren Bezug zu Österreich und ... ähem, Austropop, als ihm wahrscheinlich bewusst ist.
Bei der Produktion von Depeche Ambros habe ich selbstverständlich bei Wolfgang Ambros angefragt, ob ihm das eh recht ist. Antwort habe ich keine erhalten. Bei Alan Wilder habe ich angefragt, wie denn der Bass Sound von "Behind the Wheel" genau gemacht ist, weil ich ihn auch für die Reinterpretation des Austropop-Oeuvres verwenden würde. Innerhalb zweier Stunden war die Antwort da: "If I remember correctly, it was a combination of three different sounds: A hand striking the end of a hoover tube and then sampled (true), a guitar pluck - sampled and pitched down, and a minimoog for added bottom end." Ich begegne meinem Staubsauger seitdem mit weitaus größerem Respekt als je zuvor.
Francois Kevorkian andrerseits hat neben dem Mix von "Violator" eine ganze Reihe Remixes der Band hergestellt und darf somit auch als Wegbegleiter von DM gelten, was in der ganzen Euphorie um Alan Wilder und Vince Clarke leicht untergeht. Außerdem heißt er „Kevorkian“ und eben nicht „Kervorkian“, um das ein für alle mal klarzustellen.
Selbstverständlich gibt es da auch eine Menge anderer Menschen, die Hand angelegt haben. Teils haben sich ihre Wege und die Depeche Modes schon gekreuzt, teils nicht: M83, UNKLE, Trentemøller, Dan The Automator, Stargate, Eric Prydz, Karlsson & Winnberg, Röyksopp...um nur einige zu nennen.
Zur Musik:
Genauer eingehen kann ich klarerweise nur auf die mit der größten Spannung erwarteten Familienmitglieder, aber die anderen waren natürlich auch sehr fleißig und sind hochbegabt:
Gut gefallen mir:
- Suffer well / M83 Remix
- Never Let Me Down / Digitalism
- Personal Jesus / Stargate (fast ein Favourite, möchte man sagen)
- Wrong / Trentemoller
- Strange Love / Tim Simenon-Mark Saunders
- The Darkest Star / Monolake
- Fly on The Windscreen / Gareth Jones (das ist der, der Anfang der 80er D.Ö.F. gemixt hat, und jetzt Bunny Lake)
- Never let me down again /Eric Prydz
- Question of time / Joebot (yesss!!!)
Behind the Wheel / Vince Clarke
Vince Clarke lebt in einer anderen Welt (in Maine, USA um genau zu sein). Wie andere glauben, dass Depeche Mode klingen sollte, dürfte ihm unendlich egal sein. Und so hat er am Klassiker „Behind the Wheel“ Original genau nichts lassen, außer ein paar Stimmsamples und hat das ganze recht dancig auf 6 Minuten ausgedehnt. Wahrscheinlich die einzig richtige Entscheidung. Alles andere (Rückbesinnung auf alte DM Sachen, Erasuresquer Synthpop, etc...) wäre ihm vermutlich als all zu rückwärts gewandt , Retro und was weiß ich noch alles ausgelegt worden.
In Chains / Alan Wilder
Alan Wilder ist die mit Inbrunst erwartete Überraschung gelungen: „In Chains“ klingt genau so, wie sich DM Fans seit über 15 Jahren wünschen, dass DM klingen sollte. Aber nicht nur. Unverkennbarer Wilder-Sound, wie zuletzt auf Violator und SOFAD zu hören - abgesehen von seinem Soloprojekt Recoil, das soundtechnisch immer noch über jeden Zweifel erhaben ist, aber Songs schreiben kann er halt nicht so gut wie Martin Gore, - die Songstruktur wurde beibehalten, aber doch ordentlich verlängert.
Kunst meets Pop - genau das was Devotees an DM seit Jahrzehnten schätzen.