Erstellt am: 1. 6. 2011 - 16:33 Uhr
Vom dänischen Sonnenpop zum Wolfsmärchen
Es ist eine kleine, beschauliche Stadt im hohen Norden mit niedrigen, bunten Häusern, vielen Grünflächen und Parks, Glockentürmen, einem weitläufigen Hafen und großer Universität: Århus ist die zweitgrößte Stadt Dänemarks, von der Größe und dem gemütlichen Flair etwa mit Graz vergleichbar. Einmal im Jahr kommt hier die skandinavische Musikszene zusammen und präsentiert ihre etabliertesten Bands und erfolgversprechende Newcomer.
Allan Hendriksen
Dabei ist das Spot Festival weit von Open Air Schlammschlachten, dröhnender Massenbeschallung und wüsten Campingorgien entfernt. Vielmehr ist es eine Mischung aus Musikmesse, Netzwerkplatz für Künstler und Industriemenschen, Repräsentationsraum für skandinavische Musik und spannendem Unterhaltungsprogramm zugleich. Die rund vierzehn Locations bieten alles, was sich die konzertverwöhnte Seele wünschen kann. Vom großen Saal des Musikhuset Århus mit seinen steil abfallenden, samtenen Sitzreihen, über dunkle Clubatmosphäre in der Voxhall, Open Air Feeling unter großen weißen Zelten bis zu kleinen, gemütlichen Musikbars. 117 Bands, DJs, und Musiker vornehmlich aus Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden waren dort vom 25. bis 28. Mai zu sehen und hinterließen ebenso viele Eindrücke.
Auswärtsspiel

Martin Dam Kristensen
Während im Vorjahr am Aufwärmabend des Festivals Bands aus ganz Europa ihre Showcases präsentiert haben, ließ man sich für dieses Mal etwas neues einfallen, um die verschiedensten Musiker einander näher zu bringen. Unter dem Titel "InterSpot" stellte man Acts aus Deutschland, Österreich, England, Cannada und den US mit dänischen Interpreten gemeinsam auf die Bühne. Für die österreichische Szene waren Ginga ein mehr als würdiger Vertreter, die sich unter die Musiker der jungen, ungestümen Dänen Kiss Kiss Kiss mischten und diese fast an die Wand spielten. Ihr durckvolles und wuchtiges Set begeisterte durch extrem genaues Zusammenspiel, wilde Geigenparts, ekstatische Trommelbegleitung und zurückhaltenden Charme. Dort, wo sich Kiss Kiss Kiss bei ihrem neuen, experimentellen Material leider ein wenig verrannt haben, konnten Ginga mit ihren schnörkellosen Indiepopsongs das Publikum begeistern.

Martin Dam Kristensen
Wuthering Sunpop
Auch der Regen und die 10 bis 13 Grad konnten der Festivallaune keinen Abbruch tun. Selbst wenn man am späten Abend im großen Zelt, durch das der kalte Wind pfeift, sich unbedingt eine Band ansehen will, von der auch The Guardian in höchsten Tönen spricht. Und das zurecht. Der witzige, locker flockige und gut gelaunte Pop von Treefight For Sunlight zaubert einem sofort ein Lächeln aufs Gesicht. Unweigerlich stellt man sich die Frage, woher Sänger Morten Winther Nielsen und seine Band die fröhlichen, sonnigen Melodien haben, mit denen sie den hohen Norden durchfluten. Reminiszenzen an die Beach Boys sind sofort herauszuhören, aber auch mit artverwandten Weltmusikeinsprängsel a la Vampire Weekend spielt sich der dänische Vierer.
Aber auch für Überraschungen ist die perfekt eingespielte Band gut. Denn mitten im Set beginnen Treefight For Sunlight doch tatsächlich das Thema von Kate Bushs "Wuthering Heights" anzuspielen. Erst als Bassist Christian Rhode Lindinger mit seiner Kopfstimme die schwindlig hohe Gesangslinie anstimmt, klatscht das verwirrte Auditorium frenetischen Beifall. Ein absoluter Höhepunkt des ersten Tages.
Zwischen Auswählen und Hineinstolpern

Spot Festival
Bei diesem exklusiven Festival ist man getrieben von dem im Vorfeld akkurat erstellten Plan. Man will sich ja das Beste aller Bands, DJs, und Musiker ansehen. Und scheitert damit zwangsweise. Oft heißt es, einreihen in die Warteschlange zum Konzert des bekanntesten Acts oder warten auf einen Platz im kleinen Filuren-Saal. Wenn dann der eigens erstellte Plan nicht klappt, passiert es, dass man als Überbrückung in so manches Konzerte einfach "hineinstolpert".
So geschehen am zweiten Tag bei dem wundervollen Auftritt des Dänen Rolf Hansen alias Il Tempo Gigante. Der studierte Musiker aus Kopenhagen hat mit "Lost Something Good" letztes Jahr sein Debüt veröffentlicht, dass sich im anspruchsvollen Indie-Singer/Songwriter Bereich bewegt.

Martin Dam Kristensen
Live steht er beim Spot Festival in Århus allerdings allein auf der Bühne, mit Slide- und E-Gitarre und einer Trompete. Auf kunstvolle Weise schichtet Rolf Hansen mit einer Loop-Station Gitarrenlinien übereinander, nimmt in Echtzeit Bassläufe und seinen eigenen Backgroundchor auf, und arrangiert das alles mit Fußpedalen und erstaunlicher Gelassenheit zu kleinen hypnotischen Liedern, die sich immer mehr zu ohrwurmmäßigen Hymnen aufbauen. Mit seinen beiden Händen erschafft er so ein zwölfköpfiges Il Tempo Orchestra und schafft es dabei auch noch, seine Virtuosität nicht heraushängen zu lassen, sondern seinen feinfühligen Kompositionen unterzuordnen.

Dam Kristensen
Konträr dazu steht auf der Konzertagenda ein Besuch bei Nanna Øland Fabricius, Sängerin und Dänemarks erfolgreicher US-Export Oh Land. Es ist eine groß angelegte Popshow mit reduzierten Mitteln, die uns die quirlige Dänin im großen Saal unter tosendem Applaus bietet. Denn Nannas Federschmuck pfeift bei ihren graziösen Pirouetten zu dem Hit "Sun Of A Gun" gleich zu Beginn des Sets durch die Luft. Doch leider werden im Verlauf des Konzerts die spannenden, eckigen Momente zu Gunsten der aalglatten Popnummern niedergebügelt. Was bleibt ist eine perfekte Popshow, nicht mehr und nicht weniger.
Peter Gaardsøe
Dass sich Vorinformation nicht nur lohnt, sondern die dadurch generierte Erwartungshaltung sogar übertroffen werden kann, haben From Sarah bewiesen. Das Trio rund um David Fjelstrup, den Gitarristen der ebenso großartigen Cody, lockte mit feingliedrigen und reduzierten Indiepopsongs, die von ihrer Dringlichkeit her stark an die Landesgenossen Kashmir erinnern. Davids Stimme verbreitet Intimität, sein Gitarrenspiel breitet einen zarten Soundteppich aus, Bassist Moogie Johnson weiß mit simplen Linien das hrmonische Fundament dafür zu festigen und Schlagzeuger Ask Bock brilliert mit teils sanften, teils energetischen Rhythmen. Schwelgerische Melancholie voller Magie.

Dann Nørrgaard
Sieben kleine Wölfe zum Abschluss
Das Spot Festival war auch dieses Jahr eine spannende Entdeckungsreise. Denn neben den sowohl großen wie auch großartigen Who Made Who haben sieben Musiker aus Kopenhagen ein märchenhaften Schlusspunkt beim Spot Festival gesetzt.
Malte Kristiansen
Die blutjunge Band Raised Among Wolves spielen sich bei ihren Songs mit treibenden Folkbeats, traurigen Singer/Songwriter Elementen und klassischen Popsongstrukturen, die von rasend schnellem Händeklatschen begleitet werden und immer wieder in sich zusammenbrechen, um einer herzerweichenden Trompetenmelodie Platz zu machen. In grauen Wolfskostümen wird auf Metallgestänge geschlagen, sanft das Glockenspiel geschlagen, die Gitarren mit unendlichem Halleffekt bedacht, während ein warmer Synthesizersound das Nordlicht in kalten und einsamen Winternächten miemt.
Die neun dargebotenen Songs werden visuell im Hintergrund auf einem weißen Leintuch in stummfilartige Kapitel gegossen die von einem Kind erzählen, dass unter Wölfen aufzuwachsen scheint und das am Ende des Konzerts unter euphorischen Fanfaren und aufbrausendem Choargesang doch ein Zuhause findet.
Malte Kristiansen
Einen schöneren Abschluss für ein derart intensives Festivalwochenende kann es wohl nicht geben. Vielen Dank Århus, vielen Dank Spot Festival, es war vidunderlig!