Erstellt am: 1. 6. 2011 - 11:04 Uhr
Mitleid und Zigaretten für ein langes Leben
Manchmal scheint es mir, dass die am meisten verbreitete Lebenseinstellung in Bulgarien „Oh, Leben, du gehst auch zu Ende“ ist. Manche haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgegeben und betrachten ihr Leben als unvermeidliche Qual. Die bulgarische Band Wickeda singt: „Ich lebe, weil ich geboren wurde, es gibt keine andere Wahl“. Andere glauben – im übrigen genau aus demselben Grund –, das Leben sei ein unendliches Fest. Jedenfalls hat sich Jogging in Bulgarien in den letzten 20 Jahren weder als Freizeitsbeschäftigung noch als lebensverlängernde Maßnahme wirklich durchgesetzt.
Ich erinnere mich oft an meinen ersten Hausarzt. Er war ein besonders lustiger Geselle. Er erweckte zwar nie den Eindruck, dass er wirklich etwas von Medizin versteht, aber er linderte meine Schmerzen stets mit seinem Mitgefühl. Wenn ich erkältet war und zu Dr. Hadjilaskov ging, hörte er bei der Untersuchung nie auf zu husten. Hatte ich mal Bauchschmerzen, dann erzählte er von dem Durchfall, der ihm letzte Nacht den Schlaf geraubt hatte. Und als ich mir einmal das Bein gebrochen habe, hatte Dr. Hadjilaskov zufällig gerade auch einen gegipsten Haxen. Egal, welche Schmerzen mich gerade plagten, mein Hausarzt hatte sie auch. Er gab mir immer das Gefühl, dass ich mit meinen Problemen nicht allein bin, deshalb war ich ihm immer dankbar.
http://www.flickr.com/photos/grrphoto/
Etwas Ähnliches, wie mein Hausarzt mit mir in Sofia machte, macht mein Freund Vlado mit den Wienern. Vlado arbeitet für einen Verein, der „Wiener Gesundheitsförderung“ heißt. Er misst den Blutdruck der österreichischen Bevölkerung in alle möglichen Shopping-Centern, bei Messen und Veranstaltungen. Wenn bei jemandem der Blutdruck zu hoch ist, schaut ihn Vlado besorgt an, nickt mit dem Kopf, als stünde der Arme schon mit einem Bein im Grab, und spendet eine Runde Mitleid. Das alles gehört aber zu seinen beruflichen Verpflichtungen, sonst betrachtet Vlado das Ganze viel gelassener. „Mein Vater“, erzählt Vlado, „rauchte sein ganzes Leben lang eine Packung Zigaretten am Tag. Und immer die gleiche, schrecklich stinkende Marke 'Schipka' (Schipka heißt auf bulgarisch Hagebutte). Einmal sagte ich ihm, dass er gefälligst aufhören soll und dass Rauchen wirklich schlecht für ihn ist – er war schon über 70. Weißt du, was er geantwortet hat? "Das ist doch Schipka, da sind Hagebutten drin und die sind gut für die Gesundheit.' Mein Vater hat tatsächlich sein ganzes Leben geglaubt, dass seine Zigaretten Hagbutten enthalten. Er starb mit 80. Ein Auto hat ihn überfahren.“
Anscheinend gibt es kein Rezept für ein langes und gesundes Leben. Es ist alles eine Frage der Einstellung. Winston Churchill wurde mal gefragt, wie er sich bis ins hohe Alter eine derart gute Gesundheit bewahren konnte. Der als Zigarrenraucher und Whiskey-Liebhaber bekannte englische Prime Minister antwortete: „Wenn du dich hinsetzen kannst, setz dich hin, wenn du dich hinlegen kannst, leg dich hin und das Wichtigste – niemals Sport treiben!“. Churchill wurde 91 und hat sicherlich ein ziemlich stressiges Leben geführt. Ehrlich gesagt, finde ich Joggen auch blöd.