Erstellt am: 1. 6. 2011 - 06:00 Uhr
Flugdatenturbulenzen im EU-Ministerrat
In der Sitzung des Ministerrats am vergangenen Mittwoch musste sich die EU-Kommission seitens der Mitgliedsstaaten heftige Kritik vor allem am Abkommen mit den USA zur Weitergabe der Flugpassagierdaten ("Passenger Name Records", PNR) anhören.
Die Abkommen mit Australien und den USA waren in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gekommen, allerdings auf inoffiziellen Wegen (siehe Kasten rechts), denn die Verhandlungen selbst sind strikter Geheimhaltung unterworfen. Ebenso geheim sind die Sitzungen des Ministerrrats, also der 27 nationalen Minister samt Gefolge, namentlich Diplomaten und hochrangige Beamte.
Relative Disharmonie
Wie aus diplomatischen Kreisen aber nun zu erfahren war, wurden die Repräsentanten der Kommission in einer ziemlich disharmonisch verlaufenen Sitzung regelrecht gegrillt. Die Niederlande und mehrere andere Staaten kündigten sofort Prüfungsvorbehalte an. Österreich, aber auch Schwergewichte wie Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien meldeten schwere Bedenken an.
Das überraschende Manöver der Kommission, das Abkommen mit Australien vorzuziehen, hatte sich als nur sehr bedingt wirksam erwiesen. Da die Verhandlungsposition mit Australien für die Europäer weitaus günstiger war - die Australier haben anders als die USA keinen direkten Zugriff auf die weltweiten Buchungssysteme - hatte die Kommission versucht, hier ein Zeichen zu setzen.
15 Jahre Speicherfrist
Allein: die USA zeigten sich wenig davon beeindruckt, dass Europa mit dem engen US-Verbündeten Australien eine Gesamtspeicherdauer von fünfeinhalb Jahren ausgehandelt hatte. Die USA insistierten darauf, diese personenbezogenen Daten noch weitere zehn, also ingesamt 15 Jahre lang zu speichern.
An der Speicherdauer und mehreren anderen Punkten entzündete sich denn auch heftige Kritik im Ministerrat am Verhandlungsergebnis der Kommission.
Das sagte Österreich
Die österreichische Delegation monierte, dass nicht ausreichend begründet wurde, warum die ausverhandelten Speicherzeiten zwischen den USA und Australien derartig differierten. Übersetzt: Wenn den Australiern die Datensätze aus fünf Jahren für eine effiziente Bekämpfung von Terroristen ausreichen, warum benötigen die USA dann Daten aus 15 Jahren?
Vor der Präsentation der beiden PNR-Abkommen im Innenausschuss des EU-Parlaments war das das australische bereits im Volltext samt erster Analyse auf fm4.ORF.at verfügbar. Am Mittwoch, bevor die Ratsversammlung tagte, hatte der Guardian die Story, die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlichte das Abkommen mit den USA. Die Dokumente wurden erst am 19. bzw. 20 Mai abgefasst. Das sind Zeichen, dass der freie Informationsfluss EU-weit mittlerweile recht gut funktioniert.
Ebenso äußerten die Österreicher schwere Bedenken zu Artikel 4, Absatz 3 des Abkommens, der festhält, dass diese Daten eben nicht nur zur Fahndung nach Terroristen und Kriminellen benutzt werden sollen: "Aus Gründen der Grenzsicherheit (...) können PNR vom Ministerium für Heimatschutz benützt und verarbeitet werden, um Personen zu identifizieren, die genauerer Befragung und Durchsuchung unterzogen werden sollen".
Die "Selectees"
Das bedeutet nichts anderes als Datamining über den gesamten Bestand, um nach beliebig von den Heimatschützern zu definierenden Kriterien die jeweiligen "Selectees" herauszufiltern.
Das sind jene Reisenden, die aus der Reihe der Wartenden zur eingehenden Befragung ausgesondert werden. Das Abkommen mit Australien enthält hingegen ein explizites Verbot von Datamining.
Italien, Holland, Spanien, Frankreich
Italien, Holland und Spanien formulierten gleichfalls Bedenken gegen die vorgesehene Speicherdauer, die französische Delegation fanden sie ebenfalls viel zu lang und unverhältnismäßig. In der momentanen Form würde das Abkommen jedenfalls auf heftigen Widerstand seitens des französischen Parlaments stoßen, hieß es.
Das sagt Edward Hasbrouck
Der PNR-Experte Edward Hasbrouck, der beide Abkommen analysiert hat, sieht einen hohen Anteil von Spiegelfechterei in der Vorgehensweise der USA.
Vom Status her sei das PNR-Abkommen nämlich nur ein Abkommen, kein rechtsgültiger internationaler Vertrag und für die USA im Zweifelsfall nicht bindend. Die im Vertrag angegebenen Datenschutzvorkehrungen der Heimatschützer seien ein ausgemachter Schwindel.
Das Ministerium habe seine PNR-Datenbanken vom "Privacy Act", dem US-Datenschutzgesetz, ausdrücklich ausnehmen lassen. Es seien also nicht einmal die Daten der US-Bürger geschützt, geschweige denn jene der Europäer. Für Angehörige von Drittstaaten hat der "Privacy Act" ohnehin keine Gültigkeit, während das europäische Datenschutzrecht auch für Angehörige von Drittstaaten gilt.
Die aktuelle Analyse von Edward Hasbrouck, der in den letzten Jahren die mithin detailliertesten Informationen über die Inhalte dieser Passenger Name Records verbreitet hat.
Tatenlosigkeit der EU
Dieses Abkommen sei also keines zum Datenschutz, sondern nur dazu da, die Datenweitergabepraxis durch europäische Reiseunternehmen an die USA hinsichtlich europäischer Datenschutzgesetze rechtlich zu immunisieren.
Die EU-Behörden hätten bis dato willentlich darauf verzichtet, EU-Datenschutzrecht gegenüber diesen Firmen zur Anwendung zu bringen, so der Reisejournalist und Vielflieger Edward Hasbrouck zu ORF.at.
"Push'n Pull"
Im weiteren Verlauf der Sitzung kündigte Deutschland mit Verweis auf ein absehbar negatives Urteil des Bundesverfassungsgerichts schriftliche Stellungnahmen zu mehreren Punkten an, Luxemburg, Spanien und andere Staaten taten desgleichen.
Weiters kritisierte man unklare Formulierungen, Zweideutigkeiten und dass dieses Abkommen immer noch das "Pull"-Prinzip" erlaube. "Pull" bedeutet, dass die USA die kompletten Daten der Airlines selbst aus den vier großen weltweiten Buchungssystemen abziehen.
Via "Push" übermitteln die Airlines hingegen von sich aus 19 Datenbereiche - also immer noch sehr viel - an die US-Heimatschützer.
Am Ende war Beleidigung
Die Vertreter der Kommission waren in dieser recht turbulent verlaufenen Sitzung die einzigen Teilnehmer, die dem Verhandlungsergebnis Positives abgewinnen konnten.
Man verteidigte sich, so gut man konnte, räumte dies und jenes ein und war am Schluss erkennbar beleidigt. Auf die Frage, wie denn die Präsentation der beiden Abkommen tags davor im Innenausschuss (LIBE) des EU-Parlaments verlaufen sei, beriefen sich die Kommissionsvertreter auf die mit den Parlamentariern vereinbarte Vertraulichkeit.
Diese Veranstaltung sei jedenfalls einer deutlich "freundlicheren und positiveren" Atmosphäre verlaufen, als die Gespräche hier im Rat, gab man zu Protokoll.
Die Parlamente
Nach dem Ministerrat wird sich das EU-Parlament mit dem Abkommen befassen. Anders als Senat und Repräsentantenhaus der USA, die schon angekündigt hatten, voll hinter dem Abkommen zu stehen und es deshalb nicht einmal zur Abstimmung zu stellen, hat sich das EU-Parlament bis jetzt äußerst kritisch geäußert.
Verhindern konnten die Parlamentarier freilich ebensowenig wie Ministerrat oder Kommission die seit 2001 laufenden Transfers von massiven, personenbezogenen Datensätzen. Die USA haben über die großen, internationalen Buchungssysteme als einzige Macht der Welt detailliertes Wissen über die globalen Flugbewegungen.
Datenhegemonie, "Intelligence Community"
Das Reiseverhalten von beliebigen Passagieren kann damit laufend beobachtet werden, auch wenn diese kein einziges Mal amerikanischen Boden betreten. Sobald eine Buchung über Amadeus, Sabre und die anderen großen Reservierungs- und Abrechnungsysteme prozessiert wird, taucht sie auf dem Radar der US-Geheimdienste auf.
Das Department of Homeland Security, das auf der anderen Seite des PNR-Verhandlungstisches saß, ist seit seiner Gründung durch die Bush-Administration ganz offiziell Teil der "Intelligence Community", der auch NSA, CIA und Konsorten angehören.
Es entspricht ganz einfach der Logik einer Supermacht, diese im Handstreich errungene globale Datenhegemonie über alle Reisebewegungen unter keinen Umständen aufzugeben.