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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

31. 5. 2011 - 03:47

We Shall Live Again

Patti Smith gedenkt der Toten in einer euphorischen Akustik-Show im Wiener Burgtheater.

"Those are people who died, died
They were all my friends, and they died"

(The Jim Carroll Band: "People Who Died", 1980)

2008 war es, als Patti Smith und Christoph Schlingensief bei einer Podiumsdiskussion über den Tod diskutieren. Damals trafen sich zwei vom Tod geprägte Menschen, bei ihm war es Lungenkrebs, bei ihr eine Nahtoderfahrung und der mehrfache Verlust geliebter Menschen. Beide haben sie "der ganzen Scheiße", wie Schlingensief es nannte, immer wieder ins Gesicht sehen müssen. Patti Smith hat einige verloren: ihren Mann Fred "Sonic" Smith, ihren Bruder Todd, ihren Seelenverwandten Robert Mapplethorpe, in dessen Andenken sie im letzten Jahr "Just Kids" veröffentlicht. 2010 verliert sie auch Christoph Schlingensief.

Reihe 3, Platz 5

Gerlinde Egger

Im Rahmen der Konzertreihe "Burg in Concert" kehrt Patti Smith an jenen Ort zurück, an dem sie mit ihrem Freund Christoph Schlingensief das erste Mal ihr Verständnis von Kunst teilen konnte: ins Wiener Burgtheater.

Ghost Dance

Die Toten sind von Anfang an bei diesem besonderen Akustik-Konzert präsent. Nachdem Patti Smith mit ihrer vierköpfigen Band die Bühne betritt, ist ihre Stimme gebrochen, emotional berührt, einerseits weil sie leicht verkühlt ist, andererseits weil sie von Schlingensief zu erzählen beginnt. Den ersten Song möchte sie gleich mehreren großen Seelen widmen: ihrem "Artist of Life" Robert Mapplethorpe, Jeanne d'Arc, die am heutigen Tag vor 580 Jahren verbrannt wurde und ihrem Christoph, der dieses Burgtheater mehr als nur einmal auf den Kopf stellte. Den Song, den sie spielt, hat sie auch bei besagter Podiumsdiskussion für Schlingensief vorgetragen: "Grateful" mit der Zeile "It will come out fine".

Patti Smith

Gerlinde Egger

Das tut es tatsächlich, denn ab diesem Zeitpunkt hat die leicht erkrankte Patti, die immer wieder mit Tee gurgelt, ihr Publikum gewonnen. Dabei entblößt sich auch die Bedeutung der Mitmusiker, die sie umgeben, allen voran Lenny Kaye an der Gitarre und Tony Shanahan am Klavier. Begeistert werden die ersten Zeilen von "Redondo Beach" aufgenommen, das Smith 1975 auf ihrem legendären Album "Horses" veröffentlicht. Dann setzt sich die Meisterin die Brille auf, rezitiert die ersten Zeilen von "Birdland", welches sich mit Fortdauer in einen emotional geführten Jam entwickelt, ein Schwall an Worten und Gefühlen, ein Manifest, "I'm helium raven waitin' for you, please take me up, up, up".

Es folgt eine glühende Version von "Ghost Dance", das Akustik-Kleid passt Patti Smith wie angegossen, obwohl sie sichtlich Mühe hat, mit ihrer angeschlagenen Stimme die richtigen Töne zu treffen. Gelegentliche Spucker auf den Teppich werden als Zeichen der Revolution trotzdem gerne genommen. Dann werden nacheinander die Klassiker weggespielt: "Dancing Barefoot", "Beneath The Southern Cross", "Helpless", "Because The Night", "Pissing In A River" und "My Blakean Year", das Smith mit einer improvisierten Solo-Einlage den Toten dieser Stadt widmet: Mozart, Ludwig Wittgenstein, Moritz Schlick.

Patti Smith

Gerlinde Egger

Paths That Cross Will Cross Again

Ihr wohl schönster Song über den Tod ist "Paths That Cross", das Smith für ihren an Aids verstorbenen Freund Sam Wagstaff geschrieben hat. Ein Text, der die Hoffnung in sich trägt, dass wir all jene, deren Weg wir verloren haben, wieder treffen werden. Nach diesem Song zeigt Patti Smith eine andere Tonart des Gedenkens, sie verlässt die Bühne, lässt Lenny Kaye vortreten und eine prächtig rockende Version von "People Who Died" lostreten, während Patti begeistert durch die Reihen wandert. "People Who Died" wird im Gedenken an den legendären Schriftsteller und Musiker Jim Carroll gespielt, der die Punk-Nummer 1980 mit seiner "Jim Carroll Band" veröffentlicht. Wichtiger Reminder an einen großen Poeten.

Jetzt hat wohl jeder vergessen, dass das angekündigte Programm dieses Abends eigentlich "Words and Music" hieß, also eine kleine Lesung von Pattis Autobiografie "Just Kids" enthalten sollte, ergänzt durch Musik. Vielleicht hätte manch einer gern die Geschichten gehört, die Patti Smith zu erzählen gehabt hätte, von ihren jungen Jahren, ihrer Zeit im Chelsea Hotel mit Mapplethorpe, dem brodelnden Künstlerleben, in dem es nie eine Trennung zwischen Leben und Kunst gab. Aber es brauchte gar keine Lesung mehr, denn dass diese Frau mehr verkörpert, als das, was zwischen zwei Buchdeckel passt, ist bis in die letzten Reihen zu spüren.

Patti Smith

Gerlinde Egger

Vor allem bei der stärksten Zeile, die je eine Künstlerin auf ihrem Debüt veröffentlicht hat: "Jesus died for somebody's sins, but not mine". "Gloria" ist live eine Offenbarung, das Publikum ist längst aufgestanden. Manche rennen vor, um Patti näher zu sein, sie zu berühren. Sie lässt sich mitreißen, steigt von der Bühne, rein in die ersten Reihen, gibt das Mikro weiter - das Theater ist längst zum Experimentierfeld für Punk-Moves geworden, Relikte wie der antike Chor bleiben, nur schreit er jetzt "Gloria" bis rauf in die Logen. An einem anderen Tag, mit einer gesunden Patti Smith, hätte es wohl noch die eine oder andere Zugabe gegeben, so holt sie aber zumindest noch einmal zum Faustschlag aus. Kein "People Have The Power", sondern viel stärker, viel gewichtiger: "Rock 'n Roll Nigger" - und der antike Chor kommentiert wieder: "Outside of society, that's where I want to be". So hätte das Schlingensief bestimmt gefallen.

Das Besondere an diesem Abend ist seine Intensität. Patti Smith verbreitet keine Botschaften, sie selbst ist die Botschaft. Dass an diesem Abend die Geister von Mozart, Maria Callas, Christoph Schlingensief und Jim Carroll durch den Raum schweben, ist dieser lebensbejahenden Frau zu verdanken, die in ihrer Kunst, ihrem Leben und in ihrem Herz immer wieder Platz für verlorene Seelen hatte. Mit etwas Glück auch für uns.