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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 5. 2011 - 22:40

Journal 2011. Eintrag 106.

Der Einzug der Emotion in die Politik ist nicht aufzuhalten: Österreich braucht drei neue Populismen, mindestens.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit der Fortsetzung von Journal-Eintrag 105, das die Frage Sind die Rapid-Hooligans die ersten österreichischen Wutbürger? stellte, nämlich dem Versuch diese Entwicklung demokratiepolitisch zu verorten, also auch einer Art Fußball-Journal '11-46a - auch wenn das weit über die sportlichen Belange hinausgeht.

Mit Dank an Alexandra Ganser, die heutige Anstoßgeberin.

Also, nachdem wir all das hier wissen und verarbeitet haben:

Es fällt der inhaltsschwachen und ihrem eigenen Bewusstsein gegenüber höchst zaghaften Zivilgesellschaft Österreichs angesichts der aktuellen Wucht der spanischen Protestkultur sichtlich schwer, die in ihrer anarchischen Übergriffigkeit völlig planlose Hooligan-Erhebung von letzter Woche als Teil des großen Ganzen erkennen zu können.

Andererseits ist dieselbe Zivilgesellschaft samt ihrer öffentlichen Streitmacht, den liberalen Medien des Landes, ja auch zu schwachsichtig, um die Audimaxisten, die #unibrennt-Bewegung des Herbstes 09 als Vorhut der europa-, ja weltweiten Jugendproteste gegen ökonomische und gesellschaftliche Hoffnungslosigkeit einzuordnen.

Es ist also nichts anderes zu erwarten, als die somit wieder augenscheinliche schiere Unfähigkeit zur gedanklichen Verknüpfung; also dem Fanal, das auch den hiesigen Journalismus so peinlich-provinziell macht.

Da eine ähnlich wie im Süden verlaufende Protest-Bewegung in Österreich einen anderen, destruktiven und demokratiepolitisch hochgefährlichen Verlauf nehmen könnte, lohnt es sich einige Fragen zu stellen, ehe der Frustrations-Pegelstand zu einer Überflutung führt.
Denn so schön es ist, wenn eine Regierung Arbeitsfähigkeit demonstriert, so sehr nach hinten kann es losgehen, wenn eine oberflächliche und von Politik und Wirtschaft inszenierte Studie die Generation Praktikum zum Mythos erklären will sich aber einfachstmöglich als plumpe Schönfärberei enttarnen lässt.

Die additive Konsens/Verhandlungs-Demokratie als Falle

Dieser aus einer klassisch österreichischen Koaliton aus Absicht und Hilflosigkeit in die Welt gesetzte Betrug ist symptomatisch für unsere extreme Konsens-Demokratie, die noch dazu über einen unglaublich hohen Veto-Index verfügt.

Geschuldet ist das dem alten Habermas'schen Ideal der Deliberativen Demokratie, die davon ausgeht, dass sich - im utopischen Zustand - die Bürger als diskursfähige Citoyens erweisen. Am besten noch in einem daueradditiven Zustand: jede neuen Gruppe mit neuen Interessen wird zum Gesamt-Konsens dazugenommen, was für eine Verbreiterung bis hin zur Unkenntlichkeit sorgt.

Dieses Modell ist außerhalb des Labors, vor allem aber in Österreich, nicht lebensfähig.

Die Schimäre von der gleichen Augenhöhe zwischen den Klassen und den Schichten, zwischen Wirtschaft und Konsumenten, zwischen Regierenden und Regierten, ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Der Glaube daran, dass die Ratio alles regeln kann, steht auf verlorenem Posten.

Das was fehlt ist der Umgang mit den Emotionen: das überlassen Habermas Nachfahren den Ausreißern, den Populisten.

Politisierung der Emotionen, Emotionalisierung von Politik

Dabei ist gegen die Politisierung der Emotionen an sich nichts einzuwenden - und wie das aussieht, zeigen die jungen Protestbewegten ja allerorten auf das Formschönste auf. Sie muss ja irgendwohin, die Emotion.
Das ist auch ein Mitgrund für die völlige Verstörung, die die österreichische Mehrheitsgesellschaft den Unibrennt-Aktivisten entgegenbrachte - ehe man sich im Lauf der Wochen ein wenig mitreißen liess.
Und das ist auch der Grund für die komplette Verstörung (die sich in totalem Mauern ohne jegliche Überlegung manifestiert hat) den Hooligan-Emotionen gegenüber.

Denn auch diese armen Würschtel wissen einfach nicht wohin mit ihren (großteils sogar nachvollziehbaren) Gefühlen.
Um das sinnhaft auffangen zu könne, für die neue Politisierung der Emotionen braucht es einen neuen Populismus, der deutlich über die stinkstiefelige Rückwärtsgewandtheit einer politischen Bewegung, die immer noch Hitlers Ehrenbürgerbilder anbetet, hinausgeht.
Österreich braucht einen Populismus jenseits der peinlichen Xenophobie, des angesterfüllten Hinterwäldlertums, der trübsinnigen Leidenschaften.

Österreich braucht zwei, drei neuen Populismen:

  • einen wertkonservativen jenseits reiner Reaktion, der die Sache mit Laptop und Lederhose ernstnimmt.
  • einen freigeistig-liberalen, der sich der Bürgerrechts im Überwachungsstaat annimmt.
  • einen linken, der sich um Globalisierung, und den Kampf gegen die Herrschaft der Banken und multinationale Konzerne kümmert.

Es ist im übrigen wieder die belgische Professorin für politische Theorie, Chantal Mouffe, die sich da drum kümmert - die habe ich zuletzt ja erst vor wenigen Wochen ausführlich zitiert. Mouffe setzt sich in ihrer aktuellen Forschung im übrigen speziell mit Österreich und der hiesigen Lage des Populismus auseinander, schon seit der Wenderegierung von 2000. Sie wäre also eine wichtige Inputgeberin, was den Verlauf der Geschichte des politischen Populismus in der Übergangsphase, in der sich unsere Demokratien befinden, betrifft.

Dazu müsste man sich allerdings dieser Tatsache auch einmal bewusst werden.
Solange aber alles, was hierzulande passiert, isoliert von anderen europäischen und globalen Prozessen betrachtet wird (auch weil wir, in einer Art Verblödung durch bereits zu viel Abschottung von der Außenwelt, diese Denkmöglichkeit gar nicht zulassen), geht sich das schwerlich aus.