Erstellt am: 29. 5. 2011 - 23:00 Uhr
Fußball-Journal '11-47.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit einer unerwartet notwendigen Nachlese zu Auffälligkeiten des Cupfinales - vor allem in Verbindung zu aktuellen Aussagen des deutschen Bundestrainers Joachim Löw.
Der gestern versprochene zweite Teil zur Frage, ob die Rapid-Hooligans eine Art Vorhut des noch nicht existenten heimischen Wutbürgertums wären und wie diese Entwicklung demokratiepolitisch zu verorten ist, wird auf morgen verschoben.
Aufgelegt waren Spott und Hohn: zwei kleine Teams stehen im Cupfinale - das ist nach der Meisterschaft, in der sich die Mannschaften teilweise niveautechnisch unterboten, um den Titel zu vermeiden, der zweite Beweis für die aktuelle, durch Fan-Randale und Wettbetrug zusätzlich gewürzte Lage des heimischen Fußballs.
Ja, eh, auch.
Interessanter ist es jedoch sich anzuschauen, womit es die beiden Kleinen denn geschafft hatten, die Großen, die Überlegenen zu zwicken (Ried sogar in Meisterschaft und Cup) - auch weil sich daraus für einen anderen Kleinen, das österreichische Nationalteam, Schlüsse ziehen lassen; und letztlich sind auch die vier heimischen Groß-Klubs international gesehen Kleine - die könnten da auch hinschaun.
Wenn dann in diesem Zusammenhang der deutsche Teamchef (und zwar hier in einem Kurier-Interview den philosophischen Hintergrund dazu liefert, dann lohnt sich die aktuelle Verknüpfung - weshalb der gestern versprochene zweite Teil zur Frage, ob die Rapid-Hooligans eine Vorhut des Wutbürgertum sind und wie das demokratiepolitisch zu verorten ist, auf morgen verschoben wird.
Die Kunst des Zehn-Sekunden-Angriffs
Das, was die Trainer Gludovatz und Stöhr ihren Mannschaften in der 1. Halbzeit, der vielleicht schnellsten der Saison (weshalb das ÖFB-Cupfinale optisch auch nicht gegen das vortägliche Champions League-Finale, diesen Fabelkick von anderen Stern, abkackte) mitgegeben haben, entsprach in Ansätzen dem, was man zuletzt vor allem in Deutschland lernen konnte: Underdogs ohne große Stars haben dann eine Chance, wenn sie das Umschalten zwischen Defensive und Offensive in hohem Tempo beherrschen.
Die Kollegen Klopp/Tuchel/Slomka und Co haben ihre Mannschaften darauf getrimmt, dass es 10 Sekunden dauert, von Ballereroberung bis zum Torschuss.
Und in etwa so spielte sich auch die erste Halbzeit des Cupfinales ab: die Rieder operierten mit langen Bällen und schnellen Flügelläufen, die Lustenauer brachten sofort ihre vier Offensivkräfte in Stellung, die sich dann sofort in Richtung Tor aufmachten.
Beide Mannschaften sind mit einem klaren System, einer klaren Struktur, klaren Aufgaben und einem klaren Matchplan ausgestattet. Sie wissen um die Laufwege ihrer Kollegen Bescheid, bilden Pass-Dreiecke an den Flanken und rochieren, tauschen bewusst ihre Positionen.
Planungs-Fußball gegen das Lässigburschentum
Es war ja auch sonst kein schlechtes Wochenende für den Fußball: die FIFA-Korruptionisten demontieren sich gerade selber, die Dumpfnuss Effenberg scheiterte beim Putschversuch in Gladbach kläglich , und, ja, der FC Barcelona halt...
Paul Gludovatz und Edmund Stöhr (und ihre jeweiligen kleinen Stäbe) haben auch keine andere Möglichkeit - sie können nicht wie die großen Clubs Wunschspieler einkaufen, sondern müssen aus dem Vorhandenen, aus Nachwuchs, Stammspielern, Akteuren, die sich fnanziell grade ausgehen, Spielern, die überhaupt in die Provinz gehen, auskommen. Es bleibt ihnen also nix übrig, als jede strategische Möglichkeit zu nützen.
Das ist nun allerdings etwas, was in Österreich nicht populär ist. Erstens hat es mit Arbeit und Weiter-/Fortbildung zu tun, was unter den hiesigen Coaches (meist Ex-Teamspieler, die meinen, eh schon genug zu wissen) nicht populär; zweitens passt es nicht ins gesamtgesellschaftliche Klima des Anti-Intellektualismus, den die Rechtspopulisten und ihre Mainstream-Mitläufer etabliert haben (und seit Westenthaler ist der Fußball von dieser Blauhemden-Ingeneurs-Moch-ma-scho-Ideologie komplett verseucht) - Fußball mit Planung und Nachdenken zu kombinieren, wie uncool.
Anderswo ist das anders.
Auch in Deutschland; gegen dessen Nationalteam Österreich am Freitag antreten muss. Unter der Führung eines Coaches, der Taktik per se für überschätzt hält - auch weil er sich für die Speerspitze des populistischen Lässigburschentums hält.
Spielzüge, Laufwege, Passwege, Automatismen
Da setzt Joachim Löw, der die Verhältnisse in Österreich kennt (er hat beim Pleitclub FC Tirol einen Titel geholt, er litt bei der Austria unter dem Stronach-Wahnsinn) an. Und zwar recht deutlich.
Zitat: "Du kannst als Trainer deine Spielphilosophie auf jede Mannschaft übertragen. Es gibt Leute, die sagen: 'Wir haben nicht die Typen dafür.' Das stimmt so nicht. Im Nationalteam geht das natürlich nicht so schnell, aber es lässt sich alles umsetzen, wenn du die Spieler von diesem Weg überzeugst und ihnen Verantwortung gibst."
Da ist die nächste Frage aufgelegt. Der Kurier-Redakteur stellt sie, und zwar ohne sie in Frageform zu gießen: "Der österreichische Teamchef Dietmar Constantini behauptet, dass Taktik im Fußball überbewertet werde."
Löws Antwort: "Ich sage: Taktik ist enorm wichtig. Was auch immer man jetzt darunter versteht: Das Spielsystem, wie interpretiert man das System, was hat die Mannschaft für Aufgaben, wo greift man an, wie ist die Raumaufteilung, all diese Dinge eben. Nehmen wir den FC Barcelona. Die haben mit die beste Taktik von allen. Offensiv wie defensiv. Wenn jemand sagt, die spielen nur deshalb so gut, weil sie so gute Einzelspieler haben, dann ist das falsch. Die spielen so gut, weil die genau wissen, was sie machen müssen. In jedem Moment. Beobachtet man Barça, erkennt man immer wieder die gleichen Laufwege und Automatismen. Ich sehe, was dieses Team will. Und das finde ich gut. Genau das ist Taktik für mich: Spielzüge einstudieren, Laufwege einstudieren, Passwege einstudieren, Automatismen. Alles andere, was ich bei einigen Mannschaften sehe, ist Zufall. Purer Zufall. Gewinnen sie, dann war's eine gute individuelle Aktion. Die großen, guten Teams, ob National- oder Ligamannschaften, zeigen, dass Taktik, Ordnung und klare Vorgaben auf dem Platz enorm wichtig sind. Ich bleibe dabei: Die Spieler brauchen klare Vorgaben und Strukturen. Davon rücke ich nicht ab."
Die Taktiklosen, die auf den Zufall bauen müssen
Vor einiger Zeit hat der Simplicissimus des deutschen Fußball, Franz Beckenbauer, das Nationalteam öffentlich (sogar auf einer ÖFB-Veranstaltung) wegen der offensichtlichen Abwesenheit von genau diesen Dingen (Vorgaben, Taktik, Struktur...) abgewatscht. Jetzt legt einer, der weiß, wovon er redet, weil er's umsetzt, nach. Und definiert das Löw'sche Gesetz, das selbstverständlich auch in Österreich Gültigkeit hat.
Bei den angesprochenen Coaches wird das nicht ankommen - die haben sich eingerichtet wie die Maden im Speck und werden immer Ausreden finden sich nicht weiterentwickeln zu müssen; es ist ja kein Zufall, dass Gludovatz und Stöhr nicht zu dieser Nomenklatura der Ex-Teamspieler/Jobzuschieber gehören.
Und auch wenn Ried und vor allem Lustenau in der 2. Hälfte massiv zurückfielen (weil sie das Tempo und die Genauigkeit nicht über 90 Minuten halten konnten) - sie leisten mehr für den heimischen Fußball als die selbstzufriedenen Figuren, denen es reicht ihr Gesicht im TV zu baden.
Hier befindet sich eine bezugnehmende Weiterführung.
Ankommen müssen diese Botschaften bei den Funktionären, den Verantwortlichen, den Aufsichtsräten, und zumindest genauso wichtig, bei jenen, die sie kontrollieren, nämlich bei der Öffentlichkeit, ja, den Fans und den Medien, die sich genauso in Bequemlichkeit und (lächerlichem, ihr Rapid-Fans) Selbstmitleid suhlen.
Davon rücke ich nicht ab.